Mit "Ein bisschen Frieden", interpretiert von Nicole, führte Ralph Siegel Deutschland 1982 erstmals zum Grand-Prix-Sieg. Es sollte 28 Jahre dauern, bis Lena mit "Satellite" nachlegen konnte. Als Verantwortlicher für den Erfolg gilt gemeinhin Stefan Raab. Siegel sieht das aber anders, wie er uns in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags erklärt hat. Laut des Komponisten habe Raab die spätere ESC-Siegerin lediglich angesagt – nicht mehr und nicht weniger.
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Im Interview mit unserer Redaktion spricht Siegel über seine überwundenen Krebserkrankungen, seinen Broadway-Traum und seine ESC-Pläne nach der NDR-Ablösung durch den SWR.
Herr Siegel, was empfinden Sie mit Blick auf Ihren 80. Geburtstag?
Ralph Siegel: Als ich anlässlich meiner geplanten Geburtstagsfeier versucht habe, eine Liste mit meinen Freunden zu erstellen, ist mir bewusst geworden, wie viele dieser wunderbaren Menschen ich nicht mehr einladen kann – weil sie nicht mehr auf dieser Welt sind. Neben der Trauer um diese verstorbenen Wegbegleiter habe ich in diesem Moment eine große Dankbarkeit verspürt – nicht nur gegenüber meinen Ärzten, sondern auch gegenüber meinen Kindern und Ehefrauen. Ganz besonders möchte ich meiner aktuellen Frau danken, mit der ich sehr glücklich bin. Wenn ich Laura nicht kennengelernt hätte, wäre ich vielleicht keine 80 geworden.
Sie sind in Ihrem Leben mehrmals an Prostatakrebs erkrankt. Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht es gut. Zum ersten Mal wurde bei mir vor 20 Jahren Krebs diagnostiziert. Zunächst konnte ich geheilt werden, doch die Krankheit kehrte immer wieder zurück. Ich habe den Krebs mittlerweile viermal überwunden – mit Chemotherapien und allem, was darüber hinaus damit zusammenhängt. Die Medizin und die Ärzteteams haben es möglich gemacht, dass ich überhaupt 80 Jahre alt werden darf. Dazu gehört auch, dass man ein bisschen auf sich selbst aufpasst. Ich rate jedem Mann ab 40 oder spätestens 50, mindestens einmal im Jahr den PSA-Wert überprüfen zu lassen. Wenn man den Krebs früh genug erkennt, ist das lebensrettend.
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Wie werden Sie Ihren runden Geburtstag feiern?
Gott sei Dank haben mich viele wunderbare Menschen durch mein Leben begleitet, von denen ich natürlich einige eingeladen habe. Darunter sind Leute, von denen man gar nicht glauben würde, dass sie selbst schon um die 80 sind. Ich denke da an
Sie hätten Ihren Geburtstag auch auf dem Münchener Oktoberfest feiern können, das erst am 05.10. endet …
Na ja, günstiger wäre das auch nicht geworden (lacht). Nein, ich war zwar mein ganzes Leben lang ein Wiesn-Freak, doch irgendwann lässt das Interesse eben nach. Früher gehörte es für mich einfach dazu, acht- bis zehnmal das Oktoberfest zu besuchen. Wenn man aber 70 oder 80 wird, ist man leider nicht mehr so fit wie mit 30 oder 40. Da teilt man sich die Besuche ein. Heute gehe ich lieber tagsüber auf die Wiesn, weil die Menschen nachts doch ziemlich betrunken sind. Das ist nicht angenehm.
"Für mich als Komponist ist es ein großer Unterschied, ob ich mein Leben lang dreiminütige Lieder schreibe oder ein Oeuvre, also ein Werk, erschaffe, das zweieinhalb Stunden lang auf einer Bühne stattfindet."
Gut zwei Wochen nach Ihrem Geburtstag kehrt Ihr Musical "Zeppelin" nach Füssen ins Festspielhaus Neuschwanstein zurück. Wie stolz sind Sie darauf, dass Ihr Lebenswerk auch vier Jahre nach der Welturaufführung noch gespielt wird?
Das Schöne ist, dass wir bisher insgesamt über 100.000 Menschen zu Besuch hatten, die sich am Ende immer mit Standing Ovations von uns verabschiedeten. Das Lebensgefühl, das ein Komponist in diesem Moment empfindet, kann man gar nicht beschreiben. Es ist einfach fantastisch, in diese vielen strahlenden Augen blicken und 40 bis 50 glückliche Darstellerinnen und Darsteller nacheinander umarmen zu dürfen. Angefangen von Tim Wilhelm von der Münchener Freiheit über unseren Theaterdirektor Benjamin Sahler bis hin zu unserer Choreografin Steffi Gröning: Sie alle sind mit unglaublich viel Herzblut und Elan dabei. Alle Ideen, die ich mal im Kopf hatte, haben diese tollen Menschen noch viel besser realisiert.
Haben Sie damit allen Kritikern bewiesen, dass Sie auch Musical können?
Wissen Sie, es ist vergleichbar mit einem Schriftsteller. Der Eine schreibt ein Gedicht, der Andere schreibt ein Buch. Für mich als Komponist ist es ein großer Unterschied, ob ich mein Leben lang dreiminütige Lieder schreibe oder ein Oeuvre, also ein Werk erschaffe, das zweieinhalb Stunden lang auf einer Bühne stattfindet. Ich habe in meinem Leben bereits fast 3000 Songs komponiert, aber die Leute über so eine lange Zeit am Stück in Stimmung zu halten, ist etwas ganz anderes. Diese Arbeit hat mich geistig und körperlich sehr beansprucht. Und ja, es steckt viel Erfahrung und Können dahinter, so etwas auf die Beine zu stellen.
Inwiefern hat sich Ihr Musical-Epos über die drei Spielzeiten hinweg weiterentwickelt? An welchen Stellschrauben wurde gedreht?
Tatsächlich haben wir zu Beginn in dem Versuch, alles so gut wie möglich zu machen, zeitlich ein bisschen überzogen. Dreieinhalb Stunden mit Pause waren einfach zu lang. Dass wir das Stück mittlerweile fast um eine halbe Stunde gekürzt haben, tut mir natürlich weh – nicht nur meinetwegen, sondern auch weil dadurch jemand ein Solo verloren hat. Was das Publikum angeht, wird hingegen niemand die herausgeschnittenen Szenen vermissen, wenn er sie zuvor nie gesehen hat. Der Unterschied ist zum Beispiel, dass wir bei unserer Reise mit der Hindenburg nach Berlin nicht mehr 15 Minuten in Lettland Halt machen, sondern nur darüber hinwegfliegen.
Konnten Sie den finanziellen Verlust, den Sie zu Corona-Zeiten erlitten hatten, mittlerweile auffangen?
Nein, weil wir da von einem erheblichen finanziellen Verlust sprechen. Wegen dieser Pandemie mussten wir damals teilweise bis zu 1000 Menschen an einem Abend wieder nach Hause schicken. Auch der Krieg in der Ukraine hat es uns nicht leichter gemacht. Es war dramatisch. Umso mehr freue ich mich, dass wir jetzt weitermachen dürfen und nach wie vor viele Menschen "Zeppelin" sehen wollen. Ich habe mit Besuchern gesprochen, die unser Musical mittlerweile schon bis zu 18 Mal gesehen haben.
Wie haben Sie es geschafft, so lange durchzuhalten?
Ich bin ein ehrlicher Mensch und habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich mein Elternhaus in Italien, mein sogenanntes Urlaubshaus, verkaufen musste. Anders hätte ich die vielen Ausgaben nicht stemmen können. Wir mussten ja die Menschen, die letztlich umsonst geprobt haben, trotzdem bezahlen. Auch die Werbung war schon gelaufen. Ob die Termine letztendlich stattfanden oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Es war quasi alles für die Katz. Und trotzdem sagte uns Vater Staat, dass uns keine Corona-Hilfen zustehen würden. Die Argumentation war: Wer nicht gespielt hat, hat auch keinen Verlust. Das stimmt natürlich ganz und gar nicht.
Broadway-Plan: Wie Siegel sein Musical nach New York bringen will
Ist Ihr Traum, das Musical auf den Broadway zu bringen, realisierbar?
Ja, ist er. Wir waren schon zweimal zu Gesprächen in New York. Und wir haben einen guten Autor gefunden, der uns eine englische Version von "Zeppelin" geschrieben hat. Sie ist auch wirklich nicht schlecht, entspricht aber noch nicht exakt dem, was wir uns vorgestellt hatten. Häufig sind die englischen Versionen zu nah an den "Hindenburg"-Filmen. Diesem Autor war der Absturz der Hindenburg wichtiger als das Leben des Grafen von Zeppelin. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir das hinkriegen werden – zumal wir in New York zwei sehr gute Produzenten gefunden haben. Auch ein norwegischer Produzent hat sein Interesse bekundet. Er würde das Musical gerne in Oslo präsentieren.
Für den Eurovision Song Contest ist im nächsten Jahr der SWR federführend verantwortlich und nicht mehr der NDR, der Sie vor vielen Jahren quasi ausgeschlossen hat. Ist der ESC jetzt wieder ein Thema für Sie?
Ich würde nicht sagen, dass mich der NDR ausgeschlossen hat. Das wäre etwas zu viel des Guten. Man kann aber sagen, dass die Entscheidungsträger die von mir eingereichten Lieder in den vergangenen 20 Jahren so gut wie nicht gewählt haben. Damit habe ich grundsätzlich kein Problem. Nur wenn, so wie beim letzten Mal geschehen, 24 Songs von Herrn
Aber Stefan Raab hat Deutschland doch 2010 mit Lenas "Satellite" zum Sieg geführt, oder etwa nicht?
Stefan Raab ist natürlich ein grandioser Selbstdarsteller, er hat auch tolle Shows gemacht und ist ein begabter Musiker. Aber: Er hat Lena zwar in seiner Show angesagt, das Lied "Satellite" hat er aber weder komponiert noch produziert. Raab den ESC-Sieg zuzuschreiben, wäre so, als würde man behaupten, dass Caroline Reiber 1982 den Grand Prix mit "Ein bisschen Frieden" gewonnen hätte.
Werden Sie beim SWR einen Beitrag einreichen?
Empfehlungen der Redaktion
Ja, ja, ja – und das sehr gerne. Lassen wir uns mal überraschen.
Über den Gesprächspartner
- Ralph Siegel ist ein deutscher Musiker, Komponist und Produzent. Mit mehr als 20 Teilnahmen zählt der Münchener zu den prägenden Persönlichkeiten des Eurovision Song Contest. Neben Nicoles Sieg mit "Ein bisschen Frieden" 1982 zeichnete er unter anderem für zwei dritte Plätze (Mekado 1994 und Sürpriz 1999) sowie drei zweite Plätze (Katja Ebstein 1980, mit Lena Valaitis 1981 und Wind 1987) verantwortlich. Im Oktober 2021 feierte sein Musical "Zeppelin" im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen Premiere.