Die walisische Torhüterin Safia Middleton-Patel ist Nationalspielerin und Autistin. Ihr offener Umgang mit Reizüberflutungen und bunten Bausteinen beeindruckt.
Volle Stadien, laute Fans und Blitzlichtgewitter: Die Europameisterschaft in der Schweiz ist für viele Spielerinnen ein absoluter Genuss. Für Safia Middleton-Patel ist die große Bühne vor allem eines: anstrengend. Sie klopft dann mit ihren Fingern auf ihr Bein, schaukelt hin und her oder sitzt auf der Bank und hält sich die Ohren zu. Die walisische Ersatztorhüterin befindet sich im Autismus-Spektrum.
Ihr Leben im Profisport ist mit zahlreichen Herausforderungen verknüpft, doch die talentierte Keeperin ist schon mit 20 Jahren ein großes Vorbild. Sie kämpft gegen Gegentore und Vorurteile. Verständnisvolle Mitspielerinnen, ein eigenes Kinderbesteck und Legosteine helfen ihr dabei.
Denken andere an Taktik und Tempo, denkt sie an buntes Spielzeug. "Ich stelle mir den nächsten Pass wie den perfekten Legostein vor, der mir in meinem Set fehlt", erklärt Middleton-Patel. "Die Leute denken wahrscheinlich nicht an Lego, wenn sie Fußball spielen, aber ich suche nach diesem Stein, um bereit zu sein. Wenn sich der Spielzug ändert, kann ich immer noch umbauen."
"Mein Gehirn funktioniert – nur nicht wie das aller anderen"
Passend dazu hat sie sich eine Legofigur auf den rechten Unterarm tätowieren lassen – ohne Kopf. Stattdessen steht "Where is my mind?" über den Schultern des Spielzeugs. Es beschreibt ihre Gefühlswelt. "Mein Gehirn funktioniert – nur nicht wie das aller anderen", erklärt sie der BBC. Ihren ersten Zusammenbruch hatte sie in der 9. Klasse, mit 18 Jahren folgte die Diagnose.
Ihre rasend schnellen Gedanken sind nur einer der zahlreichen Aspekte der Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Auch die englische Europameisterin Lucy Bronze teilt diese Diagnose. Schwierigkeiten mit sozialen Kontakten sowie das Bedürfnis nach Routinen gehören dazu – und: eine "Superpower", wie Middleton-Patel ihren Hyperfokus nennt.
"Wenn ich spiele, höre ich nichts – nur den Ball und mich. Wahrscheinlich höre ich meinen eigenen Herzschlag mehr als alles andere", sagt die Torhüterin von Manchester United. In anderen Situationen strengt sie ihre Hyperkonzentration aber einfach nur an. "Wenn jemand neben mir sitzt und trinkt, sage ich: 'Warum trinkst du so laut? Kannst du damit aufhören?'" Personen, die Middleton-Patels Diagnose nicht kennen, stempeln sie dann oft als kindisch ab, sagt sie.
Middleton-Patel nach Debüt im Nationalteam eine Woche ans Bett gefesselt
Der Umgang mit fremden Menschen und Zuschauern birgt ohnehin viele Risiken für die Waliserin. Sie liebe ihre Fans, doch verzieht sich nach einem Spiel schnell in die Katakomben. "Das tut mir wirklich leid, aber meine geistige Gesundheit hat für mich oberste Priorität", sagt Middleton-Patel. "Wenn ich einfach nur zwei Minuten in einem ruhigen Raum sitzen muss, dann muss ich das tun. Sonst wird der Rest der Woche dadurch ruiniert." Nach ihrem Debüt für das Nationalteam etwa sei sie für eine Woche ans Bett gefesselt gewesen.
Ihre Mitspielerinnen zeigen großes Verständnis. Auch das kleine Kinderbesteck, das die Keeperin stets dabei hat, sind sie längst gewohnt. "Ich habe Probleme mit der Haptik und dem Gewicht – das Aussehen einer normalen Gabel macht mich wirklich wütend", sagt Middleton-Patel.
Sie ist Nationalspielerin, Autistin und vor allem ein Vorbild. Erst ihr Mut zur Offenheit macht sichtbar, was im Leistungssport oft verborgen bleibt. Wie der fehlende Baustein, der das Legoset vervollständigt. (SID/bearbeitet von lh)