Beim "Internationalen Walther Bensemann Gedächtnisturnier" wird natürlich sehr viel Fußball gespielt. Zentraler Bestandteil der Veranstaltung für Jugendfußballer ist aber aktive Erinnerungsarbeit. Die Spieler treffen dabei auf Überlebende des Holocaust.
Henriette Kretz mag es, vor Jugendlichen zu sprechen. In den 1950er- und 1960er-Jahren war das ihr Beruf: Als Lehrerin unterrichtete sie in Israel Französisch. Vor über 20 Jahren hat sie begonnen, in einer anderen Rolle vor jungen Menschen zu reden: als Zeitzeugin. Kretz, die im Oktober 91 Jahre alt wird, hat die Shoa als kleines Mädchen im Ghetto Sambor in der heutigen Ukraine überlebt.
Am DFB-Campus in Frankfurt steht Kretz vor einer Gruppe junger Fußballer und mahnt: Alle Menschen könnten zu Gewalt gebracht werden. Es liege an jedem Einzelnen, sich dagegen zu verwehren: "Wir müssen zusammen in Frieden leben, sonst verlieren wir alles." Ihr gegenüber Vertreter einer Generation, der gerne nachgesagt wird, es sei schwierig, ihre Aufmerksamkeit über längere Zeit zu binden. Sie verfolgen die Worte der 90-Jährigen mit großen Augen.
Fußball und Erinnerung: Begegnung mit Überlebenden der Shoa
Beim "Internationalen Walther Bensemann Gedächtnisturnier" 2025 treten Jugendteams von Eintracht Frankfurt, FSV Frankfurt, Mainz 05, Kickers Offenbach, Maccabi Tel Aviv und Slavia Prag in zwei Turnierbäumen gegeneinander an. Namensgeber Bensemann war nicht nur einer der wichtigsten Fußballpionier hierzulande, er glaubte früh an die völkerverbindende Kraft des Sports. Vor den Turnierspielen treffen die jungen Spieler auf Zeitzeug*innen und Nachfahren. Für fast alle ist es die erste Begegnung mit Überlebenden der Shoa.
"Als Kind war ich zum Tode verurteilt. So simpel. Weil ich eine Jüdin war." Henriette Kretz steht kerzengerade. Die kleine Frau mit dem charakteristischen Dutt im Nacken wippt in ihren weißen Turnschuhen leicht vor und zurück beim Reden. Es sind besonders ihre persönlichen Erinnerungen, die bei den Fußballern erkennbar etwas auslösen. Geschichtliche Eckdaten, das kennen sie aus der Schule. Aber wenn Kretz von dem kleinen Mädchen erzählt, das sie einst gewesen ist, das sich verstecken und um sein Leben fürchten musste, sind sie voll da.
Erlebnis von unschätzbarem Wert
Bereits 1937 fand das erste Turnier zu Ehren Bensemanns statt, 32 Mal wurde es seither schon ausgetragen. Der DFB, die Initiative "!Nie Wieder" und Makkabi Deutschland sowie die DFB-Kulturstiftung organisieren das Zusammentreffen der jungen Fußballer. Die sollen sich auf den Plätzen zwar messen, neben dem Platz aber einen Eindruck davon bekommen, wozu Mensch in der Lage ist – und wie wichtig es ist, wachsam zu sein im Umgang miteinander.
Kretz spricht gerne und oft über das Glück ihrer frühen Kindheit, betont immer wieder, sie sei ein fröhliches Mädchen gewesen, mit einem eigenen Hund und liebenden Eltern. Die schaffen es mit Geschichten und Umarmungen sogar, dass die Zeit im dunklen Kohlenkeller vergeht, in dem die Familie im Winter 1941 versteckt wird. Doch jemand verrät sie und deutsche Soldaten erschießen die Eltern der kleinen Henriette, die fliehen kann und im Waisenhaus überlebt.
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Der Teil ihrer Erzählung trifft die Jugendlichen erwartbar hart. Die Vorstellung, das zu erleben, übersteigt ihre Vorstellungskraft – zum Glück. Doch die Zeiten, mahnt Kretz eindrücklich, sind gefährlich. Und wo Menschen sich nicht einmischen, wenn anderen Unrecht angetan wird, da drohe Dunkelheit. Wie man aus diesem Schrecken ein langes, glückliches Leben bauen könne, wird Kretz gefragt. Sie lächelt milde: "Wir sind geboren, um zu leben." Begegnungen wie diese werden 80 Jahre nach Ende des Krieges leider selten. Umso größer ist ihr Wert, den an diesem Tage auch die Jugendlichen ganz deutlich spüren. Die Erinnerung wird bleiben.