Am Freitag treffen sich US-Präsident Donald Trump und der russische Machthaber Wladimir Putin in Alaska. Und Europa hat kurz vorher wieder einmal gemerkt: Es sitzt nur am Kindertisch.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der deutsche Kanzler Friedrich Merz (CDU) und die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Großbritannien, Finnland, Polen, Großbritannien und Italien trafen sich zunächst mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Später mit Trump und Vizepräsident JD Vance. Zum Schluss folgte eine Beratung untereinander.

Die große Sorge der Europäer: Am Freitag könnte es folgenreiche Entscheidungen geben, die über die Köpfe der Europäer und Ukrainer hinweg getroffen werden. Unbedingt verhindern will man, dass Donald Trump einen Deal mit Russland eingeht, bei dem Europas Interessen nachgeordnet sind und Moskau keine Zugeständnisse machen muss. Trump selbst steht unter Druck: Er hatte im Wahlkampf mehrmals versprochen, den Ukraine-Krieg innerhalb kurzer Zeit zu beenden.

Merz fand jedoch im Vorfeld der Gespräche deutlich Worte: Man könne "nicht akzeptieren, dass über die Köpfe der Europäer, über die Köpfe der Ukrainer hinweg über Territorialfragen zwischen Russland und Amerika gesprochen oder gar entschieden wird", äußerte er.

Vorbereitungstreffen sind sinnvoll

Politikwissenschaftler Tobias Fella hat die Vorbereitungstreffen verfolgt. Er hält die Gespräche für sinnvoll und vernünftig, auch die Grundvoraussetzungen, die Bundeskanzler Merz und der ukrainische Präsident Selenskyi für eine Friedenslösung bekräftigt haben.

"Dazu zählt, dass ein Waffenstillstand am Anfang stehen muss, die Ukraine sich bereit erklärt, über territoriale Fragen zu sprechen, die Kontaktlinie aber der Ausgangspunkt ist. Außerdem soll eine rechtliche Anerkennung der besetzten Gebiete nicht zur Debatte stehen, es soll robuste Sicherheitsgarantien für das angegriffene Land geben und die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine soll sichergestellt sein", sagt Fella.

Auch die Aussage vom Donnerstag, dass eine gemeinsame Abstimmung mit den USA für die Euroäer wichtig bleibt und, wenn es nach dem Treffen in Alaska keine Bewegung geben sollte, euro-amerikanischer Druck auf Russland ausgeübt werden soll, sei plausibel.

Prestigegewinn für Russland

Fella sagt aber auch: "Der Teufel steckt im Detail." Denn der gesamte Kontext sei bedenklich: "Putin und Trump treffen sich allein in Alaska – das ist ein Setting, das sehr stark den russischen Vorstellungen entspricht, nämlich eine Welt der Großmächte, in der die Großen über die Kleinen entscheiden, ohne dass die Kleinen wirklich beteiligt sind."

Die Stärkeren setzen durch, was ihre Macht erlaubt, und die Schwächeren erdulden, was ihnen auferlegt wird; so hätte es schon in der Antike geheißen und dahin bewegten wir uns laut Fella auch erneut.

"Diese imperiale oder Großmachtlogik, bei der nur wenige Mächte wirklich souverän und eigenständig sind und untereinander – auch zu Lasten Dritter – bestimmen, was Stabilität ist und was nicht nicht, wird von den USA zu nicht geringen Stücken geteilt", sagt Fella. Auch sie setzten auf eine Logik des Stärkeren – der Stärkere bestimmt, was wahr ist, und setzt die Kontexte.

Auf dem Weg in eine neue Weltordnung

Dass das Treffen so überhaupt möglich ist, sei ein Prestigegewinn für die russische Föderation und für Putin. Dass außerdem im Vorfeld über die Medien über Gebietsabtretungen und über Konzessionen gesprochen wurde, zeigt laut Fella, wo wir sind: "Auf dem Weg in eine neue Weltordnung. Die alte Weltordnung kollabiert und es ist die Frage, was davon übrig bleibt."

Nato-Generalsekretär Rutte hatte sich jüngst im US-Fernsehen zu Gebietsabtretungen der Ukraine geäußert; diese seien kaum vermeidbar. Fella erinnert: "Historisch war es oft so, dass Gebietsabtretungen von der Partei im Krieg zu erdulden waren, die am Verlieren war oder verloren hat – das darf man nicht vergessen."

Die Weltordnung nach 1945 sei eine Ordnung gewesen, die auf der territorialen Unversehrtheit von Staaten und einem Gewaltverbot beruht hat. "In dieser Weltordnung hatten zumindest theoretisch alle die gleichen Rechte und Pflichten."

Nun aber erlebe man einen Ordnungsbruch. Zwar könne auch eine Großmachtordnung – wie nach dem Wiener Kongress von 1814/15 – Stabilität und Prosperität schaffen, aber eben unter anderen Vorzeichen, mit weniger Mitsprache und Schutz der kleineren Mächte.

Russland will USA und Europa spalten

Bei dem Vorbereitungstreffen sei noch einmal deutlich geworden: "Die Amerikaner wollen den Ukraine-Krieg hinter sich lassen, um sich anders zu fokussieren", sagt Fella. Innenpolitisch würden die USA zudem vermehrt oligarchisch-autokratische Merkmale und Strukturen aufweisen – mit vermutlich negativen Konsequenzen für Europa.

Vor Ukraine-Gipfel in Alaska: Merz nennt Grundlage für Frieden

Vor Ukraine-Gipfel in Alaska: Merz nennt Grundlage für Frieden

Vor dem in Alaska geplanten Treffen Trumps mit Putin stellen sich Europäer demonstrativ hinter die Ukraine. Merz unternimmt alles, um den US-Präsidenten mit fünf Punkten in die Pflicht zu nehmen.

"Trump will am Freitag vermutlich nur die Ukraine zum Thema machen, Putin wird versuchen, das Gespräch etwas breiter zu führen", vermutet der Experte. Dahinter könnte die Taktik stecken, Europa und die USA zu spalten.

"Die USA könnten auf andere Themen, abseits von der Ukraine, anspringen, wenn Trump sie als Erfolg verkaufen kann", erläutert Fella. Das könnte zum Beispiel die nukleare Rüstungskontrolle sein. Denn: Der "New Start"-Vertrag – der letzte bestehende Atomwaffen-Kontrollvertrag zwischen den USA und Russland – läuft im Februar nächsten Jahres aus.

Wird New START ein Thema?

In dem Vertrag bekennen sich Russland und die USA zur Verringerung strategischer Waffen und begrenzen beispielsweise die Zahl ihrer nuklearen Sprengköpfe auf maximal 1550.

"Vor dem Hintergrund des Auslaufens gibt es Sorgenvor einem nuklearen Rüstungswettlauf, der über den bereits eingeleiteten hinausgeht", sagt Fella. Möglicherweise könnten Gespräche über ein loses Nachfolgeabkommen in Alaska eingeleitet werden.

Russland sei es jetzt wichtig, sich kompromissbereit oder gesprächsbereit zu zeigen und die USA nicht zu verärgern. "Putin will erreichen, dass Trump am Ende sagt: Die Ukraine und die Europäer sind eher das Problem, nicht Russland", sagt Fella.

Dass sie es nicht sind, daran haben die Staats- und Regierungschefs Trump am Mittwoch (13.) sicherlich erinnert. Über die Versäumnisse hinwegtäuschen kann die Schalte aus Fellas Sicht dennoch nicht.

"Es war vernünftig, aber da agieren Getriebene, die immer wieder reagieren auf das, was die Vereinigten Staaten machen, die versuchen auf einen Zug aufzuspringen, der sich schon in Bewegung gesetzt hat und zumindest etwas Einfluss zu haben", sagt er.

Versäumnisse wirken jetzt

Das wiederum sei die Folge davon, dass die gemeinsame Abstimmung in Europa über Jahre versäumt wurde und die Abhängigkeiten von den USA nicht reduziert worden seien. Hätte man schon nach der Krimannexion von 2014 sukzessive den Aufrüstungsprozess eingeleitet, wäre das europäische Gewicht heute größer.

Hätte man nach Trumps erster Wahl zum US-Präsidenten die Zeichen der Zeit erkannt, wären die US-Hebel vermutlich weniger mächtig. Hätte man nicht über Jahrzehnte zu wenig in die Infrastruktur investiert und den Sozialstaat geschwächt, wäre die Wirkung der Desinformation geringer.

Vor diesen Hintergründen: Besonders herausfordernd nicht als Bittsteller, sondern als möglicher transatlantischer Partner auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.

"Für Trump, Russland und China sind die Europäer nachgeordnete Mächte. Aber das muss nicht sein – bei einem Kontinent, der so groß ist wie Europa, mit so vielen Einwohnern wie die EU, einem gemeinsamen Binnenmarkt, mit Deutschland als drittgrößter Wirtschaft der Welt und mit den Nuklearmächten Frankreich und Großbritannien", meint Fella.

Auf eigenen Füßen stehen

Trump könne sich auch jetzt wieder ein Stück weit bestätigt fühlen, denn fast alles, was die Europäer seit seiner Amtsübernahme gemacht hätten, sei maximale Anlehnung bis hin zur Anbiederung gewesen.

Empfehlungen der Redaktion

Wie stark das Gewicht der europäischen Worte nun war – man wird es erst nach dem Treffen in Alaska sehen können. Schon im Vorfeld ist für Fella aber klar: "Europa muss auf eigenen Füßen stehen, das heißt es, die Abhängigkeiten von den USA schrittweise reduzieren.

Europa sollte die alte Partnerschaft mit den USA nicht zurückwollen, einerseits, weil diese absehbar nicht möglich sein wird, andererseits, weil Europa eines asmmyetrische Beziehungen zu den USA nicht nötig hat, wenn es sich besser koordiniert.."

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er hat zur amerikanischen Außenpolitik promoviert und befasst sich mit Großmachtbeziehungen im Kontext des Ukrainekriegs.