Das Leben und auch das Liebesleben von Bill Kaulitz ist alles andere, als ein Geheimnis. Dafür sorgt die Klatschpresse, aber auch Bill selbst. Auch die zweite Staffel der Netflix-Dokusoap "Kaulitz & Kaulitz", die seit diesem Dienstag zu sehen ist, beginnt mit Bill und Toms Suche nach der Liebe. Die Frage ist nur, was das für eine Liebe ist, die das Bruderpaar da für Bill sucht.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In ihrem wöchentlichen Podcast "Kaulitz Hills" erzählen Bill und Tom Kaulitz, was denn so los ist, in ihrem Leben. Meistens geht es dabei ums Feiern, um Alkohol, Urlaube, Essen, um eine Hausrenovierung, ums Geldausgeben und noch mehr um Bills Liebesleben. Wenn man möchte, kann man sich also ganz gut über das Leben von Bill und Tom Kaulitz informieren.

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Wenn nun seit diesem Dienstag bei Netflix die zweite Staffel ihrer Dokusoap "Kaulitz & Kaulitz" startet, kann man sich deshalb fragen: Was genau soll man denn da noch über die Zwillingsbrüder Neues erfahren?

Eine berechtigte Frage und die Antwort könnte lauten: In der Tat nur ein bisschen was Neues, aber insgesamt gar nicht so viel. So geht es in der ersten Folge darum, dass Bills Beziehung in die Brüche gegangen ist und was das mit ihm gemacht hat. In "Maus außer Kontrolle" kauft Bill ein, bis die Kreditkarte glüht, er lässt sich einen Pool auf sein Villengrundstück bauen, er arbeitet bei der Pariser Fashionweek als Model und versucht sich als Schauspieler, während sein Bruder Tom bei einem "Matchmaker" ein Überraschungsblinddate für Bill arrangiert.

"Der dreht ein bisschen durch."

Tom über Bill

Im Grunde ist das all das, was man jeden Mittwoch bei "Kaulitz Hills" hören kann, nun bekommt man die Bilder zu den Audio-Geschichten. Das ist auf einer inhaltlichen Ebene alles furchtbar irrelevant, wie da ein Superreicher – und in Folge eins geht es vor allem um Bill – durch die Welt läuft, Geld verprasst und permanent an Sex denkt. Sex im Pool, irgendein Gegenstand im Baumarkt, der ihn an ein Sexspielzeug erinnert oder "heiße Typen" auf der Fashionweek. "Das bringt mich schon gut drauf", erzählt da Bill über seine Shoppingtouren und gesteht: "Meine Kreditkartenabrechnungen, die haben mich selber schockiert."

Und als Bill über seine Villen-Umbauten spricht, glaubt er ernsthaft, er mache das, "dass es mir rundum an nichts mehr fehlt". Als ob es jemandem in einer Überwohlstandsvilla an etwas fehlen könnte. "Kannst du dir nicht ne neue Frise schneiden", entdeckt auch Tom, dass das alles ein bisschen drüber ist. Bill sieht das allerdings anders. Er sei solo, habe keine Kinder, also: "Für wen soll ich das Geld aufheben?" Zum Beispiel für etwas Sinnvolles, für Gemeinnütziges, um anderen zu helfen und so weiter, möchte man da in diesen Hedonismus hineinrufen.

Tom versucht Bills finanzielle Extravaganzen mit dem Trennungsschmerz zu erklären. "Der dreht ein bisschen durch", sagt Tom über den neuen Porsche, den neuen Pool und den neuen Hund und resümiert: "Bisschen viel." Für jemanden, der ohnehin schon viel hat, ist "bisschen viel" natürlich immer mehr, als für Menschen, die wenig haben, aber vielleicht nähert man sich Bill und Tom und damit auch der zweiten Staffel "Kaulitz & Kaulitz" ein bisschen besser an, wenn man sich Gedanken über die Definition von "dass es mir rundum an nichts mehr fehlt" macht.

Ein lauter Schrei nach Liebe

Denn dass Bill Kaulitz keinen neuen Porsche und keinen Sex-Whirlpool braucht, um glücklich zu sein, liegt auf der Hand. Weil das niemand für sein Glück braucht. Was Bill stattdessen zu brauchen scheint, zumindest schreit einem das die Dokusoap in jeder Sekunde um die Ohren: jemand, der ihn liebt. Damit ist nicht unbedingt ein fester Partner gemeint oder eine Affäre, sondern zwischenmenschliche Liebe. Bestätigung. Das Gefühl, gesehen und gemocht zu werden. Diesen Eindruck bekommt man, wenn man seinen Podcast hört und noch mehr, wenn man nun die Bilder dazu sieht.

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Für Bill muss alles, was er hat oder macht, besonders sein. Eine Besonderheit, die über den Wunsch nach Ästhetik hinaus geht. Denn am Besondersten muss immer Bill selbst sein. "Ich bin total aufgeregt, weil’s natürlich auch ein kleines bisschen eine andere Situation ist. Man ist auf einmal nur ein Model von vielen anderen und es geht nicht mehr nur um mich", erklärt Bill zum Beispiel bei seiner Arbeit als Model auf der Pariser Fashionweek und vor allem die Wörtchen "nicht mehr" verraten, dass es sonst offenbar immer nur um ihn geht.

"Jetzt werde ich Supermodel", erklärt Bill in Paris und es ist bezeichnend, dass er nicht erst Model wird, sondern gleich Supermodel. Nachdem er seinen ersten Catwalk-Job hinter sich gebracht hat, bilanziert Bill: "Ich hab das schon am besten gemacht. Also manche laufen schon komisch. Da hatte ich schon einen guten Walk drauf." Und wo man normalerweise beisammen sitzt und ein anderer einen nach einem Erfolg hochleben lässt, sitzt Bill mit seinen Freunden in einem Pariser Café und lässt sich selbst hochleben: "Leute, auf mich! Darauf, dass ich zum ersten Mal ein Model in Paris war."

Bill, ein liebenswürdiger Mensch? Glaubt man sofort

Natürlich kann man sich die zweite Staffel "Kaulitz & Kaulitz" ansehen und sich vom Einblick in das Leben zweier Stars unterhalten lassen und in Folge zwei gelingt das sogar noch ein bisschen besser, als es um die Band Tokio Hotel geht. Da wird man Teil eines Band-Meetings, bei dem sich Bassist Georg darüber beschwert, dass Bill und Tom die Band zugunsten ihrer eigenen Projekte vernachlässigen. Da wird es spannend, weil hier mal kurz all das oberflächliche Geplapper über Sex und Geld verstummt.

Schafft man es aber, all dieses Sex-und-Geld-Gerede auch bei den anderen Szenen beiseite zu schieben, erkennt man Bills unaufhörlichen Schrei nach Liebe und die vielen weiteren Formen, in denen er zu hören ist. "Ich bin wahnsinnig nervös, ich will perfekt sein, ich will immer abliefern", erklärt Bill etwa bei seinem Schauspieldebüt. Perfekt sein, um geliebt zu werden? Und als das gemeistert ist, muss es natürlich die ganz große Bühne und damit auch die ganz große Bewunderung sein: "Das war schon mal ein gutes Reinkommen. Und jetzt Hollywood!"

Selbst als Tom bei einem "Matchmaker" sitzt, um für seinen Bruder das Blinddate zu arrangieren, kann man das, was Tom über Bill sagt, als Wunsch nach Liebe interpretieren. "Ich glaube, er ist der beste Fang, den du machen könntest", erklärt Tom dem Matchmaker und fährt dann fort: "Er ist so liebenswürdig und immer für seine Freunde da. Sehr loyal. Er denkt immer zuerst an andere, dann an sich." Das glaubt man, sieht oder hört man Bill in seinem Podcast oder in der Dokusoap, aufs Wort. Und zieht man den liebevoll-brüderlichen Blick auf Bill ab, bleibt immer noch die Einschätzung eines Menschen, der gerne für andere da ist. Aber dieses Kümmern kann man aus Altruismus machen – oder eben, um geliebt zu werden.

"Der einzige, der überhaupt helfen kann, bin ich."

Tom

Ist diese Sichtweise psychologisch fundiert? Nein. Ist es eine seriöse Einschätzung? Auf gar keinen Fall! Wie auch? Aber es sind die Eindrücke, die entstehen, wenn man sich die zweite Staffel der Dokusoap ansieht oder wenn man den Podcast der beiden Brüder hört. Weniger spekulativ ist der Eindruck, den man von Tom bekommt, auch wenn Bill den größten Raum in der Dokusoap einnimmt. Da hat man nämlich den großen Bruder, der sich um den zehn Minuten jüngeren kümmern muss – oder glaubt, es zu müssen. "Der einzige, der überhaupt helfen kann, bin ich", erklärt Tom etwa seiner Mutter über den Zustand Bills nach dessen Trennung.

Woher all diese Eindrücke und Selbsteinschätzung kommen, die man da in der Dokusoap sieht, ob durch das besondere Band zwischen Zwillingen, den Drang, sich von jemandem abgrenzen zu müssen, der genauso aussieht wie man selbst oder vielleicht durch den Umstand, in so jungen Jahren aus einem gewöhnlichen Leben gerissen und in das von Superstars gepflanzt worden zu sein – all das ist eine noch größere Spekulation und steht niemandem zu.

Denn, auch das macht die Doku sichtbar: Vielleicht sollte man das Leben von Bill und Tom Kaulitz nicht so sehr mit dem von Otto Normal und Max Mustermann vergleichen, sondern mit Menschen, die genauso und genauso explosiv in die Öffentlichkeit geschleudert wurden. Das entbindet Bill und Tom nicht von der Verantwortung für ihr Tun, macht es aber verständlicher. Und wenn man etwas verstehen kann, dann den Wunsch, geliebt zu werden.