Beim Wort "Flut" dachte man lange an Hamburg oder an das Jahrhunderthochwasser der Elbe. Bis 2021, als das Ahrtal unter Wasser und die Menschen vor dem Nichts standen. Warum so eine Tragödie passieren konnte und immer noch kann, darüber sprach Jan Böhmermann am Freitagabend in seinem "ZDF Magazin Royale".

Christian Vock
Eine Kritik
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Das Ahrtal ist, das kann man wohl ohne schlechtes Gewissen sagen, ein schönes Fleckchen Erde. Die hügelige Landschaft entlang der Ahr zieht Radfahrer und Wanderer ebenso an wie Weinkenner. Doch seit dem Juli 2021 wird das Ahrtal nicht mehr als malerische Weinlandschaft in den Köpfen der Menschen bleiben, sondern als die Region, in der Menschen ihr Zuhause und fast 200 von ihnen sogar ihr Leben verloren.

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Aber was hat eine solche Tragödie im "ZDF Magazin Royale" verloren? Dort prangert Jan Böhmermann zwar jeden Freitag aktuelle oder daueraktuelle Missstände an, aber eben immer mit Ironie und Sarkasmus – etwas, was eigentlich nicht zu einer Tragödie wie der im Ahrtal passt oder zu sonst einer Tragödie. Genau deshalb taucht die Ahrtal-Katastrophe am Freitagabend auch nicht als Witz im "ZDF Magazin Royale" auf, sondern der, der währenddessen über einen Witz lachte. "Die Flutkatastrophe im Juli 2021 oder wie Armin Laschet sagt: neue Staffel 'LOL'", spottet Böhmermann über das damals vollkommen falsche Timing Armin Laschets beim Besuch des Überflutungsgebiets.

Aber Laschet wurde anschließend genug gestraft, warum also taucht der Ex-Kanzlerkandidat dennoch im "ZDF Magazin Royale" auf? Weil es nicht um ihn geht, sondern um weit Größeres: "Dass Hochwasser gefährlich ist, das gerät in Deutschland ja gerne einmal in Vergessenheit. Bis das Hochwasser kommt und einen daran erinnert", kommt Jan Böhmermann auf das eigentliche Thema der Ausgabe zu sprechen, die er passenderweise mit #Hochwasserdemenz als Hashtag der Woche markiert.

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Jahrhunderthochwasser bald nur noch ein Drei-Wochen-Hochwasser?

"Mehr als 180 Menschen tot, über 40 Milliarden Euro Sachschaden, fast vier Jahre ist das her, die große Flutkatastrophe …", resümiert Böhmermann noch einmal und erklärt: "… und sie hat uns gezeigt: Dem Klimawandel ist es egal, wenn wir Luisa Neubauer nervig finden, scheißegal." Wie scheißegal der Klimakrise Spott über Neubauer ist, dafür zitiert Böhmermann das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu Schäden von Flutereignissen.

Dort hieß es 2023: "Überschwemmungen wie im Ahrtal 2021, die Flusshochwasser in weiten Teilen Süd-, Mittel- und Norddeutschlands im Juni 2013 oder die Fluten an Elbe, Saale und Donau im August 2002 werden als bisher selten auftretende 'Jahrhunderthochwasser' bezeichnet. Durch den menschengemachten Klimawandel werden solche Hochwasser zukünftig wahrscheinlich häufiger auftreten."

"Vielleicht ist das Jahrhunderthochwasser bald nur noch ein Neuneinhalb-Wochen-Hochwasser oder ein Drei-Wochen-Hochwasser", übersetzt Böhmermann die Aussage und fragt: "Warum ist es so schwierig, Deutschland wirksam vor Hochwasser zu schützen? Wer oder was steht einem funktionierendem Hochwasserschutz in dieser, unserer Bundesrepublik Deutschland im Weg?" Und hier kommt nun zum zweiten Mal das Ahrtal in Böhmermanns Satire-Show vor und zum zweiten Mal nicht als Witz.

Warum Hochwasserschutz in Deutschland so schwierig ist

Denn anhand der damaligen Flut rekonstruiert Böhmermann die Gründe, warum es wohl nicht so gut funktioniert mit dem Hochwasserschutz in Deutschland. Diese Gründe sind im Ahrtal:

  • In dem engen Tal bestehe immer Gefahr, wenn extrem viel Regen in kurzer Zeit fällt. Deshalb habe es dort schön früher verheerende Fluten gegeben.
  • Bereits vor 100 Jahren habe es deshalb Pläne gegeben, wo im Ahrtal am sinnvollsten Wasser gesammelt und zurückgehalten werden kann. "Nur gebaut wurde nichts." Außer dem Nürburgring.
  • Nach der Flut von 2021 soll nun "ein gigantisches Schutzsystem" mit Rückhaltebecken gebaut werden. Allerdings gebe es weder einen Starttermin noch eine Finanzierung.
  • Von 9.000 betroffenen Gebäuden dürfen im Ahrtal nur 34 nicht wieder aufgebaut werden. "Warum bauen die Menschen an der Ahr ihre Häuser denn in den Überflutungszonen wieder auf?", fragt Böhmermann deshalb. Zwei Antworten: "Weil die Versicherung nicht zahlt für einen Hausbau an anderer Stelle." Und: Auch staatliche Gelder wurden allzu schnell für den Wiederaufbau am selben Standort gewährt […]."
  • Laut einem Gutachten sind fast 400.000 Menschen in Deutschland unmittelbar von Hochwasser bedroht, weitet Böhmermann seine Suche nach Gründen aus und nimmt als Beispiel eine Lücke des ohnehin bereits maroden Deichs in Düsseldorf. Dort laufe es mit der Sanierung nicht schnell genug, unter anderem wegen langjähriger Planungs- und Genehmigungsverfahren oder weil Anwohner den Blick auf den Fluss nicht durch einen Deich verbaut haben wollten.
  • Eine mögliche Deichrückverlegung soll auch deshalb gescheitert sein, weil die Grundstückseigner Mondpreise für die Grundstücke aufgerufen hätten.
  • Auch in Bayern an der Donau sei Hochwasserschutz an den Protesten der Anwohner gescheitert.
  • Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Landeschef der Freien Wähler, habe auch etwas gegen das Groß-Polder-Konzept der CSU zum Hochwasserschutz gehabt. Dazu zitiert Böhmermann "welt.de": "Die Polder fallen in Landkreisen weg, in denen Vertraute von FW-Chef Hubert Aiwanger Landräte sind oder bis vor Kurzem waren.

Es geht um mehr als um Bürokratie oder Anwohnerproteste

Es ist mitunter frappierend, doch meist zum Haare raufen, wenn man sich Böhmermanns Gründe ansieht, warum Hochwasserschutz in Deutschland nicht funktioniert: fehlender politischer Wille, Egoismus, Geld, Geldgier, Trägheit, Bürokratie, fehlender Weitblick und womöglich der Verdacht auf Vetternwirtschaft. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Böhmermann natürlich nur Negativ-Beispiel anführt und nicht die, in denen Hochwasserschutz gelingt oder gelungen ist.

Worüber Böhmermann ebenfalls nicht spricht, sind die Gründe der Gründe. Das muss er als Satiriker zwar nicht, für eine Lösung würde es aber sehr wohl helfen, wenn man genauer weiß, woran es scheitert. Böhmermann achtet also nicht aufs Detail, verliert aber interessanterweise gleichzeitig das große Ganze aus den Augen. Denn Hochwasserschutz mag zwar immer am konkreten Projekt und an Detailgründen scheitern, oft genug aber an der Größe des Gedankens und damit an der Einsicht, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Dazu gehört das Verständnis, dass es nicht um den Schutz des Klimas geht, sondern um den Schutz der Menschen. Der Klimakrise ist das Klima nämlich ziemlich egal.

Und wenn man das verinnerlicht hat, fällt die noch viel zu verhaltene Diskussion darüber, dass die Kosten der Schäden der Klimakrise so viel höher sind, als die Maßnahmen, jetzt das Klima zu schützen. Dieser übergeordnete Rahmen fehlt bei Böhmermanns Hochwasserschutz-Ausgabe, hätte ihr aber gutgetan. Denn dann hätte am Freitagabend Böhmermanns roter Faden, die Vergesslichkeit beim Hochwasserschutz, noch besser funktioniert. Weil es eben immer noch genügend Menschen gibt, die lieber Witze über Menschen wie Luisa Neubauer machen. Zumindest so lange, bis ihnen selbst das Wasser bis zum Hals steht.