Beim 69. Eurovision Song Contest in Basel holt sich der österreichische Sänger JJ mit "Wasted Love" den Sieg. Die österreichischen Vertreter Deutschlands, Abor & Tynna, zeigten einen tollen Auftritt, für sie gab es am Ende aber trotzdem nur Platz 15. Für ihren Mentor endete der ESC damit mit einer Erkenntnis, die wohl nur ihn selbst überrascht hat.

Christian Vock
Eine Kritik
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Back to the Roots: 1956 richtete die Schweiz den ersten Eurovision Song Contest aus, damals als "Grand premio Eurovisione 1956 della canzone europea". Nun, 69 Jahre später, ist der Song Contest in die Schweiz zurückgekehrt, diesmal nicht wie seinerzeit ins italienischsprachige Lugano, sondern nach Basel. Dort holte der Österreicher Johannes Pietsch alias JJ mit seinem Song "Wasted Love" den Sieg für sein Heimatland. Und so lief der Abend in Basel.

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Die Spekulation des Abends

Kommt sie oder nicht? Das Rätselraten war groß, ob Weltstar Céline Dion in Basel auftreten wird oder nicht. Die Kanadierin hatte 1988 den Grand Prix in Dublin für die Schweiz gewonnen und danach eine internationale Karriere hingelegt. 2022 machte Dion eine schwere Erkrankung öffentlich, nun schossen die Spekulationen ins Kraut, ob die Sängerin tatsächlich auftritt oder ob es bei Grußbotschaften in ihr ehemaliges ESC-Land bleibt. Die Auflösung: Dion kam nicht, Grüße gab es auch nicht.

Die Show

Es wäre ohnehin nicht fair gewesen, die Show aus Basel auf einen einzigen Moment zu reduzieren, was bei einem Auftritt Dions unweigerlich der Fall gewesen wäre. Dafür hatte der ESC 2025 viel zu viel zu bieten und das war vor allem laut, hell, nostalgisch, modern und witzig. So marschierten die Teilnehmer zu einem grellen Lichtgeorgel in die Baseler St. Jakobshalle ein, Vorjahressieger Nemo sorgte für noch frische nostalgische Momente bei den jüngeren, ehemalige Teilnehmer wie Paola Felix für ebensolche bei den älteren Zuschauern.

Ein unterhaltsamer Einfall war die Schalte ins Baseler Fußballstadion, wo 36.000 Menschen zusammen den ESC ansahen und den 1974er Gewinnersong "Waterloo" sangen. Auf jeden Fall laut war die Idee, die beiden Zweitplatzierten der letzten ESC-Ausgaben, Baby Lasagna und Käärijä, in einer Art Battle gegeneinander und doch zusammen singen zu lassen. Das muss man mögen – oder schwerhörig sein. Am Ende war, wie immer beim Song Contest, das Rahmenprogramm zweitrangig, denn die eigentliche Show machten auch diesmal natürlich die Teilnehmer.

Die Moderation

Witz, Eleganz und Expertise – wenn man die drei Moderatorinnen Hazel Brugger, Michelle Hunziker und Sandra Studer an diesem Abend in Kategorien einteilen möchte, dann vielleicht in diese und Comedienne Brugger legte gleich von Anfang an los. Während ihre Kolleginnen in eleganter Abendgarderobe erschienen, hatte sich Brugger für einen bunten Hosenanzug und festes Schuhwerk entschieden, was sie bei der Selbstvorstellung so kommentierte: "Ich bin die, die High Heels abgelehnt hat und nach einer Nuss benannt wurde."

Später legte Brugger noch einmal nach, als sie sich über das Gefühlsleben der Schweizer lustig machte: "Wir haben keine Gefühle, wir haben Geld." Immerhin habe sie bei der Geburt ihres ersten Kindes fast gelächelt. Kollegin Studer versuchte es dagegen nicht mit Humor, sondern mit Nostalgie. Die heute 56-Jährige nahm 1991 selbst am Song Contest teil und schlüpfte am Samstagabend noch einmal in ihr Kleid von damals und sang ihren Song "Canzone per te", mit dem sie damals auf Platz fünf landete.

Die Favoriten

Die Geschichte der Favoriten 2025 ist schnell erzählt. Schweden, Österreich, Frankreich und die Schweiz standen bei den Buchmachern ganz oben auf der Liste. Aber Wettquoten sind eben keine Ergebnisse, zwischen beiden stehen die Punktevergabe der Jury, die der Zuschauer und natürlich die Auftritte selbst. Am Ende landete der große Favorit Schweden auf Platz vier, Frankreich auf Platz sieben und die Schweiz auf Platz zehn. Nur Österreich wurde seiner Mitfavoritenrolle gerecht, sogar mehr als gerecht.

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Der Auftritt von Abor & Tynna

"Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass wir gewinnen heute Abend", hielt Stefan Raab, der Organisator des deutschen Beitrags über das Duo Abor & Tynna beim Vorglühen mit Barbara Schöneberger am Samstagabend fest. Nicht unbedingt, weil er davon überzeugt war, dass die beiden den besten Song des Abends liefern, sondern weil es für ihn dazu gehört, bei einer Teilnahme auch gewinnen zu wollen. Er bleibe jedenfalls dieser Meinung, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Nun, das wurde es bekanntlich, Deutschland holte am Ende den 15. Platz. Das ist alles andere als eine Schande, ganz im Gegenteil – selbst wenn man den Anspruch hatte, zu gewinnen. Mit Platz 15 gehören Abor & Tynna zu den erfolgreichsten deutschen Vertretern der vergangenen Jahre. Einen Haken gibt es aber doch. Denn wenn man, wie Stefan Raab es tat, die Suche nach dem deutschen Beitrag breitbeinig zur "Chefsache" erklärt und damit die reichlich arrogante Botschaft gesendet hat, alle zuvor seien unfähige Amateure gewesen, dann muss man auch liefern – auch wenn das die Botschaft nicht weniger arrogant macht.

Geliefert haben Abor & Tynna so oder so. Der Auftritt lief reibungslos, der Gesang saß, die Lichteffekte auch und als Abor da im Dunkeln mit seinem LED-Cello funkelte, ehe seine Schwester dem Zuhörer ihren Gesang im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren ballerte, war das alles stimmig. Wenn man etwas kritisieren könnte, dann ist das vielleicht die etwas langsame Kameraführung und den noch langsameren Schnitt, was zusammen die Dynamik und das Tempo aus dem pulsierenden Song genommen hat.

Die Abstimmung

Es war eine einigermaßen wilde Abstimmung mit überraschenden Wendungen. So bekam Deutschland keine zwölf Punkte aus Österreich, was nicht wegen unterlassener Nachbarschaftshilfe überrascht, sondern weil die deutschen Vertreter Abor & Tynna doch aus Österreich kommen. Aber offenbar war der Musikgeschmack wichtiger als nationale Verbindungen und das sollte bei einem Gesangswettbewerb ja auch so sein.

Andere Länder erlebten zudem noch unangenehmere Überraschungen bei der zweigeteilten Abstimmung aus den Stimmen der nationalen Jurys und den Stimmen der Zuschauer. So war der dänischen Teilnehmerin Sissal die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, als sie von den Zuschauern lediglich zwei Punkte bekam. Zum Vergleich: die am Abend vergebene Höchstpunktzahl lag bei 297 Punkten und ging an Israel.

Noch schlimmer traf es Großbritannien, denn deren Vertreterin, die Band Remember Monday, bekam überhaupt keine Punkte vom Publikum. Das Gleiche galt auch für die Schweiz, doch deren Sängerin Zoë Më musste nicht nur null Punkte verdauen, sondern auch den Umstand, dass sie vor dem Zuschauer-Voting noch alle Chancen auf einen Sieg gehabt hätte – bis dann kurz vor Schluss das enttäuschende Ergebnis des Publikums kam.

Am Ende siegte Österreich vor Israel und Estland. Abor & Tynna landeten nur wenige Punkte hinter Lettland und Polen auf Platz 15. Dabei bekamen sie zweimal zwölf Punkte von den Länderjurys aus der Ukraine und aus Tschechien. Nach der Jury-Wertung lag Deutschland auf Platz 13, von den Zuschauern erhielten Abor & Tynna 74 Punkte, zusammen mit den 77 Punkten der Fachjury machte das insgesamt 151 Punkte und eben Platz 15. Schlusslicht an diesem Abend in Basel wurde San Marions Vertreter Gabry Ponte mit 27 Punkten.

Was bleibt?

Dass JJ mit seinem "Wasted Love" den Song Contest gewinnt, lag mit Sicherheit auch an der musikalischen Einzigartigkeit seines Auftritts. Der Countertenor sang erst in Sopranlage, ehe alles in ein hartes Techno-Gewummere kippte – einzigartig an diesem Abend. Mindestens genauso beeindruckend war aber die Inszenierung. Was bei Vorjahressieger Nemo seine Drehscheibe war, war für JJ ein havariertes Boot. Während sich der Sänger am Mast festhielt, zog hinter ihm auf der Videoleinwand ein veritabler Sturm auf. Im Zusammenspiel mit Gesang, Kameraführung und dem Schnitt entstand so eine Atmosphäre, die im Gedächtnis bleibt.

Was dem Zuschauer vor dem Fernseher hingegen nicht in Erinnerung geblieben sein dürfte, weil dort nicht wahrnehmbar, war ein Vorfall während des Auftritts von Israel. In den Tagen vor dem Finale gab es bereits Proteste gegen die Teilnahme von Yuval Raphael, laut ersten Berichten soll es bei ihrem Auftritt aber auch in der Halle zu einem Vorfall gekommen sein. Ein Mann und eine Frau sollen versucht haben, über die Absperrung hinweg auf die Bühne zu klettern, seien aber aufgehalten worden. Dabei soll eine der beiden Personen mit einem Farbbeutel geworfen haben.

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Was bleibt noch? Wahrscheinlich die turbulente Stimmabgabe und die zum Teil heftige Diskrepanz zwischen Jury- und Publikumswertung, etwa bei der Schweiz. Nach 214 Punkten von der Jury, gab es keinen einzigen vom Publikum. Noch deutlicher war der Unterschied bei der Zweitplatzierten Yuval Raphael. 60 Punkte erhielt Israel von der Jury, aber 297 von den Zuschauern – ein Unterschied von 237 Punkten.

Beim deutschen Beitrag fiel die Differenz mit gerade einmal drei Punkten vergleichsweise gering aus, aber Abor & Tynna hätten trotzdem wohl lieber die Punkte der Schweiz genommen. Dennoch bleibt von den beiden zum einen ein Auftritt, bei dem die Geschwister nicht wirklich etwas hätten besser machen können und zum anderen eine Erkenntnis: Dass Stefan Raab eben doch nicht zaubern kann, so breitbeinig er die Vorauswahl auch zur Chefsache erklärt hatte.