Sophie Alisch hat ihre erfolgreiche Boxkarriere aufgegeben, um es im Radsport zu Olympia zu schaffen. Wir haben uns mit der 23-Jährigen unter anderem über die Gründe für den Wechsel und die Herausforderungen unterhalten.
Sophie Alisch weiß, was sie will. Deshalb muss sie nicht lange überlegen, als es um einen Plan B geht. "Für mich gibt es nur Plan A", stellt sie im Gespräch mit unserer Redaktion klar. Und Plan A bedeutet: Eine sportliche Karriere im Straßenradsport, mit dem Ziel, 2028 bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles an den Start zu gehen.
Das Besondere dabei: Alisch kommt aus dem Boxsport, war jahrelang Profi und galt als neue
Frau Alisch, warum gibt man eine erfolgreiche Boxkarriere auf?
Sophie Alisch: Viele waren überrascht, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Ich hatte gerade erst meinen Vertrag mit Wassermann Boxing verlängert, alles lief gut. Aber ich hatte das Gefühl, dass noch mehr in mir steckt – sportlich, mental, perspektivisch. Ich wollte herausfinden, was möglich ist, wenn ich mich noch einmal völlig neu ausrichte. Das Frauenboxen befindet sich aktuell in einer Art Rezession, die Entwicklung ist rückläufig – und ich liebe den Wettbewerb. Aber zwischen den Kämpfen lagen oft Monate. Zwei- bis dreimal pro Jahr zu kämpfen war mir zu wenig.
Wie prekär ist denn die Lage im Frauenboxen?
Vor vier, fünf Jahren gab es einen richtigen Aufschwung. Es wurden mehr Frauenkämpfe veranstaltet, ganze Veranstaltungen nur für Frauen organisiert, die Aufmerksamkeit war da. Aber in den letzten zwei Jahren ging es wieder bergab. Ich habe das Gefühl, es wird nicht genug investiert. Ich liebe den Boxsport, er hat mich geformt und mir viel gegeben. Aber ich mag das Business dahinter nicht. Es gibt kaum Struktur, keine klare Saisonplanung, man weiß nie genau, wann man wieder kämpft. Das ist wie im Wilden Westen. Ich bin ein strukturierter Mensch und brauche Planbarkeit.
Einen gut dotierten Vertrag "aus dem Fenster geworfen"
Sie galten als neue Regina Halmich. Wie lange haben Sie überlegt, das alles hinter sich zu lassen?
Das war ein kurzer Prozess bis zur endgültigen Entscheidungsfindung. Ich habe trotzdem überlegt, viel abgewogen. Immerhin ging es auch darum, meinen erst kürzlich neu verlängerten, gut dotierten Vertrag 'aus dem Fenster zu werfen', wie manche es sehen. Viele haben mich gefragt, ob ich verrückt bin. Aber für mich war klar: Ich will glücklich sein und das machen, was mich erfüllt. Mein Vater hat dann gesagt: 'Mach das, was dich glücklich macht.' Und das war für mich der letzte Impuls, in den Radsport zu wechseln.
Warum gerade der Radsport?
Ich lebe auf Mallorca und bin dort oft Rennrad gefahren, zuerst nur als Ausgleich. Doch mit der Zeit hat sich eine echte Leidenschaft dafür entwickelt. Ich habe mich immer mehr mit dem Frauenradsport beschäftigt und gesehen, wie stark sich dort gerade alles entwickelt. Für Frauen wird dort viel mehr getan, das sind Welten im Vergleich zum Boxen. Nach meinem letzten Kampf im November wurde mir immer klarer: Ich bin jung, 23 Jahre alt, das ist der perfekte Zeitpunkt, etwas Neues zu wagen. Ich habe einen Leistungstest gemacht und die Werte waren überraschend gut, ich habe eine gute Grundlage, auf der ich mich entwickeln kann. Ich habe mit meiner Familie gesprochen, auf mein Herz gehört und mich entschieden: Ich will wechseln.
Wie risikoreich ist dieser Schritt aus finanzieller Sicht?
Ich hatte im Boxen gute Verträge und verdiene auch über meine Social-Media-Kanäle. Beides zusammen ist meine Einnahmequelle – ich kann davon sehr gut leben. Finanziell ist der Schritt trotzdem nicht risikoreich, ich habe mir durch den Sport und über Social Media eine große Fanbase aufgebaut. Ich bin nicht vom Sport abhängig.
Trotzdem: Das sind für einen Athleten zwei komplett verschiedene Sportarten. Was nehmen Sie aus dem Boxen mit in den Radsport?
Ich bringe vor allem mentale Stärke, körperliche Härte und Wettkampferfahrung mit. Diese innere Stärke hilft mir jetzt auch im Radsport, der ja ebenfalls ein krasser Ausdauersport ist. Das ist mental brutal. Und natürlich bringe ich auch physische Stärke mit. Im Feld musst du dich behaupten, auch mal Ellbogen ausfahren, da hilft die Grundkraft, die ich mir über Jahre im Boxen aufgebaut habe. Klar, beim Radfahren gilt: Je leichter, desto besser. Aber meine Power will ich behalten, die gibt mir ein gutes Fundament.
Und was müssen Sie zwingend ändern?
Was sich ändert, ist vor allem das Training. Ich war zwar schon vorher viel auf dem Rad unterwegs, aber jetzt fahre ich sechsmal die Woche vier bis fünf Stunden pro Tag. Mein Coach auf Mallorca bringt mich auf ein Level, auf dem ich mit den besten Frauen mithalten kann. Die Ausdauer steht dabei im Vordergrund. Es ist hart, aber es gibt mir viel zurück.
Die Ernährung ist wahrscheinlich auch eine völlig andere?
Im Boxen gibt es diese extremen Diätphasen vor dem Kampf. Jetzt muss ich darauf achten, genug zu essen, während der Fahrt sogar. Sonst fehlt die Energie. Ich habe schon rund fünf Kilo verloren, fühle mich aber fit und stark. Es ist eine neue Welt, aber sie macht mir Spaß.
"Brauche Raum, um zu wachsen"
Wie schwierig ist denn der sportliche Einstieg? Gibt es bereits Kontakte zu Teams?
Ja, seit der offiziellen Bekanntgabe meines Wechsels im Juni gab es bereits zwei Team-Anfragen. Ich möchte mir hier aber bewusst etwas Zeit lassen. Inzwischen habe ich mit CORSO Sports ein im Profiradsport sehr renommiertes Management an meiner Seite. Sie werden sich auch um den passenden Teamanschluss kümmern. Wichtig ist mir, ein Team zu finden, das mir die Zeit gibt, mich zu entwickeln. Ich bin ganz neu in diesem Sport und brauche diesen Raum, um zu wachsen. Mein Coach plant mit mir eventuell im August ein erstes Rennen, einfach zum Reinschnuppern, um Erfahrung im Feld zu sammeln.
Wann rechnen Sie mit dem ersten offiziellen Wettbewerb?
Das hängt natürlich davon ab, wie schnell wir ein geeignetes Team finden. Das kann bereits in ein paar Monaten der Fall sein. Und dann ist es das Ziel, nächstes Jahr erste UCI-Rennen zu fahren. Mein erstes UCI-Rennen war ursprünglich ein Ziel für die nächsten 12 bis 16 Monate. Aber aktuell mache ich deutlich schneller Fortschritte, als ich erwartet hatte. Das motiviert mich enorm und gibt mir Selbstvertrauen.
Der Profi-Wettbewerb ist noch einmal etwas anderes als Training, im Peloton kann es zur Sache gehen. Wie viel Respekt haben Sie vor dem Debüt?
Ich gehe das mit Respekt an, absolut. Es ist ein komplett neues Umfeld, mit neuen Menschen und einer eigenen Dynamik. Aber ich komme aus dem Profisport. Ich weiß, wie es ist, auf höchstem Niveau zu performen, erfolgreich zu sein und mich durchzubeißen. Gerade im Boxring musste ich mir vieles hart erarbeiten. Das hat mich geprägt. Ich bin selbstbewusst und überzeugt, dass ich mich auch im Radsport durchsetzen kann. Respekt ja – aber ebenso Zuversicht.
"Ich habe ein Zeichen gesetzt"
Sie haben diesen Schritt im Juni verkündet. Wie ist das Feedback ausgefallen?
Ich habe wahnsinnig viel positives Feedback bekommen. Viele Medien haben über meinen Schritt berichtet. Ich glaube, weil so ein Wechsel nicht alltäglich ist. Und was mich besonders gefreut hat: Viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie durch meine Entscheidung Mut fassen, auch eigene Veränderungen anzugehen. Das zeigt mir: Ich habe ein Zeichen gesetzt. Ich möchte andere ermutigen, auch mal auf ihr Herz zu hören.
Und auf Sponsorenseite?
Ich habe mit Canyon sofort einen starken Partner an meiner Seite gehabt. Sie haben an meine Geschichte geglaubt und wollten unbedingt Teil dieses Weges sein. Das war für mich ein echtes Statement. Ich habe mich riesig gefreut, denn Canyon ist eine der größten Marken in diesem Bereich. Auch meine bestehenden Partner, die mich schon im Boxsport unterstützt haben, sind weiter an meiner Seite. Sie glauben an mich und das, was ich tue. Das motiviert mich unheimlich, und ich bin sicher, dass da noch mehr kommt.
Sie hatten in dem Zusammenhang Social Media bereits erwähnt. Wie wichtig ist das für Sie?
Social Media ist für mich extrem wichtig – gerade im heutigen Profisport. Es ist nicht nur eine Plattform zur Selbstvermarktung, sondern längst ein zweites Standbein. So wie Models ihre Setcard haben, so präsentieren wir Sportler uns über Social Media. Es geht nicht nur um Reichweite, sondern auch um Authentizität, um Community und um den Kontakt zu den Menschen, die einen unterstützen. Ich sehe es als zweites Standbein. Marken und Sponsoren achten sehr darauf, wie du dich online zeigst. Gleichzeitig ist es aber auch ein Ort, an dem ich wirklich motivierende Rückmeldungen bekomme.
Erleben Sie auch die Schattenseiten der sozialen Medien mit Kommentaren unter der Gürtellinie?
Ja, natürlich gibt es auch Kritik oder dumme Kommentare. Die gehört dazu. Ich ignoriere sie, soweit es geht. Wer auf meinem Account respektlos wird, wird blockiert. Aber ich lasse mich davon nicht runterziehen.
Haben Sie durch den Wechsel zum Radsport Follower verloren?
Das freut mich besonders: Meine Community ist geblieben. Die Menschen sind neugierig auf meinen Weg, wollen ihn mitgehen. Das zeigt mir, dass ich etwas richtig gemacht habe.
Olympia 2028: Wie realistisch ist das?
Vor allem Ihr Ziel hat für Aufsehen gesorgt. Sie wollen 2028 bei Olympia dabei sein. Wie realistisch ist das?
Empfehlungen der Redaktion
Ich trete im Radsport nicht an, um nur dabei zu sein. Ich will Erfolg. So war es im Boxen, so ist es jetzt auch. Olympia ist für jede Sportlerin ein Traum. Ich habe diesen Traum nicht aufgegeben, sondern nur verlagert. Ich bin überzeugt, dass Olympia 2028 in Los Angeles ein realistisches Ziel ist. Wenn ich etwas wirklich will, dann gebe ich alles dafür. Und auch große Etappenrennen wie die Tour de Femme oder den Giro d’Italia Donne habe ich klar im Blick. Ich bin der Meinung: Wer keine Ziele hat, hat keinen Antrieb.
Gibt es trotz allem einen Plan B?
Nein, für mich gibt es nur Plan A. Ich habe mich zu 100 Prozent für diesen Schritt entschieden. Das ist mein Weg. Ich ziehe ihn mit vollem Einsatz und maximaler Motivation durch, Tag für Tag im Training. Ich bin überzeugt, dass der Radsport der richtige Sport für mich ist. Ich glaube fest daran, dass ich hier eine Karriere aufbauen kann, die mich erfüllt. Und deshalb gibt es keinen anderen Plan.
Über die Gesprächspartnerin
- Sophie Alisch begann als 13-Jähriuge mit dem Boxsport, mit 17 Jahren wurde sie Profi. Im Federgewicht feierte sie zehn Siege in zehn Kämpfen, ehe sie im Juni den Wechsel in den Radsport bekanntgab. Das große Ziel der 23-Jährigen sind die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles.