Der FC Bayern München entging im DFB-Pokal gegen den Drittligisten SV Wehen Wiesbaden nur knapp einer Pokal-Blamage. Dabei wurde die Schwäche im System vom Trainer Vincent Kompany deutlich.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Oliver Jensen sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eigentlich schien es so, als würde der FC Bayern einem ungefährdeten Sieg entgegensteuern. Der deutsche Rekordmeister hatte das Erstrunden-Spiel des DFB-Pokals gegen die SV Wehen Wiesbaden im Griff, führte durch die Treffer von Harry Kane (16., Elfmeter) und Michael Olise (51.) 2:0 und hätte eigentlich sogar höher führen müssen.

Doch dann geschah das Unerwartete: Innerhalb von sechs Minuten, in der 64. und der 70. Minute, traf der Wiesbadener Fatih Kaya doppelt und sorgte somit für den Ausgleich. Beide Male sah die Defensive des FC Bayern nicht gut aus. Beim ersten Gegentreffer deckte Innenverteidiger Jonatan Tah den Torschützen nicht richtig, sodass dieser nach einer Flanke den Ball ins Tor lenkte.

Beim zweiten Gegentor stand Kaya nach einer Kopfballverlängerung völlig alleine vor Torwart Jonas Urbig und nutzte seine Chance. Es ist nicht das erste Mal, dass die Hintermannschaft des FC Bayern mit einem tiefen Ball überlistet wird. Selbiges geschah vielfach in der vergangenen Saison.

Zweites Gegentor zeigt Schwäche im Spielsystem von Kompany

ZDF-Experte Christoph Kramer erklärt die Problematik: "Es ist die große Stärke des FC Bayern und auch ihre Herangehensweise, dass sie Mann-gegen-Mann pressen. Das ist gut, und das sollen sie auch beibehalten. Aber in dieser Situation sehen wir dann auch irgendwie die Schwäche des Systems. Wenn es einen verlorenen Zweikampf gibt, ist das auch schnell eine 100-prozentige Torchance für den Gegner."

Einfach ausgedrückt: Die Bayern-Spieler verteidigen nach vorne, um den ballführenden Gegenspieler unter Druck zu setzen. Vielfach gelingen so hohe Ballgewinne. Wird allerdings ein Spieler des FC Bayern überspielt, fehlt hinten die defensive Absicherung. Wiesbaden hatte offenbar genau auf solche Möglichkeiten gelauert.

"Es war ein Gegner, der immer an seine Chance geglaubt hat", sagte Bayern-Trainer Vincent Kompany und sprach Wiesbaden großen Respekt zu. Über die eigenen Fehler sagte er: "Wir haben einen Blackout gehabt. Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit zwischen den beiden Toren lag, aber es ist sehr schnell gegangen." Dadurch musste der FC Bayern zittern, bis in der Nachspielzeit der Siegtreffer zum 3:2 durch Kane gelang.

Der FC Bayern ist "geduldig geblieben"

Für Mittelfeldspieler Joshua Kimmich war es dennoch ein verdienter Sieg. "Wir müssen das Spiel früher entscheiden. Die Vielzahl der Chancen war schon extrem. Aber so ist es im Fußball, wenn du vorne die Dinger nicht machst", sagte er in Anspielung an die beiden Gegentore: "Wichtig war, dass wir dann ruhig geblieben sind. In der Vergangenheit haben wir hinten raus häufiger die Nerven verloren. Deswegen bin ich froh, dass wir geduldig geblieben sind."

Kane sah das genauso: "Das Wichtigste war, dass wir nicht in Panik geraten sind. Wir sind als Team ruhig geblieben. Wir haben dann einfach weitergespielt und haben auf diese eine Gelegenheit gewartet. Aber natürlich muss man auch immer aufpassen. Wir lernen daraus. Und dann geht es zum nächsten Spiel."

In der 76. Minute kam es noch zu einer echten Seltenheit, weil Kane einen Elfmeter verschoss. Es war das erste Mal, dass der Engländer in einem Pflichtspiel für den FC Bayern nicht vom Punkt traf. Zuvor hatte er für den FC Bayern und die englische Nationalmannschaft wettbewerbsübergreifend 31 Elfmeter in Folge verwandelt.

"Ein verschossener Elfmeter wird ihn sicherlich ärgern", sagte Bayern-Torwart Jonas Urbig. "Aber er ist im Kopf so stabil, dass er die Verantwortung übernimmt, um den entscheidenden Treffer zu machen."

Hat der FC Bayern Wiesbaden unterschätzt?

Und doch stellt sich die Frage: Wie kann es sein, dass der FC Bayern am Freitagabend mit 6:0 RB Leipzig deklassiert und sich nun gegen einen Drittligisten schwertut? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der FC Bayern gegen einen Verein aus der 3. Liga ausscheidet. In der Saison 2023/24 geschah genau dies gegen den 1. FC Saarbrücken. Wurde Wiesbaden dennoch unterschätzt?

Ex-Profi Kramer erklärte, was im Kopf der Spieler vorgegangen sein könnte: "Es gibt keinen Spieler, keinen Trainer und keinen Verantwortlichen des FC Bayern, der das nicht ernst genommen hat. Aber es ist ganz menschlich: Wenn du 6:0 gegen Leipzig gewonnen hast, kannst du nicht (gegen Wiesbaden, Anm.d.Red.) in das Spiel gehen und sagen: Das wird ein knappes Höschen. Das funktioniert einfach nicht."

Dies ist offenbar auch Kompany bewusst. "Ich mache schon über 25 Jahre Pokalspiele. Und so etwas passiert manchmal. Es war ein richtiges Pokalspiel", sagte er und war dennoch zufrieden: "Am Ende haben wir richtigen Charakter gezeigt. Wenn man so viele Chancen nicht nutzt und der Gegner gut verteidigt, ist es manchmal schwer zu sagen, was passiert. Aber Harry hat ein super Tor geschossen."

Lennart Karl war beim Startelf-Debüt "vielleicht ein bisschen nervös"

Kompany nutzte das Spiel, um auch manch jungen Profis Spielzeit zu geben. Jonas Urbig stand anstelle von Manuel Neuer im Tor. Zudem gab der 17-jährige Lennart Karl sein Startelf-Debüt.

Wie Kompany die Leistung von Karl bewertete? "In den ersten zehn Minuten hatte er drei, vier Ballverluste, war vielleicht ein bisschen nervös. Und dann kam er immer besser ins Spiel. Wahrscheinlich hatte er in der zweiten Halbzeit seine beste Phase." Dennoch nahm er Karl nach 67 Minuten aus dem Spiel.

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Kompany ist es wichtig, keinen Druck auf das junge Talent auszuüben. "Der Junge kann im Moment nichts Falsches machen. Kein junger Spieler kann das. Die Erwartung ist immer, dass die erfahrenen Spieler die Siege holen", stellte der Trainer klar. Die jungen Spieler sollen einfach zeigen, "dass sie uns helfen können – ob nun jetzt oder in der Zukunft. Das macht Lenny nicht nur mit seinem Talent, sondern auch mit seiner Arbeit. Es lastet kein Druck auf den Jungen. Nur das Positive ist wichtig."

Genauso wie das Weiterkommen im DFB-Pokal.

Verwendete Quellen