Schon viermal hat Russland wegen seines Kriegs gegen die Ukraine nicht beim Eurovision Song Contest mitsingen dürfen. Nun muss eine Konkurrenzveranstaltung her - mit interessanter Gästeliste.

Russland will zurück auf die internationale Bühne und versucht das am kommenden Samstag (20.9.) ganz wörtlich: Der Intervision Song Contest (19.30 MESZ) in Moskau soll eine Konkurrenz zum millionenfach geschauten Eurovision Song Contest (ESC) werden, aus dem Russland wegen seines Angriffskriegs ausgeschlossen worden ist. Wie so vieles im flächenmäßig größten Land der Erde ist der Wettbewerb ein Auftrag von ganz oben: Kremlchef Wladimir Putin ordnete ihn Anfang Februar per Dekret an. Angesetzt sind dreieinhalb Stunden für den Abend.

Neu ist die Idee nicht, ein Pendant zum Eurovision Song Contest gab es schon während des Kalten Krieges zu Sowjetzeiten. Nun sollen mehr als 20 Acts in der Moskauer Konzerthalle Live Arena mit Platz für bis zu 11.000 Menschen auftreten. Anders als beim ESC ist keine Publikumsabstimmung vorgesehen, über den Gewinner-Act entscheidet eine Jury. Noch vier Tage vor dem Wettbewerb veröffentlichte der Veranstalter neue Teilnehmer. Wie offiziell die Auftritte der Musiker für ihre Länder sind, ist unklar.

Veranstalter kündigt US-Auftritt an

Für die USA soll laut Veranstalter der Sänger B Howard (Brandon Howard) singen. Schlagzeilen machte er bislang vor allem durch Gerüchte darüber, ob er ein Sohn von Michael Jackson ist. In der Jury werde die USA nicht vertreten sein und auch keine Delegation schicken, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz vor der Veranstaltung. Ihm zufolge soll die US-Administration erklärt haben, dass es sich um eine private Teilnahme des Künstlers handele.

Das einzige Land, das beim ESC und den Angaben der Veranstalter nach auch in Moskau antritt, ist Serbien. Weitere Teilnehmer sind unter anderem Russlands enger Verbündeter Belarus und der Unterstützer China ebenso wie Musiker aus Indien, Südafrika, Ägypten oder Kuba.

Für Russland soll der ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow alias Shaman auftreten. Bekannt wurde er in seiner Heimat vor allem durch das nationalistische Lied "Ja Russki" (deutsch: Ich bin Russe), das wenige Monate nach Kriegsbeginn veröffentlicht wurde. Er ist klarer Befürworter der Invasion und hat sich als Anhänger von Kremlchef Wladimir Putin geäußert. Häufig tritt er bei den von der russischen Obrigkeit organisierten Konzerten wie zum Jahrestag der Annexion der Krim auf. Er steht auf der EU-Sanktionsliste.

ESC war auch in Russland populär

Der Rauswurf aus dem lange auch in Russland sehr beliebten ESC schmerzt die Russen. Mit seinem Sieg 2008 brachte Dima Bilan den ESC im Folgejahr nach Moskau. Nach vier Ausgaben ohne einen Vertreter soll der eigene Wettbewerb nun die Sache richten. Bilan ist dabei offizieller Botschafter.

Intervision biete allen Ländern die Chance, "ohne jede Zensur" ihre besten musikalischen Traditionen vorzustellen, versprach Außenminister Lawrow. "Ich garantiere, dass es dort keine Perversionen und Verhöhnungen der menschlichen Natur geben wird."

Bei der Pressekonferenz wenige Tage vor dem Ereignis sprach er davon, dass es bei Intervision keine Einschränkungen gebe, lediglich "Kriterien", wonach die nationale Kultur und Tradition präsentiert werden müsse. Der Wettbewerb ist Teil von Russlands konservativer Kulturpolitik. "Das ist gerade auf die Bewahrung von Traditionen - kulturellen, religiösen, spirituellen, ethischen gerichtet, wenn Sie so wollen", sagte Lawrow.

Kreml erwartet Ereignis im Weltmaßstab

Bei der Pressekonferenz wurde mehrfach der angeblich offene, unpolitische Charakter der Veranstaltung betont, doch die Besetzung des Podiums sprach eine andere Sprache. Sergej Kirijenko, der einflussreiche Vizechef der Präsidialverwaltung, rechnete vor, dass die Intervision-Teilnehmerländer 4,3 Milliarden Menschen zählen - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Konstantin Ernst, Generaldirektor des Ersten Kanals im russischen Fernsehen, brachte das Stichwort Multipolarität - Russland und seine Mitstreiter wollen eine Welt, die nicht mehr von den USA beherrscht wird. Ansonsten versprach Ernst den Zuschauern einen Abend auf der Höhe moderner Fernsehkunst.

Russland unterdrückt Minderheiten

Der ESC ist bekannt für bunte Auftritte, auch von queeren Künstlern. Nemo, der Schweizer Gewinner-Act von 2024 zum Beispiel identifiziert sich selbst als non-binär, weder nur dem weiblichen noch männlichen Geschlecht zugehörig. 2014 gewann für Österreich der schwule Sänger Tom Neuwirth als Sängerin Conchita Wurst. In Russland sind die Rechte von Menschen, die von der vorgeblichen Norm abweichen, stark eingeschränkt. Die öffentliche Darstellung von Homosexualität etwa ist verboten.

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"Wir bestreiten nicht das Recht der Jury und der Zuschauer beim ESC für einen bärtigen Mann im Frauenkleid oder anderen Modifikationen seines Organismus zu stimmen", sagte Lawrow - nur in Russland soll so etwas nicht vorkommen. Auch die belarussische Teilnehmerin Nastja Krawtschenko sagte in einem Interview zur Abgrenzung vom ESC, sie sei sicher, dass die Veranstalter keine "Freakshow" zulassen würden. Und sie sei ganz sicher, dass es so etwas wie Männer in hohen Schuhen nicht geben werde. (dpa/bearbeitet von dh)