Vor allem die Fußballfans aus Südamerika begeistern bei der Klub-WM in den USA. Zwei Experten erklären, warum die Anhänger aus Brasilien und Argentinien deutlich passionierter bei der Sache sind als die Fans europäischer Klubs – und warum der Zuspruch für das umstrittene Turnier in Südamerika deutlich größer ist als in Europa.
Vier von vier: Die brasilianischen Teilnehmer der Klub-WM in den USA können bislang auf einen erfolgreichen Turnierverlauf zurückblicken. Sowohl Palmeiras aus Sao Paulo als auch die Rio-Klubs Botafogo, Fluminense und Flamengo haben die Gruppenphase überstanden und diese teilweise sogar als Spitzenreiter beendet.
So wie der CR Flamengo, benannt nach dem gleichnamigen Stadtteil der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro. Weil der FC Bayern im letzten Gruppenspiel mit 0:1 gegen Benfica Lissabon verlor, kommt es im Achtelfinale nun zum direkten Duell. Dabei müssen die Münchner nicht nur gegen ein größtenteils stark aufspielendes Flamengo-Team ankommen, sondern auch mit den Tausenden frenetisch feiernden Fans der Rot-Schwarzen fertig werden.

Flamengo-Party nach Sieg gegen Chelsea
Ekstase herrschte vor allem beim zweiten Gruppenspiel von Flamengo, als die Brasilianer den FC Chelsea mit 3:1 düpierten. Sowohl im Lincoln Financial Field in Philadelphia als auch in der gesamten Stadt herrschte Samba-Stimmung, die die Tausenden Anhänger vor Ort verbreiteten.

Doch nicht nur die Fans der Brasilien-Klubs sorgen in den USA für Furore, auch die Anhänger der beiden argentinischen Vertreter Boca Juniors und River Plate machten mit großartiger Stimmung auf sich aufmerksam. Auch wenn beide Vertreter die Gruppenphase nicht überstehen konnten. River Plate scheiterte knapp, auch die Boca Juniors in der Bayern-Gruppe schieden vorzeitig aus. Reichlich Unterstützung von den Rängen gab es dennoch – so auch beim blamablen 1:1 gegen die Amateurmannschaft von Auckland City.
"Wer einmal in Südamerika war, der weiß: Dort wird alles intensiver gelebt. Das Gute wie das Schlechte. All das drückt sich dann in der Stimmung in den Stadien aus."
Doch warum heben sich die Fans aus Südamerika bei der Klub-WM so stark von denen aus Europa ab? Und ist auch der Support im Stadion mitverantwortlich für die starken Leistungen der südamerikanischen Klubs in den USA?
"Die südamerikanischen Fans sind leidenschaftlicher und leben den Fußball mehr. Wortwörtlich. Der Fußball ist in Südamerika – vor allem in Argentinien, aber auch in Brasilien – ein integraler Bestandteil der Alltagskultur", sagt Johannes Skiba über einen der wesentlichen Unterschiede zwischen südamerikanischen und europäischen Fußballfans. Der Journalist kennt sich bestens mit dem Fußball in Südamerika aus, in seinem Podcast "Gol Olímpico" befasst er sich regelmäßig mit dem Fußball auf dem südamerikanischen Kontinent und war bereits mehrere Male vor Ort, um die Stimmung in den Stadien hautnah mitzuerleben.
Ein weiterer großer Unterschied zwischen den Fans: Die unterschiedlichen Lebenseinstellungen. "Wer einmal in Südamerika war, der weiß: Dort wird alles intensiver gelebt. Das Gute wie das Schlechte. All das drückt sich dann in der Stimmung in den Stadien aus. Dazu sind die Gesänge oft etwas melodischer und werden von viel mehr Instrumenten begleitet", erklärt Skiba.
BVB-Boss Watzke mit "Arroganz"-Vorwurf an Europäer
Zumindest bei den Fans scheint der Zuspruch für die Klub-WM bei jenen aus Südamerika deutlich höher zu sein als bei den Fans von Real Madrid, dem FC Chelsea und Co. Ein Beispiel: Beim Gruppenspiel der "Blues" gegen Los Angeles in Atlanta blieben 50.000 Plätze leer. Und auch zu Hause in Europa wird das reformierte Fifa-Turnier noch immer größtenteils kritisch beäugt.
BVB-Boss Hans-Joachim Watzke fand in Bezug darauf jetzt deutliche Worte: "Hier vor Ort bekommen wir mit, wie begeistert die Südamerikaner, die Asiaten und die Afrikaner dieses Turnier begleiten. Für sie hat es einen Wert wie für uns die Champions League", sagte Watzke der "Sport Bild". "Vielleicht sind wir Europäer aber auch etwas zu arrogant. Aber diese Arroganz holt uns gerade etwas ein, denn wir sehen nun, wie stark der südamerikanische Fußball ist."
Ähnlich äußert sich auch Journalist Skiba: "Die Begeisterung entsteht aus einer grundlegenden südamerikanischen Kritik an der europäischen Arroganz heraus. Die Wahrnehmung des südamerikanischen Fußballs in Europa ist gering. Viel größer ist wiederum die Unwissenheit."
Diese Unwissenheit werde Skiba zufolge vor allem aktuell an der großen Verwunderung über die Leistungen der südamerikanischen Teams deutlich – und genau das werde in Südamerika wiederum als arrogant wahrgenommen. "Die Erfolge von Botafogo gegen PSG oder Flamengo gegen Chelsea sind einerseits eine große Genugtuung. Andererseits hat das fußballerische Kräftemessen mit Europa schon immer eine wichtige Bedeutung in Südamerika, da ein Erfolg gleichzeitig auch einen großen Einfluss auf das Selbstwertgefühl hat."
"Wir sind an die Vorstellung gewöhnt, dass unser Fußball im Vergleich zum europäischen unterlegen ist."
Auch die brasilianische Journalistin Julia Ferratoni Foroni spricht vom geringen Selbstwertgefühl der Südamerikaner, wenn es um den Vereinsfußball geht. "Wir sind an die Vorstellung gewöhnt, dass unser Fußball im Vergleich zum europäischen unterlegen ist", sagt sie unserer Redaktion. Wenn es Siege gegen große Vereine wie zum Beispiel Chelsea gebe, zeigte das der Journalistin zufolge vor allem eins: "Unsere Wettbewerbe sind stark, extrem konkurrenzfähig, aber trotzdem nicht so international wie andere." Ihr zufolge werde die Klub-WM auch deshalb so begeistert von den südamerikanischen Fans angenommen.
Das größtenteils gute Abschneiden der Klubs ist jedoch nicht hauptsächlich auf die große Unterstützung der Fans vor Ort zurückzuführen. Vor allem Flamengo und Palmeiras seien Skiba zufolge qualitativ auf einem sehr hohen Niveau. "Da wird seit Jahren extrem gute Arbeit geleistet. Palmeiras hat zum Beispiel das landesinterne Scouting über eine Dekade lang perfektioniert. Flamengo hat eine vergleichsweise extrem niedrige Fluktuation im Kader."
Die Journalistin ordnet die Qualität des Fußballs in Brasilien und Argentinien, die "grundsätzlich gewaltig" sei, entsprechend ein: "Ein Wechsel von beispielsweise Flamengo zu einem Europa-League-Klub wäre ein Abstieg. Das verstehen die meisten Europäerinnen und Europäer nicht."
"Diese Wucht solcher Klubs ist enorm. Damit können eben nur wenige europäische Vereine mithalten."
Flamengo hat laut Skiba rund 50 Millionen Fans und damit weltweit eine der größten Anhängerschaften. In den vergangenen sechs Jahren gewann der Klub aus Rio zweimal die Copa Libertadores, quasi das Pendant der europäischen Champions League in Südamerika. "Diese Wucht solcher Klubs ist enorm. Damit können eben nur wenige europäische Vereine mithalten", sagt der Südamerika-Experte.
Skiba konkretisiert das am Beispiel des Bayern-Gegners: "Auch wenn Flamengo als elitärer Regattenklub gegründet wurde, kommen die meisten Fans heutzutage aus der Unterschicht und wohnen in Favelas. Der Verein verbindet marginalisierte Bevölkerungsgruppen und bringt daher eine enorme Wucht mit sich, die weit über den Fußball hinausgeht und die sich dann aber bei den Spielen in den Stadien entlädt."
Stimmung bei Flamengo-Spielen: "Laut, emotional und euphorisch"
Die Stimmung bei Flamengo-Spielen beschreibt der Experte als "schon sehr besonders – laut, emotional und euphorisch". Die Bayern können sich im Achtelfinale also auf einiges einstellen.
Doch in Brasilien gibt es auch Kritik an Flamengo, vor allem von den direkten Rivalen in Rio, denn ein Großteil deren Anhänger bezeichnet die Flamengo-Fans laut Skiba als "Erfolgsfans" – was aufgrund der Millionen Anhängern teilweise wohl auch stimmt. "Flamengo ist mittlerweile auch eine Art Lifesytle. Es ist cool, Flamengo-Fan zu sein. Das gilt eben auch für Fans, die vorher vielleicht nichts mit Fußball zu tun hatten. Die sind aber wiederum nicht bei der Klub-WM dabei", erklärt der Experte.
Was beim großen Erfolg der brasilianischen Klubs beim Turnier in den USA aber auch nicht vergessen werden darf: Auch auf dem südamerikanischen Kontinent spielt Geld eine überaus wichtige Rolle, wie mittlerweile überall im globalen Fußballbusiness. "Traditionsverein Botafogo hat vor vier Jahren noch in der zweiten Liga gespielt und wurde durch Investor John Textor wieder zur alten Stärke geführt", sagt Skiba dazu.
Die Finanzkraft des europäischen Fußballs sei zwar noch sehr weit weg vom brasilianischen, dennoch müsse man festhalten, "dass auch in Brasilien nicht mit Monopolygeld bezahlt wird", erklärt der Experte.
Bayern am Sonntagabend gegen Flamengo gefordert
Einen Grund für das sportlich starke Abschneiden der Südamerika-Klubs sieht Foroni auch noch in einer anderen Sache: "Die europäischen Vereine betrachteten die WM früher als Vorbereitungsturnier – und man merkt, dass sich diese Einstellung dieses Mal ändert. Das war in Südamerika nie der Fall. Die Vereine hier haben die WM vom ersten Tag an ernst genommen und ich denke, die Ergebnisse spiegeln das auch wider."
Der FC Bayern sollte für das Achtelfinale am Sonntagabend (22 Uhr, MESZ) also gewarnt sein. Denn während das Flamengo-Team für die fußballerische Klasse auf dem Platz selbst verantwortlich ist, kann es sich zweifellos wieder auf die leidenschaftliche Unterstützung von den Rängen verlassen. Das haben die bisherigen Spiele der Brasilianer bei dieser Klub-WM eindrucksvoll gezeigt.
Über die Gesprächspartner
- Johannes Skiba ist freier Journalist und Podcaster. In seinem Podcast "Gol Olímpico" dreht sich alles um den Fußball in Südamerika. Daneben ist Skiba Fußball-Kommentator, unter anderem bei "MagentaSport".
- Julia Ferratoni Foroni kommt aus São Paulo und arbeitet als Videojournalistin in Brasilien. Die 24-Jährige ist Sportreporterin bei PELEJA, einem südamerikanischen Youtube-Kanal (knapp 1,2 Millionen Abonnenten), der sich mit dem Fußball und Fankultur auseinandersetzt. Sie selbst ist Anhängerin von Palmeiras.
Verwendete Quellen
- Antwort auf schriftliche Anfrage an Johannes Skiba
- Antwort auf schriftliche Anfrage an Julia Ferratoni Foroni
- sportbild.bild.de: Arroganz-Vorwurf von Watzke