Zum 75. Geburtstag verabschiedet sich Thomas Gottschalk von den großen Showbühnen. Ob es nun wirklich still wird um den Entertainer? Ein Blick auf sein Lebenswerk lässt anderes vermuten.

Meine Meinung
Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Julia Hackober dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Er sei nun älter als der Papst, kalauerte Thomas Gottschalk vergangenen Samstagabend in der TV-Show "Denn sie wissen nicht, was passiert". Mit 75 Jahren sei auch er in einem Alter, in dem man sich als Moderator aus dem ganz großen Showgeschäft rausnehmen sollte.

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"Ich habe 35 Jahre lang den Samstagabend betreut und im Griff gehabt", sagte Gottschalk, seine Moderationskollegen Barbara Schöneberger und Günter Jauch, ja, das ganze Studiopublikum spendeten stehende Ovationen. Und egal, ob man zu Gottschalks Fangemeinde gehört oder den Show-Zenit der ewigen Goldlocke längst überschritten sieht: In diesem Punkt hat er wirklich recht – das Samstagabend-Entertainment im deutschen Fernsehen, das war Jahrzehnte lang untrennbar mit seinem Namen verbunden.

Nun tritt also eine "TV-Legende" ab, wie es im Showgeschäft oft so schön pathetisch heißt. Also, noch nicht ganz, für Dezember ist eine große Abschiedsshow geplant, in der Gottschalks Leben und Wirken sicherlich gebührend gewürdigt wird.

Vielleicht wird Heidi Klum als Show-Gast auftauchen, die Gottschalk 1992 in einer Modelshow "entdeckte" und die ihm das mit zahlreichen Auftritten auf dem "Wetten, dass"-Sofa dankte. Oder natürlich Mike Krüger, Gottschalks Flachwitz-Kompagnon seit den 80er-Jahren und sein späterer Podcast-Co-Host. Oder Moderatorin Michelle Hunziker, die das ZDF 2009 als Verjüngungskur auf die "Wetten, dass"-Bühne stellte.

Der gutmütige Entertainer-Onkel

Oder, oder, oder. Die Liste der prominenten Namen, mit denen sich Thomas Gottschalk im Laufe seiner langen Karriere umgab, ist lang. Samstagabends im ZDF ließ er den Glanz großer Stars auf sich abstrahlen. Von 1987 bis 2010 moderierte Gottschalk mit nur kurzen Unterbrechungen "Wetten, dass", danach übernahm Markus Lanz, was man bis zu den Revival-Shows 2021 und 2023 schon fast wieder vergessen hatte.

Gottschalk machte die Show zum Fixpunkt im deutschen TV-Programm: Denn "Thommy", der selbst viele Jahre in Kalifornien lebte, schien auf Du und Du zu sein mit Hollywoods A-List. Dass Celebritys wie Tom Hanks oder Leonardo DiCaprio nach ihren Wetten auffällig oft direkt "zum Flieger" mussten, lange, bevor die Sendung zu Ende war, gehörte irgendwie zum Flair der Show – so meinte man im heimischen Wohnzimmer, den internationalen Glamour zu spüren.

Überhaupt gelang Gottschalk ein erstaunlicher Spagat zwischen großer, weiter Welt und deutscher Heimeligkeit. Er schien immer ein wenig in anderen Sphären zu schweben, mit den wilden blonden Locken, den verrückten, bunten Anzügen, mit seinem überkandidelten Schloss direkt am Rhein.

Gottschalk inszenierte keine falsche Bescheidenheit, um nahbar zu bleiben; er gab im TV den jovialen Haribo-Onkel, der Einblicke in eine Welt lieferte, die so ganz anders war als das tägliche Einerlei, und dafür liebten ihn die Zuschauer.

Das TV-Publikum wollte immer genau diese große Show von Thomas Gottschalk sehen. Und nur die. Seine Versuche, ins ernsthaftere Moderationsfach zu wechseln, etwa mit der Talkshow "Gottschalk live" (2012), waren meist nicht von großem Erfolg gekrönt. Peinlicher Tiefpunkt: die Corona-Livestreams mit Oliver Pocher und Günther Jauch und Stammtisch-Geplänkel über tagesaktuelle Entwicklungen.

In der breiten Öffentlichkeit blieb Thomas Gottschalk der Mann fürs Couch-Entertainment. Nach der großen ZDF-Ära folgten unzählige Auftritte in diversen RTL-Abendformaten, manche erfolgreicher, manche weniger.

Fleißig war und ist Gottschalk auch in einem Alter, in dem sich andere längst in die Rentengemütlichkeit verabschiedet haben: Fernsehen, Radio, ein eigener Podcast – an Gottschalk kam man in den vergangenen Jahren nicht vorbei, auch wenn man es noch so sehr versuchte.

Von Shitstorm zu Shitstorm

Denn auch das gehört zur Wahrheit über eine vermutlich einzigartige deutsche TV-Karriere: Mit zunehmendem Alter driftete Thomas Gottschalk immer weiter am Zeitgeist vorbei – und provozierte zuletzt so viel öffentliche Empörung wie in all den Jahren der Baggerwetten-Peinlichkeiten nicht.

In seinem Podcast "Die Supernasen" beschwerte er sich übers Gendern oder über Feminismus und redete über alles, was man angeblich "nicht mehr sagen dürfe", vor allem nicht als "alter, weißer Mann".

In einem "Spiegel"-Interview Ende 2024 schließlich verstieg sich der Entertainer in Aussagen ("habe Frauen rein dienstlich angefasst"), die klarmachten: Dieser Mann will gar nicht erkennen, dass die 1990er-Jahre längst Geschichte sind.

Einst gehörte Gottschalk zu diesen seltenen Charakteren, auf die sich alle irgendwie einigen konnten. Vielleicht ein wenig nervig, der Typ, aber im Grunde in Ordnung. Dass Gottschalk sich in seinen späteren Karrierejahren beratungsresistent und, noch schlimmer, so wenig neugierig auf neue Zeiten zeigte, das machte ihn im Internet zur Zielscheibe – und zum Risikofaktor für Auftraggeber.

Vielleicht hätte Thomas Gottschalk gut daran getan, sich zu Zeiten, in denen sein Kultstatus noch nicht von zig Shitstorms angeknackst war, in die Gemütlichkeit Baden-Badens zurückzuziehen, wo er inzwischen mit seiner zweiten Frau Karina lebt.

Aber klar: Den richtigen Zeitpunkt für den Abschied zu finden, gerade, wenn man sich selbst als Legende betrachtet, ist schwierig. Deshalb: Mal abwarten, ob es beim Abschied von der großen Showtreppe bleibt – oder ob Thomas Gottschalk die Sehnsucht nach dem ganz großen Applaus doch noch mal packt.