Große Aufregung in der deutschen Leichtathletik: Marathonläufer Hendrik Pfeiffer darf nicht bei der kommenden WM in Tokio starten, obwohl er theoretisch qualifiziert ist. Doch der Verband nominiert ihn nicht. Pfeiffer reagiert daraufhin mit heftigen Vorwürfen.
Es ist der große Traum von Marathonläufer Hendrik Pfeiffer: Bei einer Weltmeisterschaft für Deutschland ins Rennen auf die 42,195 Kilometer gehen. Doch dieser Traum ist für den 32-Jährigen jetzt geplatzt, zumindest für die kommende WM in Tokio (13. bis 21. September).
Dabei hätte sich Pfeiffer mit seinen Leistungen in den vergangenen Monaten eigentlich für die Veranstaltung in Japan qualifiziert. Doch der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) nominierte ihn nicht für die WM, lässt sogar einen von insgesamt drei Startplätzen offen.
"Die Hürde, sich international für die WM zu qualifizieren – wie es mir locker gelungen ist – scheint wesentlich leichter zu sein, als seinen eigenen Verband auf seiner Seite zu haben."
Fassungslos und erbost machte Pfeiffer zuletzt in einem längeren Statement auf seinem Instagram-Kanal seinem Ärger Luft: Der Düsseldorfer möchte darin über die Situation aufklären, gleichzeitig macht er dem DLV und vor allem einer Person schwere Vorwürfe.
Eigentlich sei er nach den Absagen von Sebastian Hendel und Samuel Fitwi fest davon ausgegangen, bei der WM in Tokio starten zu können. Doch leider habe er "die Rechnung ohne den DLV gemacht", schreibt er zu dem Video-Statement auf Social Meida. "Die Hürde, sich international für die WM zu qualifizieren – wie es mir locker gelungen ist – scheint wesentlich leichter zu sein, als seinen eigenen Verband auf seiner Seite zu haben."
Die Qualifikation für die WM konnte auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen: Entweder über die Normzeit des Leichtathletik-Weltverbands World Athletic, die mit 2:06,30 Stunden recht hoch angesetzt ist. Oder aber über die Weltrangliste und eine zusätzliche interne Norm des DLV, die bei 2:07,50 Stunden liegt. Für die erfolgreiche Qualifikation hätte diese Zeit zwischen September 2024 und Mai 2025 gelaufen werden müssen. Ein Streitpunkt, über den sich auch Pfeiffer ärgert: Der DLV legte die neue Norm rückwirkend erst im vergangenen Dezember fest.
In Berlin verpasste Pfeiffer die DLV-Norm knapp
Beim Marathon in Berlin im vergangenen September verpasste Pfeiffer die DLV-Norm um 30 Sekunden. Da die Norm aber erst im Dezember festgelegt wurde, konnte der 32-Jährige zum Zeitpunkt des Rennens also noch gar nichts davon wissen. Pfeiffer erklärt auch, dass er in Berlin auf der Jagd nach einer neuen persönlichen Bestzeit und der direkten WM-Norm des Weltverbands zu viel Gas gegeben habe und am Ende eingebrochen sei. Hätte er von der DLV-Norm gewusst, hätte er das Rennen also auch anders angehen und so möglicherweise eine bessere Zeit laufen können.
"Einige Monate später wurde die Norm dann knapp unter meiner Zeit von Berlin angesetzt, rückwirkend", sagt Pfeiffer. "Da stellt sich mir schon die Frage: Ist das gerecht und ist das überhaupt juristisch vertretbar? Das lasse ich übrigens gerade juristisch überprüfen."
Die geforderte Norm konnte Pfeiffer in der Vergangenheit bereits unterbieten, im Januar 2024 lief er den Marathon in 2:07,14 Stunden. Doch dieses Rennen liegt nicht im vom DLV festgelegten Zeitraum zwischen September 2024 und Mai 2025.
Theoretisch wäre Pfeiffer für die WM qualifiziert
An sich wäre Pfeiffer über die Marathon-Weltrangliste für die WM qualifiziert, der DLV fordert jedoch auch das Einhalten seiner eigenen festlegten Norm und hält daran fest. "Die Norm ist auf jeden Fall gut so geschneidert, dass ich sie beim Berlin-Marathon genau verpasst habe", echauffiert sich Pfeiffer gegenüber "n-tv.". Rückwirkende Normen machen seiner Meinung nach keinen Sinn, vielmehr würden sie in die "Dynamik eines Qualifikationsprozesses eingreifen".
Pfeiffer kritisiert vor allem DLV-Vorstand Jörg Bügner für das Vorgehen. Bügner habe dem Marathonläufer zufolge "alles andere als ein angemessenes Führungsverhalten an den Tag gelegt", schreibt er auf Instagram und führt weiter aus: "Ein Funktionär sollte für die Athleten da sein und nicht nur so weit hinter ihnen stehen, wie es den eigenen machtpolitischen Ambitionen in die Karten spielt."

Pfeiffer würde laut eigener Aussage gerne mit Bügner über die Situation sprechen. Ein Gespräch blieb bislang allerdings aus, wie er erklärt: "Da drängt sich mir der Eindruck auf, dass da der eigene Vorstand Angst vorm Austausch mit dem Athleten hat."
Pfeiffer erfuhr durch Zufall von der Nicht-Nominierung
Bundestrainer Alexander Fromm habe ihm im Vorfeld einen WM-Startplatz in Aussicht gestellt und ihm die mündliche Zusage gegeben, dass er "uneingeschränkt" hinter dem WM-Start stehe, sagt Pfeiffer weiter. Doch plötzlich zog er diese Zusage wieder zurück, ein "bemerkenswertes" Umdenken, wie der Marathonläufer erklärt.
Dass er schließlich nicht mehr auf der offiziellen Nominierungsliste des DLV stand, habe Pfeiffer nur durch Zufall mitbekommen. Persönlich darüber informiert wurde er demnach nicht.
Leichtathletik-Verband reagiert auf Pfeiffers Vorwürfe
Der Verband reagierte zuletzt mit einem offiziellen Statement auf den Nominierungsprozess und die Vorwürfe Pfeiffers: "Das Verfahren ist transparent und bietet den Athlet:innen Planungssicherheit", erklärt Bügner in der Mitteilung. Weiter heißt es: "Zudem sind wir als bundesgeförderter Spitzenverband verpflichtet, die Richtlinien nicht nur fair und disziplinübergreifend anzuwenden, sondern auch am Weltmaßstab auszurichten."
Ein Satz im DLV-Statement verleiht der ganzen Thematik rund um Pfeiffers Nicht-Nominierung zusätzliche Brisanz: "Um als weiterer Athlet zum Kreis der Normerfüller dazuzustoßen, boten sich bei den Frühjahrsmarathons zahlreiche Gelegenheiten."
Operation im März – für Teilnahme an der WM
Das Problem: Im vergangenen März ließ sich Pfeiffer am Fuß operieren, nach Absprache mit unter anderem Bundestrainer Fromm, wie Pfeiffer erklärt. "Und diese Operation habe ich ja in Absprache mit dem Bundestrainer und der Bundeswehr gemacht, um im Herbst für die WM fit zu sein. Da kann man mir nicht vorwerfen, dass ich die Operation gemacht habe und im April oder Mai nicht mehr die Bestätigungsnorm gelaufen bin", sagt der bei der Bundeswehr als Sportsoldat angestellte Pfeiffer.
Dass er im Mai beim "Wings for Life World Run" in München mitgelaufen sei, wurde ihm im Nachhinein zum Vorwurf gemacht. Er habe den Charity-Lauf der Möglichkeit der Normerfüllung vorgezogen. Pfeiffer widerspricht jedoch klar: "Ein Start bei so einem Charity-Event ist für mich ein paar Wochen nach der Operation machbar, auch es zu gewinnen. Das ist für mich ein Dauerlauf in Zone 2 gewesen. Aber eine Weltklassezeit von 2:07 Stunden renne ich halt nicht so kurz nach einer Operation. Dass ein Entscheidungsträger in solch einer Position dies offenbar nicht reflektieren kann, ist haarsträubend."
"Denn kaum jemand brennt so sehr dafür, im Nationaltrikot zu starten."
Trotz der äußerst festgefahrenen Situation möchte Pfeiffer weiterhin bei der WM in Tokio starten: "Ich hoffe, dass die Verantwortlichen ihre Entscheidung noch überdenken und würde Deutschland für die Weltmeisterschaft weiter zur Verfügung stehen. Denn kaum jemand brennt so sehr dafür, im Nationaltrikot zu starten."
Dass es dazu kommt, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Das deutet auch der letzte Absatz in der DLV-Mitteilung an, der sich so liest, als sei er direkt an Pfeiffer gerichtet: "Wir haben großes Verständnis dafür, dass Athletinnen und Athleten enttäuscht sind, wenn sie nicht nominiert werden und am Ende nicht alle Startplätze vergeben werden. Solche Entscheidungen sind nie einfach. Gleichzeitig sind wir verpflichtet, die festgelegten Kriterien fair und einheitlich anzuwenden – und unserem eigenen Leistungsanspruch treu zu bleiben", wird Bügner zitiert.
Pfeiffer bekommt prominente Unterstützung
Zuspruch bekommt Pfeiffer von Leichtathletik-Kolleginnen und -Kollegen. "Es ist schade, dass andere Athleten ihre Nominierung nicht annehmen und der DLV dann sogar seine besser platzierten Athleten nicht mitnimmt", kommentiert etwa Marathonläufer Richard Ringer, der für die WM nominiert wurde, unter dem Beitrag von Pfeiffer.
"Da fehlen einem echt die Worte… Ein Verband sollte immer FÜR die Athleten da sein. Denn ohne Athleten kein Verband", schreibt Sprint-Star Gina Lückenkemper und auch Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt äußerte Unverständnis: "Und am meisten tut es weh, wenn man wirklich alles dafür geben würde, für Deutschland an der Startlinie zu stehen."