Am späten Freitagabend knöpfte sich Jan Böhmermann in seinem "ZDF Magazin Royale" einen eher ungewöhnlichen Gegner vor: den Marathon. Teuer, übertrieben und für Technik-Freaks. Beim Hauptgrund seiner Kritik scheint sich Böhmermann aber irgendwie verlaufen zu haben.
Es ist seit geraumer Zeit schon so, dass sich die Themen für Satiriker eher stapeln als verstecken und das ist nur für Satiriker ein gutes Zeichen. Denn je komplexer und wilder die Zeiten sind, desto mehr gibt es mit Satire zu verarbeiten. Das Brainstorming der "ZDF Magazin Royale"-Redaktion dürfte also auch diese Woche so schwer gewesen sein wie Dynamit-Fischen oder eine Meisterschaft für den FC Bayern. Am Ende hat man sich für den Stand-up-Part der Show am Freitagabend für diese Themen entschieden.
Die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, die russischen Drohnen über Polen und die Aussage von
Ein unnötiger Vergleich
In seinem Alter habe man zwei Möglichkeiten, beginnt Böhmermann. Entweder einfach so weiter zu machen oder aber "man ändert was". Böhmermann wählt Option zwei und erklärt: "Ich starte richtig durch mit einem Marathon." Laufen sei gesund und ein regelrechter Trend. Die Anmeldungen bei Städte-Marathons würden aktuell Rekorde brechen. "Rekord – Mehr als 1,1 Millionen Menschen wollen am London-Marathon teilnehmen", zitiert Böhmermann hierzu eine Schlagzeile, vergreift sich dann aber im Vergleich.
"Und wenn Millionen Menschen sich einer Sache verschreiben – kann die dann schlecht sein? Nein, das wissen wir in Deutschland", meint Böhmermann und behauptet: "Jeder kann ein Mitläufer sein." Da darf sich der Satiriker allerdings fragen, ob man wirklich für jeden Kalauer immer gleich ins oberste Regal greifen muss. Zumal, wenn dieser Vergleich mit dem Nationalsozialismus direkt neben einem Urologie-Gag steht.
Denn Böhmermann zeigt ein TikTok-Video von
"Man kann mit Füßen ein Vermögen machen"
Aber Böhmermann will nicht über Ü-40-Blasen reden, sondern fragt: "Kann ich das Mindset vom Urinal auch auf die Straße übertragen? Packe ich das hohe Ziel Marathon?" Das wird für immer ein Geheimnis bleiben, denn Böhmermann will keinen Marathon laufen, er will den Marathon und das ganze Gewese um diesen Hype ins Visier nehmen. So macht er sich etwa über die übertriebene Ernährung lustig, als er Bananen, ein Steak und körnigen Frischkäse püriert. Und beim Thema Technik witzelt Böhmermann, er habe sich extra drei Smartwatches angeschafft, denn "da hab ich dreimal so viele Schritte".
Als er zum weiteren Sportequipment kommt, zeigt er die Empfehlung eines TikTokers, nicht irgendwelche Schuhe, sondern "richtige Laufschuhe" zu tragen und spottet dann ironisch: "Ganz wichtig: keine Stehschuhe, keine Sitzschuhe, keine Liegeschuhe, sondern Laufschuhe!" Das sündhaft teure Marathon-Outfit, das sich Böhmermann angeblich zugelegt hat, sei nicht nur ein Marathon-Outfit, sondern auch "ein Schlafzimmer-Versprechen".
Aber auch die Marathon-Veranstalter kriegen einen ab. So werde etwa eine Lauf-Veranstaltung wie der Berlin-Marathon ausgerechnet vom Auto-Hersteller BMW gesponsert. Der Organisator des Marathons habe zudem 2023 Umsatzerlöse in Höhe von 24 Millionen Euro gemacht, weshalb Böhmermann spottet: "Man kann mit Füßen ein Vermögen machen."
"Marathon – warum tun sich das alle an?", fragt Jan Böhmermann resümierend mit Blick auf Sportlerernährung, die finanzielle Belastung sowie die ganze Technik. Man könnte sich allerdings auch eine andere Frage stellen: Wo ist das Problem?
Marathon-Trend oder: Wo ist das Problem?
Denn wen oder was genau kritisiert Böhmermann am Marathon-Hype eigentlich? Dass Marathon zu laufen nichts mit einem gesundem Lebensstil zu tun hat, sondern mehr mit Selbstoptimierung oder übertriebenem Ehrgeiz? Geschenkt, aber eine zutiefst individuelle Entscheidung. Dass sich jemand freiwillig in Vollsynthetik-Funktionsklamotten sprengt? Auch das schadet niemandem, sieht man einmal von der ästhetischen Herausforderung für Passanten ab.
An wen könnte sich Böhmermanns Kritik noch richten? Generell an die Menschen, die dem Marathon-Trend folgen? Es wird allerdings niemand gezwungen, jeden Quatsch mitzumachen. Dann aber doch die Unternehmen, die damit Geld verdienen, oder? Mag sein, aber es ist nicht verboten, mit dem Quatsch anderer Geld zu verdienen. Wir reden hier außerdem immer noch von Sportartikelherstellern oder den Organisatoren von Sport-Events und nicht von der Tabakindustrie. Nein, irgendwie greift Böhmermanns Kritik ins Leere, aber er hat noch etwas im Ärmel.
"Woran erkennt man einen echten Marathon-Läufer?", fragt Böhmermann rhetorisch und antwortet sogleich: "Er erzählt dir davon. Immer und immer wieder. Bis er sich endlich mal verletzt und dann erzählt er dir davon. Immer und immer wieder." Okay, es geht also um nerviges Sozialverhalten. Allerdings hat man denselben Witz schon vor 20 Jahren über Vegetarier gemacht und könnte ihn auch heute über so ziemlich jeden anderen Menschen auch machen: Tänzer, Influencer, Intervall-Faster, Anhänger von Verschwörungsmärchen, Hobby-Köche und so weiter.
"42,195 Kilometer auf der Flucht vor sich selbst"
So langsam arbeitet sich Böhmermann aber zu dem Punkt vor, der ihn am meisten am Marathon-Trend zu stören scheint: "Marathon – das muss doch mehr sein, als ne peinliche Challenge für sackige Mitvierziger in der vorgeriatrischen Orientierungsphase?", fragt der Satiriker und hat eine Idee: "Wovor laufen diese ganzen Marathonis weg?" Die Antwort sind geballte Negativ-Schlagzeilen, zu denen Böhmermann sagt: "Die Welt ist scheiße. Sie spüren das, ich spür das." Nur Marathon-Läufer spürten das nicht, denn diese seien "42,195 Kilometer auf der Flucht vor sich selbst".
Die Erklärung liefert Böhmermann umgehend: "Weil jeder Marathon ist ein ausgedachtes, aber bezwingbares Problem, das man versteht. Anders, als diese ganzen echten Probleme. Und weil wir glauben, dass wir diese Probleme nicht lösen können oder weil wir sie vielleicht einfach nicht lösen wollen, laufen wir weg. […] "Und wenn wir viel Geld bezahlen, kriegen wir zur Belohnung dafür am Ende sogar eine Medaille von BMW."
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Marathon als eine Form von Eskapismus? Eine steile Behauptung, die aber mit Sicherheit auch für den einen oder anderen gelten mag. Gleichzeitig würde das umgekehrt bedeuten: Würden Menschen keinen Marathon laufen, würden sie die Probleme der Welt lösen – eine fast noch steilere These. Außerdem kann man ja auch immer noch beides machen – Marathon laufen und die Welt retten. Das eigentliche Problem ist daher wohl eher, dass die meisten Menschen weder das eine noch das andere machen. Oder ganz anders formuliert: Irgendwie scheint es, als habe sich Jan Böhmermann beim Thema Marathon ein bisschen verlaufen.