Der verletzte Manuel Neuer wird dem FC Bayern die komplette Rückrunde fehlen. Durch die Trennung von Torwarttrainer Tapalovic verliert Neuer jetzt auch noch einen wichtigen Vertrauten. Mit Yann Sommer steht beim FC Bayern erstmals ein echter Konkurrent bereit. Wie kann es für Neuer in München weitergehen?

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Es ist sicherlich eine der schwierigsten Phasen in der langen Karriere von Manuel Neuer. Erst das bittere Aus in der Vorrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Dann die schwere Beinverletzung bei einem Skiausflug im Dezember. Und in dieser Woche trennte sich der FC Bayern auch noch mit viel kritischer Begleitmusik von seinem wichtigen Vertrauten und langjährigen Torwarttrainer Toni Tapalovic.

Für Neuer ist die Situation vor allem deshalb so schwierig, weil viel über ihn geredet wird, aber er nicht auf dem Platz antworten kann. Stattdessen steht mit Yann Sommer zum ersten Mal in der über zehnjährigen Bayern-Karriere des deutschen Nationalmannschaftskapitäns ein echter Konkurrent im Tor des FC Bayern. Sommers Vertrag läuft bis 2025 und damit sogar ein Jahr länger als der von Neuer.

Nicht die erste langwierige Verletzung für Neuer

Bis Neuer zurückkehrt auf den Platz, wird es noch eine ganze Weile dauern. Die Saison ist gelaufen. Wie schnell er danach wieder seine volle Fitness erreicht, ist fraglich. Der 36-Jährige brauchte schon in der jüngeren Vergangenheit immer wieder etwas Zeit, nach Verletzungen seine Top-Form zu finden. Seit 2017 hat er über 50 Spiele verletzungsbedingt verpasst. In dieser Rückrunde kommen noch einige oben drauf.

Es war also erwartbar, dass jetzt viel über Neuers Zukunft spekuliert wird. Das reicht von absurden Vorstellungen über einer Beteiligung Neuers an der hohen Millionen-Ablöse für Yann Sommer bis hin zur deutlich relevanteren Frage, ob die Bayern nicht sehr bald die Weichen für eine langfristige Lösung auf der Torwartposition stellen sollen.

Viele Ratschläge für Neuer

Toni Schumacher riet Neuer zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Didi Hamann sieht Yann Sommer auch nach der Rückkehr von Neuer als potenzielle Nummer eins. Markus Babbel sprach von einer Wohlfühloase, aus der Neuer nun herauskommen müsse. Einzig Uli Hoeneß sprang dem Keeper kürzlich im Sport1 Doppelpass bei und unterstrich die große Rückendeckung für den Kapitän während der Reha-Phase.

Natürlich muss sich der FC Bayern nach der schweren Verletzung von Neuer Gedanken machen und für den Sommer verschiedene Szenarien diskutieren. Der Name Gregor Kobel (25) ist dabei nach überragenden Leistungen bei Borussia Dortmund in der jüngeren Vergangenheit früher oder später nur eine logische Schlussfolgerung.

Trotzdem kommt die ganze Diskussion um Neuer etwas zu früh. Neuer hat im Gesamtpaket sicher nicht mehr die Qualität wie vor fünf oder zehn Jahren. Sein Spiel ist insgesamt weniger spektakulär geworden. Sowohl auf der Linie als auch in seinen häufig riskanten, aber für Bayern sehr wertvollen Ausflügen außerhalb des Sechzehners. Kleinere Fehler haben sich zuletzt etwas gehäuft. Trotzdem war Neuer noch in der Hinrunde sehr konstant und zeigte zum Beispiel in der Champions League im Hinspiel gegen den FC Barcelona eine starke Leistung.

Neuer: Im Aufbauspiel und bei Flanken nach wie vor sehr gut

Neuer hat zudem weiter zwei ganz wesentliche Fähigkeiten, die ihn etwa von Yann Sommer unterscheiden. Auf der Linie und in Eins-gegen-eins-Situationen sind sie beinahe gleich stark, doch Manuel Neuer agiert im Aufbauspiel, anders als Sommer, wie ein echter elfter Feldspieler. Das erlaubt es den Außenverteidigern, häufig weit vorzurücken, weil Neuer fast immer gute Lösungen findet und auf den langen Ball verzichten kann. Sommer ist ein passabler Mitspieler, aber bei den Unentschieden gegen Leipzig und Köln war schon zu sehen, dass er sich eher auf klare, einfache Bälle konzentriert und beispielsweise scharfe Vertikalbälle auf Kimmich, Musiala oder Goretzka eher scheut.

Das mag wie eine Kleinigkeit klingen, ist aber ein wichtiges Element fürs Bayern-Spiel, weil der Aufbau so etwas umständlicher und aufwändiger wird. Auch bei Flanken war Neuer bis zu seiner Verletzung im Dezember, trotz weniger Risikobereitschaft als zu Beginn seiner Karriere, stärker und effektiver als Sommer.

Ohnehin ist die Debatte rund um einen verschärften Konkurrenzkampf völlig überhöht. Paris Saint-Germain hat mit Gianluigi Donnaruma und Keylor Navas zwei starke Torhüter. Bei Manchester City sitzt mit Stefan Ortega einer der besten Bundesligatorhüter der beiden Vorsaisons auf der Bank. Beim FC Chelsea stehen mit Kepa Arrizabalaga und Edouard Mendy zwei fast gleichwertige Torhüter im Kader. Natürlich ist eine solche Situation auf Dauer für eine starke Nummer Zwei schwer zu akzeptieren, aber mit Blick auf Neuers fortgeschrittenes Alter wäre eine hochkarätige Absicherung schon vor seiner schweren Verletzung durchaus sinnvoll gewesen.

Neuer wird als Nummer Eins zurückkehren

Neuer wäre zudem gut beraten, wenn er einen starken weiteren Torwart wie Sommer auch als Chance für Auszeiten und Spielpausen sieht. In der Vergangenheit klappte das nicht wirklich. Alexander Nübel kam in der Saison 2020/2021 nur auf vier mickrige Pflichtspieleinsätze. Kein Wunder, dass er die Chance auf dauerhafte Spielzeit beim AS Monaco vorzog.

Die Kritik, dass Neuers Vertrauter und Torwart-Coach Tapalovic sich nicht ausreichend um die Entwicklung des derzeit ausgeliehenen Nübels kümmerte, passt da nur ins Bild. Was hat Neuer als einer der am höchsten dekorierten Torhüter der deutschen Fußballgeschichte zu verlieren, wenn er gegen Ende seiner langen Karriere einige Pflichtspiele pro Saison proaktiv abgibt und damit nebenbei auch noch den Teamgedanken stärkt? Bei sachlicher Betrachtung nicht viel. Im Gegenteil.

Trotz all der öffentlichen Kritik der letzten Wochen: Neuer wird nach seiner Rückkehr sowohl bei Julian Nagelsmann als auch bei Hansi Flick in der Nationalmannschaft mit einem kleinen Vorsprung als Nummer Eins starten. Das hat er sich über Jahre als Kapitän auch verdient. Danach kommt es einzig und allein auf Leistungen an. Findet er zurück auf ein konstant hohes Niveau, wird Neuer in der Saison 2023/2024 in den wichtigen Spielen im Tor stehen. Fällt seine Leistung deutlich ab, wird die Diskussion zwangsläufig zunehmen. Neuer hat seinen weiteren Weg trotz der aktuellen Unruhe weiter selbst in der Hand. Der Abgesang dieser Tage kommt deshalb viel zu früh.

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