Mit den neuen Nachbarn stimmt etwas nicht: Aus dieser Ausgangssituation strickt der Kinofilm "Mein Fleisch und Blut" einen harten Psychothriller, wie er selten auf österreichischen Leinwänden zu sehen ist. Dennoch bietet der Film nichts, was man nicht in vielen anderen schon ausführlich gesehen hätte.

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Martin (Andreas Kiendl) und Katharina (Ursula Strauss) kümmern sich liebevoll um ihren autistischen Adoptivsohn Tobias, aber in ihrem Leben kriselt es. Als im Haus gegenüber das junge Paar Nicole und Christian einzieht, scheint die Familie aufzublühen – vor allem Tobias öffnet sich der offenherzigen Nachbarin.

Aber nach und nach bekommt Martin den Verdacht, dass die Nachbarn ein Geheimnis haben, und beginnt nachzuforschen. Anscheinend hat es etwas mit seinem Kind zu tun.

Mit seinem Spielfilmdebüt "Mein Fleisch und Blut" präsentiert der in Landshut geborene Regisseur Michael Ramsauer, der an der Filmakademie Wien studierte, einen waschechten Psychothriller made in Austria. Solche Genrefilme sind im heimischen Kino immer noch selten und setzen oft mehr auf intellektuelle Reflexion denn auf Adrenalin - wie beispielsweise bei Michael Hanekes "Funny Games".

So selten der harte Thriller österreichischer Machart ist, so sehr hat man das Gefühl, alles an "Mein Fleisch und Blut" schon gesehen zu haben. Die entsättigten Farben, die düster wabernde Musik, die dramatischen Entwicklungen, die Geheimnisse und Geständnisse der Figuren: Alles wirkt wie eine Kopie amerikanischer Vorbilder.

Die graue Tristesse

Österreichisch wirkt der Film vor allem im ersten Drittel. Da leidet Ehemann Martin an Burn-Out, die Ehe ist eher Gewohnheitssituation als wirkliche Verbundenheit.

Der Umgang mit dem autistischen Kind macht beiden zu schaffen, die Frustrationen bleiben aber in allem stecken, was nicht gesagt wird. Der Film zeigt eine so graue Tristesse, dass man fast froh ist, wenn etwas Schlimmes passiert – einfach, weil sich dann überhaupt mal etwas tut im Leben dieser Menschen.

Was dann passiert, stammt allerdings so sehr aus dem Standard-Bausatz handelsüblicher Thriller, dass man die Geschichte schon vor Ende des Trailers selber fertigschreiben kann.

Die Charaktere, allen voran der autistische Tobias, werden zu Spielfiguren eines mechanischen Plots und müssen sich diesem Räderwerk komplett unterordnen. Sie tun dann eben, was sie in solchen Filmen tun müssen, damit die Wendungen vonstattengehen können.

Bequeme Konstruktion

Damit das klappt, werden auch die Handlungsfäden ein ums andere Mal passend und bequem so gesponnen, damit nicht alles zum Stillstand kommt. Da rennt eine Figur ganz brav in eine offensichtliche Falle, um außer Gefecht gesetzt werden zu können, während anderswo der Familienvater in eine Situation gedrängt wird, in der er erpresst werden kann – auch wenn er sich wohl hauptsächlich darauf einlässt, weil die Protagonisten in Böse-Nachbarn-Thrillern das halt immer machen.

Apropos böse Nachbarn: Die entstammen jener Psychopathenschule, bei der die Teilnehmer Pläne mit immens vielen Unwägbarkeiten perfide ausgetüftelt haben und ihrer Umgebung langfristig in perfektem Schauspiel die Fassade vorgaukeln – bis dann irgendwann ein Schalter in ihnen umgelegt wird.

Ab da dürfen sie der Welt zeigen, aus welch irrem Holz sie geschnitzt sind, dürfen alle Regeln über Bord werfen und sich so brutal und wahnsinnig geben, dass man im obligatorischen Showdown-Finale froh sein darf, das Pack ein für alle Mal loszuwerden.

Es ist schön, dass ein Genrefilm den Weg auf die österreichischen Leinwände findet, dass unser Kino auch mal Körper und Gefühl und nicht nur den Geist ansprechen darf – in einer lebendigen Kinokultur muss Platz für beides sein. Noch schöner wäre es, würde der Film dabei auch etwas bieten, was nicht schon hundertmal durchexerziert wurde.

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