Die EU und vier südamerikanische Staaten wollen eine der größten Freihandelszonen der Welt bilden. Das wäre auch eine Botschaft an die USA und China. Schafft das Projekt die letzte Hürde?

Seit 1999 verhandelt die EU mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay über ein Freihandelsabkommen. Es soll eine der weltweit größten Freihandelszonen mit über 700 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern schaffen. 25 Jahre später hat das Projekt heute eine große Hürde genommen: Die EU-Kommission leitete die juristisch überprüfte Fassung der Vertragstexte an die Regierungen der EU-Staaten und das Europäische Parlament weiter. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem "Meilenstein".

Die wichtigsten Hürden stehen allerdings noch aus: Der Rat der EU-Länder und das Europaparlament müssen zustimmen, damit das Abkommen gültig wird – und längst nicht alle sind überzeugt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was sieht das Mercosur-Abkommen vor?

Im Kern geht es um den Abbau von Handelsschranken. Für 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren sollen Zölle abgeschafft werden. Nach Berechnungen der EU-Kommission würden sich für europäische Exporteure dadurch jährliche Einsparungen in Höhe von rund vier Milliarden Euro ergeben.

Welche Strategie steht dahinter?

Das Mercosur-Abkommen passe gut in die "in der heutigen Welt so wichtige" Diversifizierungsstrategie der neuen EU-Kommission, sagte eine Kommissionsbeamtin in einem Online-Pressebriefing für deutsche Journalisten am Mittwoch. Meint: in Zeiten, in denen die USA Europa mit Zöllen belegen und die Handelsbeziehungen mit China angespannt sind, gilt es, sich möglichst viele Partner zu suchen. Und zwar möglichst demokratische.

Genauso sieht es Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP, der größten Fraktion im Europäischen Parlament. "Die beste Antwort auf den Protektionismus von Donald Trump ist jetzt, mit den globalen Partnern, die mit uns Freihandel weiter praktizieren wollen, ins Geschäft zu kommen", sagte er vergangene Woche in der Bundespressekonferenz.

Aus dem gleichen Grund ist die EU dabei, das Handelsabkommen mit Mexiko aus dem Jahr 2000 zu erneuern.

Was hätte Deutschland vom Mercosur-Abkommen?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hoffen auf bessere Geschäfte für die deutsche Exportwirtschaft und mehr Arbeitsplätze. Zu den Profiteuren werden unter anderem Autohersteller und die Chemieindustrie gezählt. Der BDI setzt zudem auf Rohstoffe wie Lithium und Kupfer aus Südamerika, die Europa für Elektroautos braucht.

Die DIHK sprach angesichts des Beginns der Ratifizierung von einem "längst überfälligen Meilenstein". Demnach exportieren 12.500 deutsche Unternehmen in die Region, 72 Prozent davon sind kleine und mittlere Betriebe.

Auch für den Export von europäischen Lebensmitteln erhoffen sich die Befürworter eine "wesentliche Verbesserung", wie die Kommissionsbeamtin am Mittwoch sagte. Denn die Zölle für die meisten Agrarprodukte sollen binnen vier Jahren auf null gesetzt werden, darunter Wein (jetzt 27 Prozent), Schokolade (jetzt 20 Prozent) oder Olivenöl (jetzt zehn Prozent).

Wer ist dagegen?

Bisher hatte vor allem Frankreich Bedenken. Präsident Emmanuel Macron begründete dies mit dem Schutz der eigenen Landwirte, vor allem vor billigerem Geflügel oder Rindfleisch aus Südamerika.

Auch Polen und Italien forderten einen Ausgleich für die Landwirtschaft. Österreichs Nationalrat hat sich gegen das Abkommen ausgesprochen, eine Änderung der Position des Wiener Parlaments ist aber theoretisch möglich.

Welche Bedenken gibt es noch?

Umweltorganisationen wie Greenpeace nennen das Abkommen "toxisch". Sie führen niedrigere Standards bei Pestiziden, Tierschutz und Arbeitsrechten in Südamerika an. Kritisch sehen sie auch den Anbau von Gen-Soja, für das in Brasilien der Regenwald abgeholzt wird.

Was entgegnen die Befürworter?

Sie verweisen auf Klima- und Umweltvereinbarungen, die über eine Textfassung von 2019 hinausgehen. So soll das Pariser Klimaschutzabkommen ein zentrales Element der EU-Mercosur-Beziehungen werden. Zudem gibt es laut EU-Kommission Zusagen, die Entwaldung in Südamerika "bis 2030 zu stoppen". Das Abkommen respektiere sämtliche EU-Gesetze und -Standards, betonte die EU-Beamtin.

Für bestimmte Agrarprodukte aus den Mercosur-Ländern, darunter Rindfleisch, Geflügel oder Zucker, ist die Menge, die zu den gesenkten Zöllen gehandelt werden darf, gedeckelt. Das soll europäische Landwirte schützen. Bei Rindfleisch zum Beispiel entspricht die Menge laut EU-Kommission nicht einmal zwei Prozent dessen, was in der EU hergestellt wird.

Wo steht das Abkommen?

Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte die Vereinbarung beim Mercosur-Gipfel im Dezember in Uruguays Hauptstadt Montevideo unterzeichnet. In der EU musste das Abkommen im Anschluss in alle Amtssprachen übersetzt und von Juristen wasserdicht gemacht werden. Diese Arbeit ist nun abgeschlossen.

Wie geht es weiter?

Die Kommission könnte die Vereinbarung in zwei Abschnitte aufteilen, einen politischen und einen Handelsteil. Den separaten Handelsteil könnte kein EU-Land alleine blockieren – auch nicht Frankreich. Im Rat der EU-Länder wäre für den Abschluss eine sogenannte qualifizierte Mehrheit nötig: mindestens 15 Mitgliedsländer, die zusammen mehr als 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. Im Europaparlament reicht eine einfache Mehrheit.

Die Kommission hofft, dass die Mitgliedsstaaten noch dieses Jahr grünes Licht geben. Ob das klappt, ist offen.

Empfehlungen der Redaktion

Welche Hürden gibt es?

Gegner des Abkommens könnten versuchen, eine sogenannte Sperrminorität zu organisieren, um einen Beschluss zu verhindern. Dafür wären vier Mitgliedsländer nötig, die mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Dies könnte Frankreich, Italien, Polen gemeinsam mit Österreich gelingen. Auch im Parlament gibt es zahlreiche Gegner des Abkommens.

Wie will die Kommission dies lösen?

In dem von der Kommission erarbeiteten Text soll nach Angaben mit den Verhandlungen vertrauter Quellen ein Zusatz enthalten sein, der die Schutzklausel für "sensible Agrarprodukte" stärkt. Demnach würde die Kommission sich verpflichten einzuschreiten, falls das Abkommen negative Auswirkungen auf bestimmte Branchen hätte. Rechtlich würde dieser Zusatz keine Neuverhandlung mit den Mercosur-Ländern erfordern. Das könnte Frankreich zu überzeugen und die Landwirte beruhigen. (mcf)

Verwendete Quellen: