Die Trennung vom VfB Stuttgart ist der Tiefpunkt in der Karriere des Kevin Großkreutz. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

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Es war im vergangenen September, da erlebte Kevin Großkreutz sein ganz persönliches Highlight als Spieler des VfB Stuttgart. Das wichtige Spiel gegen Eintracht Braunschweig entschied Großkreutz mit seinem Tor zum 2:0 endgültig.

In Stuttgart war zu diesem Zeitpunkt der Saison mächtig was los, der Trainer frisch gewechselt, die Stimmung nicht besonders gut und die Zweifel am Wiederaufstieg größer als jeder Optimismus.

Am Montag spielt der VfB wieder gegen Braunschweig. Der VfB ist nicht mehr wie im Hinspiel der Jäger, sondern der Gejagte. Ein Sieg und die Stuttgarter würden sich im Kampf um den Aufstieg eines Verfolgers entledigen. Der VfB hätte dann schon zehn Punkte Vorsprung - vor dem Hinspiel damals waren es noch sechs Punkte Rückstand.

Man darf ohne Übertreibung behaupten, dass den Schwaben ein enorm wichtiges Spiel bevorsteht. Aber Großkreutz wird dann schon nicht mehr mit dabei sein.

Großkreutz' Rauswurf wird kontrovers diskutiert. Hat sich da ein Profi auf nicht zu tolerierende Art daneben benommen? Musste der Klub handeln, um weiteren Schaden für den VfB abzuwenden - wie auch immer der überhaupt aussähe?
Oder muss ein Verein nicht auch in solchen verfahrenen Situationen zu einem Angestellten stehen, der in der tiefsten Stunde der letzten 40 Jahre loyal und solidarisch gehandelt hat? Und sollte der Klub den gerne zitierten Claim "furchtlos und treu" nicht auch leben?

Schaut man auf andere Vereine und die Art, wie diese mit Krisen umgehen, hat es sich der VfB Stuttgart ziemlich leicht gemacht. In München etwa standen Spieler und Offizielle einst am Pranger, leisteten sich justiziable Vergehen, standen vor Gericht oder wurden sogar verurteilt. Sanktionen des Klubs gab es aber nicht.

Kleinere Ausrutscher

Großkreutz' Karriere ist am Tiefpunkt angelangt. Der 28-Jährige ist Weltmeister, zweimaliger Deutscher Meister, hat den DFB-Pokal gewonnen. Diese Titel hat er in Diensten von Borussia Dortmund gesammelt beziehungsweise war während der WM 2014 beim BVB angestellt.

Da eröffnete er schon erste Nebenkriegsschauplätze. So soll er in der Kölner Innenstadt einen Mann mit einem Döner beworfen haben und wurde angezeigt.

Nach dem verlorenen Pokalfinale 2014 pinkelte er dann wenige Tage später betrunken in die Lobby eines Berliner Hotels. Seinen sportlichen Wert für den BVB und die Nationalmannschaft schmälerte dies aber nicht.

Mit dem Absturz der Borussia in den Tabellenkeller 2015 begann dann aber auch Großkreutz' schleichender Niedergang. Das Seuchenjahr des BVB war auch das des Spielers: Die Rückrunde damals verpasste er nach einem Muskelbündelriss und einer Knie-OP fast komplett.

Mit Jürgen Klopp gab es damals schon ein paar Dissonanzen, unter anderem weil Großkreutz nach der zu kurzen Vorbereitung nach der WM und nach Verletzungen zu schnell wieder einsteigen wollte. Der gut gemeinte Übereifer erwies sich für beide Seiten als kontraproduktiv, am Ende der Saison stand die Trennung.

Missverständnis Galatasaray

Auf den letzten Drücker wechselte der Spieler dann im Sommer 2015 nach Istanbul zu Galatasaray, obwohl ihm die FIFA die Spielgenehmigung verweigerte. Die Vertragsunterlagen trudelten beim Weltverband ein paar Minuten zu spät ein.

Großkreutz war damit für alle Pflichtspiele bis einschließlich Januar 2016 gesperrt. Das dauernde Hin und Her zwischen Dortmund und Istanbul, die sehr unbefriedigende sportliche Situation und am Ende auch eine gehörige Portion Heimweh führten dann zum Bruch mit dem Klub. Und auch Bundestrainer Joachim Löw hatte kein Verständnis mehr für Großkreutz' Verhalten.

"Ich war in Istanbul beim Trainer von Galatasaray, der mir gesagt hat, dass Kevin fast jedes Wochenende Freitag bis Sonntag nach Hause geflogen ist", sagte Löw damals in einem Interview mit der "Welt". "Das macht man nicht, wenn man Teil einer Mannschaft ist. Ich habe nur begrenzt Verständnis dafür, wie er mit seiner Karriere umgegangen ist."

Keine Wende beim VfB

Der VfB Stuttgart bot Großkreutz dann eine nächste Chance. Mit dem VfB, der mal wieder den Trainer gewechselt hatte und orientierungslos durch die Bundesliga waberte, schien er im Frühling die Rettung schon geschafft zu haben. Dann folgte aber der Ausfall aller Systeme beim Traditionsverein.

Der Abstieg war ein Einschnitt, auch in Stuttgart war Großkreutz lange verletzt, wollte dann der Mannschaft in halbfittem Zustand helfen und wurde so zu einem Gesicht des Abstiegs. Seine Tränen nach der Niederlage gegen Mainz im letzten Heimspiel brannten sich ein. Auch deshalb wollte der Spieler unbedingt beim VfB bleiben und den Schaden reparieren.

Die offen gelebte Nähe zu den Fans und diese Solidarität machten Großkreutz auch in Stuttgart zum Liebling. Was so manches Mal auch darüber hinwegtäuschte, dass er auf dem Platz nicht mehr an die Leistungen aus seinen glorreichen Dortmunder Zeiten anknüpfen konnte.

In Stuttgart ging es, eine Etage tiefer, endlich wieder bergauf. Großkreutz war Stammspieler und auf dem besten Weg, den Klub und sich zurück in die Bundesliga zu führen. Bis zur verhängnisvollen Nacht von Montag auf Dienstag.
Kevin Großkreutz' Karriere steht jetzt mehr denn je auf der Kippe. Er selbst teilte mit, mit Profi-Fußball vorerst nichts zu tun haben zu wollen.

In dieser Saison hätte er ohnehin keinen Verein mehr gefunden, die Saisons in Amerika und China beginnen in diesen Tagen wieder und der Transfermarkt ist geschlossen.

Seine Fans werden Großkreutz wohl erst wieder ab August auf dem Platz zu sehen bekommen. Wenn alles gut läuft.

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