Hermann Gerland macht nach über 50 Jahren im Profi-Fußball Schluss. Damit endet eine einzigartige Karriere zwischen Welt-Stars und Nachwuchshoffnungen, bei der in der Endphase fast alles glückte - mit einer Ausnahme.

Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es dürfte eher selten vorkommen, dass der amtierende Trainer des FC Barcelona eine Laudatio hält für einen Kollegen. Von Hansi Flick ist beim "Kicker" eine Lobeshymne zu lesen auf Hermann Gerland, fast im Überschwang feiert Flick darin seinen langjährigen Co-Trainer als eine Institution des deutschen Fußballs. Und tatsächlich gibt es kaum eine vergleichbare Karriere.

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Über 50 Jahre seines Lebens hat Hermann Gerland dem Profi-Fußball gewidmet. Erst als Spieler des VfL Bochum, danach auf neun Stationen als Chef- oder Co-Trainer: In Bochum, Nürnberg, Berlin, Bielefeld, Ulm, bei den Bayern Amateuren und der Lizenzspielermannschaft des Rekordmeisters, als Flicks rechte Hand bei der A-Nationalmannschaft und zuletzt noch vier Jahre als Co-Trainer der deutschen U21-Auswahl.

Gerland war erst ein gefürchteter Vorstopper, wegen Raubeinen wie ihm wurde das wenig schmeichelhafte Bonmot erfunden: "Kein Mensch, kein Tier - die Nummer vier". Und auch als Trainer hatte der harte Typ mit dem doch so weichen Kern schnell einen Ruf weg: als Verfechter von Disziplin und Härte und als Gerechtigkeitsfanatiker.

Flick: Der deutsche Fußball wird das vermissen

Besonders die Arbeit mit den Talenten beim FC Bayern hob Gerland nach einigen eher missglückten Engagements in der Bundesliga und 2. Liga in den Stand eines der besten Ausbilder des Landes. Durch die harte Gerland-Schule gingen reihenweise spätere Welt-Stars: Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Mats Hummels oder Thomas Müller. Gerlands rau-knorrige Art konnte einschüchtern wirken, traf aber bei vielen Spielern auch den richtigen Nerv.

"Wenn es darum geht, Talent zu erkennen, gibt es niemanden, der ihm das Wasser reichen kann", schreibt Hansi Flick in seiner Würdigung. "Ebenso einzigartig ist seine Fähigkeit, junge Spieler nicht nur zu entdecken, sondern sie mit Nachdruck zu fördern und nachhaltig zu entwickeln. Der deutsche Fußball hat über viele Jahre hinweg maßgeblich von diesen Qualitäten profitiert - und wird sie nun schmerzlich vermissen. Wie so vieles andere auch."

Gerland ist ein Talententwickler der alten Schule. Was zeitweise mal außer Mode war, hat in den letzten Jahren wieder an großer Bedeutung gewonnen. Bei den Bayern verbrachte Gerland fast ein Jahrzehnt bei der zweiten Mannschaft, wo er aus A-Jugendlichen mehrere Dutzend Profi-Spieler formte.

Und auch beim Deutschen Fußball-Bund setzte sich irgendwann die Erkenntnis durch, dass es nur mit den sogenannten Laptop-Trainern in der nachhaltigen Entwicklung der Spieler nicht getan ist. Seit einigen Jahren werden die Nachwuchsteams beim Verband in der Regel von einem Dreigestirn auf der Trainerbank betreut: einem Spezialisten für (technische) Innovationen, einem Ex-Profi und einem Kenner des jeweiligen Jahrgangssegments.

Immer geradeaus und furchtlos

Gerland war in München und beim DFB am Ende so etwas wie ein Schweizer Taschenmesser, ein Allrounder. Bei den Profis arbeitete er unter anderem mit Welt-Trainern wie Louis van Gaal, Jupp Heynckes, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti zusammen und mit zahllosen Superstars auf Spielerseite.

Ebenso angesehen und mit Aufgaben betraut war er aber immer auch bei den Nachwuchskräften und vor allen Dingen auch beim Management: Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge hörten auf Gerlands Rat, wenn der nur nachdrücklich genug insistierte. Dass es dann öfter auch mal ordentlich gekracht hatte, war Gerland scheinbar nur recht. Auch daher rührt der Spitzname "Tiger": Weil der 71-Jährige mit seiner furchtlosen Art sich nichts hat gefallen lassen und zur Not auch selbst mal austeilte.

Konventionen und Diplomatie waren nicht unbedingt Gerlands Stärke und bisweilen überspannte er den Bogen dann auch. "Die haben doch heute Verletzungen, die gab es bei uns damals gar nicht", ist einer dieser typischen Gerland-Sätze für den Stammtisch. Oder: "Auf Gefühle gebe ich gar nichts. Dreimal hatte ich das Gefühl, einen Sohn gezeugt zu haben - und wir haben drei Töchter zu Hause."

Die bisweilen flapsige Art hat nicht immer und jedem gefallen, Gerland aber war das herzlich egal. Den Respekt der Spieler, die er zu herausragenden Könnern geformt hat, war ihm für alle Zeit gewiss. Und nur das war letztlich für einen Mentor, wie Gerland einer sein konnte, die einzige Währung.

Undurchsichtige Rolle beim Rassismus-Skandal

So ganz ohne dunklen Fleck hat es auch Gerland aber nicht in den vorzeitigen Ruhestand geschafft. Als vor ein paar Jahren der Rassismus-Skandal am Campus des FC Bayern bekannt wurde, war Gerland neben seiner Funktion als Co-Trainer von Flick bei den Profis auch der sportliche Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und damit übergeordnete Instanz des damals freigestellten Trainers.

Etliche Vorwürfe wurden damals publik, die Antworten der Bayern-Verantwortlichen - inklusive Gerlands - auf dringliche Fragen blieben eine Rarität. Längst sind die Vorfälle in der breiten Öffentlichkeit vergessen, Gerlands Rolle und was genau er vor der Aufdeckung des Skandals schon wusste, nie abschließend geklärt.

In der Gesamtbetrachtung einer famosen Karriere bleibt das auch deshalb eine Episode. Hermann Gerland tritt als Ikone des deutschen Fußballs ab. Als einer, der Jahrzehnte geprägt hat und schon jetzt von vielen vermisst wird - weil er in einem kurzen Moment die Arbeit mehrerer Jahre vergolden konnte.

"Oft war es ein einziger, treffender Satz zur richtigen Zeit, der Karrieren in die richtige Richtung lenkte", schreibt Flick. Daran kann es keinen Zweifel geben.

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