Die Roten Socken sind wieder da! CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schaltet im kleinen "Triell" bei Anne Will auf Attacke und fängt sich einen emotionalen Konter seines Duz-Feindes Kevin Kühnert. Cem Özdemir legt sich mit einer Journalistin an.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein Gespenst geht um im TV-Studio von "Anne Will" - es ist das Gespenst des Kommunismus, beschworen von Paul Ziemiak. Der CDU-Generalsekretär sieht schon rote Fahnen am Bundestag aufziehen, weil Olaf Scholz nach der Wahl angeblich ein rot-grün-rotes Bündnis schmieden will. Anne Will reagiert auf die Rückkehr der Roten-Socken-Kampagne mit mildem Spott, Ziemiaks Duz-Feind Kevin Kühnert kontert mit einer denkwürdigen Suada. Der Grüne Cem Özdemir fühlt sich von allen Seiten schlecht behandelt.

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Das ist das Thema bei Anne Will

Vier Wochen sind es nur noch bis zur Wahl, in den Umfragen liegen Union, SPD und Grüne ungefähr gleichauf. In der Kanzlerfrage jedoch dominiert Olaf Scholz seine Konkurrenten mit bemerkenswertem Vorsprung, im ZDF-Politbarometer wies er jüngst 49 Prozent Zustimmungsrate aus, Armin Laschet und Annalena Baerbock nur 17 bzw. 16 Prozent. Am Sonntagabend lieferten sich die Kandidaten ihr "Triell" im Privatfernsehen, Anne Will fragte: "Wählen in Krisenzeiten – wem trauen die Deutschen das Kanzleramt zu?"

Das sind die Gäste

Eine "Richtungsentscheidung" ruft Paul Ziemiak (CDU) aus: "Entweder Deutschland bleibt stabil, oder wir erleben einen Linksruck." Es geben einen "klaren Plan" für Rot-Rot-Grün.

Kevin Kühnert (SPD) legt sich auf eine andere Wunschkoalition fest: "Wenn ich mir die aktuellen Zahlen anschaue, sind wir vier Prozentpunkte von einer rot-grünen Mehrheit entfernt."

Cem Özdemir nimmt die sinkenden Umfragewerte seiner Grünen demonstrativ gelassen: "Ich war Spitzenkandidat mit 8 Prozent, jetzt haben wir 20 Prozent." Baerbock habe beim Triell "beeindruckend gezeigt, dass sie es kann."

"Die Wahl ist offen", sagt "Spiegel"-Journalistin Christiane Hoffmann. Zu viele Wähler seien noch unentschieden, gut möglich, dass am Wahlabend gar kein klarer Sieger feststehe.

Ihre Kollegin Jana Hensel von der "Zeit" ist anderer Meinung: "Bei den Persönlichkeitswerten sind die Unterschiede doch dramatisch." Sie glaube nicht, dass sich am Aufwärtstrend der SPD noch etwas ändere – weil sowohl Union als vor allem auch Grüne den Fehler gemacht hätten, ihre Spitzenkandidaten nicht auszutauschen.

Das ist der Moment des Abends

Man kann politisch zu Kevin Kühnert stehen, wie man will, aber er versteht sich auf die Kunst des politischen Schlagabtauschs. Als Friedrich Merz am Samstag einen Ausschnitt einer Rede twitterte, in der er behauptete, Kevin Kühnert und Saskia Esken seien "in keiner Fernsehsendung, in keiner öffentlichen Veranstaltung zu sehen", antwortete @KuehniKev: "Morgen, 21.45 Uhr, bei @annewill. Ich werde Ihnen zu Beginn einmal zuzwinkern." Versprochen, gehalten: Bei seiner Vorstellung zwinkerte Kühnert in die Kamera. Und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Als die Union die berühmte "Rote-Socken-Kampagne" aus der Taufe hob, war Paul Ziemiak gerade neun Jahre alt, und die Parteien, vor denen Kanzler Helmut Kohl damals warnte, hießen noch SPD und PDS. 27 Jahre später versucht sich Ziemiak an der x-ten Neuauflage, mit recht gewagten Vergleichen: Er sei 1985 in der Volksrepublik Polen geboren, erzählt Ziemiak, er wisse also, was es bedeute, wenn Sozialisten das Sagen haben in einem Staat.

Olaf Scholz jedenfalls werde "nichts zu melden" haben, wenn es die Chance auf eine Koalition mit SPD, Linken und Grünen gebe. "Dann wird es eine Linksregierung geben", eingefädelt von Saskia Esken und Kevin Kühnert, und damit würde Deutschland "alles verspielen, was wir in der Vergangenheit erreicht haben".

Anne Will belässt es bei einem spöttischen Lächeln und dem Hinweis, dass Ziemiaks CDU mit eben dieser SPD zusammen regiert, inklusive Saskia Esken, die seit zwei Jahren im Koalitionsausschuss sitzt.

Was Kevin Kühnert dann sagt, kursiert sofort als Filmchen in den Sozialen Medien, bevorzugt natürlich unter Menschen, die es nicht so gut meinen mit der Union. Es ist aber auch aus neutraler Sicht ein Leckerbissen der etwas deftigeren politischen Streitkultur, gerade nach dem etwas faden Triell: "Das ist natürlich alles herzergreifend, aber grandioser Quatsch. Ich weiß, Du musst das hier vortragen, die Verzweiflung ist groß, die Umfragen schlecht, die Partei will sehen, dass Ihr Euch aufrafft, aber wenn das Eure Verteidigungslinie ist - dann gute Nacht, Marie. Wenn man Leuten weismachen will, dass mit Olaf Scholz, ich wiederhole, Olaf Scholz die kommunistische Gewaltherrschaft Einzug hält in Deutschland (…), dann ist man falsch gewickelt."

So hat sich Anne Will geschlagen

Hart, aber gerecht: Die Gastgeberin piesackt alle Politiker in der Runde gleichermaßen. Paul Ziemiak ("Wir müssen jetzt kämpfen") haut sie die Durchhalteparolen mit einem saloppen "Warum haben Sie das nicht schon längst gemacht?" um die Ohren. Den einstigen "Olaf verhindern"-Vorkämpfer Kevin Kühnert konfrontiert sie mit seinem wenig glaubwürdigen Wandel zum Scholz-Fanboy. Und Cem Özdemir kommt bei Will mit seiner Ja-Nein-Vielleicht-Distanzierung von der Linkspartei nicht durch.

Zuschauer-Befragung: Scholz gewinnt TV-Triell

Die Bundestagswahl rückt näher - entsprechend wenig haben sich die Kanzlerkandidaten Scholz, Laschet und Baerbock beim TV-Triell geschont. Nach einer ersten Umfrage gibt es einen klaren Sieger. © ProSiebenSat.1

Das ist das Ergebnis

Ein Lapsus unterläuft Will dann doch, als sie die Flutkatastrophe als "spitzenmäßige Vorlage" für die Grünen bezeichnet, was Özdemirs ohnehin schon schlechte Laune noch sinken lässt: "Ich bin wohl ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber für mich ist es keine 'spitzenmäßige Vorlage', wenn Menschen sterben."

Der Grüne fühlt sich den ganzen Abend latent schlecht behandelt, immer wieder beschwert er sich über zu wenig Redezeit, als Paul Ziemiak ihn unterbricht, hält er seinem CDU-Kollegen einen Vortrag über höfliche Umgangsformen, nur um kurz darauf Journalistin Jana Hensel in einem Testosteron-Schwall zu versenken: "Sie mögen Annalena Baerbock nicht, das haben wir verstanden, das hat ganz Deutschland verstanden."

Hensels "Vergehen": Die "Zeit"-Autorin hatte immer wieder betont, dass der grüne Wahlkampf mit Robert Habeck als Spitzenkandidat erfolgreicher verlaufen würde. Auch wenn es Özdemir nicht beschwichtigen konnte: Laschet kann sie genauso wenig abgewinnen, Scholz hält sie immerhin für solide.

Vielleicht aber lässt sich dieser Wahlkampf auch, ganz verrückte Idee, über Inhalte gewinnen? Eher nicht, wenn man "Spiegel"-Journalistin Christiane Hoffmann folgt, die insgesamt die Themen vermisst. Hensel sieht das anders: "Wir haben Themen, aber sie kommen nicht zu den Kandidaten, wir sehen keine Figuren, denen wir die Themen zutrauen."

Zwei Trielle haben die Kandidaten noch, um Hensel und die unentschlossenen Wählerinnen noch von sich zu überzeugen – das nächste Mal am 12. September auf ARD und ZDF.

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