• Immer wieder stehen Castingshows für ihren Umgang mit Kandidatinnen und Kandidaten in der Kritik.
  • Juroren wie Joachim Llambi oder Dieter Bohlen schießen oft über das Ziel hinaus.
  • Warum Castingshows trotzdem nicht ohne solche "Fieslinge" funktionieren, erklärt Medienwissenschaftler Holger Schramm im Gespräch.

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Es waren schwere Vorwürfe, die Kerstin Ott in der vergangenen Woche gegen Joachim Llambi erhob. Die Schlagersängerin hatte 2019 an der Tanzshow "Let's Dance" teilgenommen. Die teilweise harsche Kritik und die spitzen Bemerkungen des gefürchteten Chefjurors hatten Ott so hart getroffen, dass sie nun drei Jahre später den TV-Sender RTL aufforderte, Llambi aus der Show zu nehmen. "Ich finde, was da jurymäßig abläuft, das ist auch Mobbing", sagte Ott im Podcast "Aber bitte mit Schlager".

Für RTL scheint das aber überhaupt kein Thema zu sein. Ganz im Gegenteil. Am vergangenen Samstag trat Llambi als Gastjuror bei "Deutschland sucht den Superstar" auf. In der Show also, die sich im vergangenen Jahr von ihrem langjährigen Chefjuror Dieter Bohlen trennte und die seitdem mit stark fallenden Einschaltquoten zu kämpfen hat. Ohne einen Fiesling, ohne einen Mobber, ohne einen "bad guy" in der Jury scheinen Castingshows einfach nicht zu funktionieren.

"Man braucht sie unbedingt, um eine solche Show spannungsmäßig, emotional und vom Unterhaltungswert her auf ein gewisses Level zu bekommen. Man kann es natürlich auch ohne sie machen. Aber dann wird es in der Regel stinklangweilig", sagt Holger Schramm, Professor für Medien- und Wirtschaftskommunikation an der Uni Würzburg, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es ist wie in jeder Geschichte oder in jedem Film: Wenn man nur 'good guys' hat, wird es häufig langweilig. Man braucht die 'bad guys', um Unsicherheits- und Spannungsmomente hineinzubekommen."

Wie bei James Bond: Castingshows funktionieren nicht ohne Bösewicht

Kein James-Bond-Film kommt ohne Bösewicht aus, kein Marvel-Blockbuster ohne Superschurken. Oft sind sie die heimlichen Stars der Filme. Bei Castingshows ist das nicht anders. Bei "Let's Dance" denkt man zuerst an Llambi, Bohlen war jahrelang das Gesicht von DSDS. Dafür gibt es Gründe.

"Wenn die 'bad guys' dran sind, finden starke Gedankenprozesse statt", sagt Schramm. "Das Kopfkino geht los, schon bevor der 'bad guy' überhaupt den Mund aufgemacht hat. Das Publikum rätselt, was Llambi wieder raushauen wird. Was wird Bohlen diesmal sagen? Dass so viel im Kopf stattfindet, ist entscheidend dafür, dass so ein Format als kurzweilig, abwechslungsreich und spannungsvoll empfunden wird. Das ist es, was die 'bad guys' dazu beitragen."

Entscheidend für den Erfolg einer Castingshow ist tatsächlich die Zusammensetzung der Jury. Florian Silbereisen, der bei DSDS als Chefjuror auf Bohlen folgte, ist zweifellos ein Sympathieträger. Der "Traumschiff"-Kapitän steht für eine heile Fernsehwelt, er vermittelt dem Publikum ein gutes Gefühl. Mit Ilse DeLange und Toby Gad wirkt die Jury aber insgesamt zu zahm.

RTL versucht nun offensichtlich mit Gastjuroren wie Llambi den schlechten Quoten entgegenzuwirken.

Schadenfreude ist ein Erfolgsfaktor für Castingshows

"Wenn in der Jury nur nette, freundliche und wohlwollende Menschen sitzen würden, wäre alles zu vorhersehbar. Deshalb braucht man jemanden in der Jury, der unberechenbar ist. Jemand, von dem klar ist, dass er auch mal zwischen die Augen haut. Dem vielleicht auch mal ein Satz rausrutscht, der politisch nicht ganz korrekt ist und an dem man Anstoß nehmen kann", sagt Medienwissenschaftler Schramm.

Ein nicht zu unterschätzender Punkt bei Castingshows ist nämlich die Schadenfreude. Kandidatinnen und Kandidaten treten in einem Wettbewerb gegeneinander an und stellen sich einer Bewertung durch die Jury. Das Publikum kann sich auf dem heimischen Sofa sozial mit ihnen vergleichen.

"DSDS ist bewusst darauf angelegt, dass in der ersten Runde auch Nichtkönner auftreten, die von ihrem Talent überzeugt sind, aber nicht singen können. Die werden dann von der Jury abgekanzelt und runtergemacht. Das hat tatsächlich viel mit Voyeurismus zu tun. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer schauen sich das an, weil sie Spaß daran haben, andere scheitern zu sehen. Sie können dadurch auch ihren eigenen Selbstwert erhöhen und ihre Stimmung verbessern", erklärt Schramm.

Ohne Bohlen funktioniert DSDS nicht wie früher

Ob so etwas im Jahr 2022 noch angebracht ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Kritik von Schlagersängerin Kerstin Ott ist nachvollziehbar. Die Gesellschaft hat sich gewandelt: Shows, in denen Menschen vor einem Millionenpublikum bewertet werden, stehen dauerhaft in der Kritik. "Germany's next Topmodel" versucht diesem Wandel mit mehr Diversität bei den Kandidatinnen Rechnung zu tragen, "Deutschland sucht den Superstar" setzt auf eine Wohlfühl-Jury um Florian Silbereisen, konnte damit bislang aber nicht an frühere Quotenerfolge anschließen.

"Was die 'bad guys' vor 20 Jahren rausgehauen haben, geht heute nicht mehr so gut. Es gibt einen Wandel, es hat sich viel getan in den letzten Jahren. Die Menschen sind sensibilisierter", erklärt Holger Schramm. "Dieter Bohlen hat sich in seiner Deutlichkeit, seinem Sprachduktus, seinen politisch unkorrekten Äußerungen in den letzten zwei Jahrzehnten aber nicht verändert. Vielleicht war er irgendwann so aus der Zeit gefallen, dass er deshalb aussortiert wurde. Aber die Grundfunktionalität, die Bohlen für DSDS hatte, die braucht es nach wie vor. Sonst funktioniert die Show nicht."

Die Frage ist also nicht, ob Castingshows ohne "bad guys" in der Jury auskommen können. Die Frage ist eher, wie zeitgemäß Castingshows überhaupt noch sind.

Über den Experten:

Holger Schramm ist Professor für Medien- und Wirtschaftskommunikation am Institut Mensch-Computer-Medien der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit publizierte er bereits mehrfach Texte zum Thema Castingshows.

Verwendete Quellen:

  • Podcast "Aber bitte mit Schlager" mit Kerstin Ott
  • Gespräch mit Holger Schramm
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