Die Offenbarung über Hitzfelds Depression 2004 wirft ein Schlaglicht auf die mentale Gesundheit im Spitzensport.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Ottmar Hitzfeld hätte 2004 beim DFB Bundestrainer werden können. Stattdessen lag er drei Tage im Bett, unfähig aufzustehen. Seine Depression zwang ihn zur Absage – und offenbart bis heute das größte Versäumnis des deutschen Fußballs.

Die Szene, die Hitzfeld jetzt in Andreas Bönis Buch "Mensch Fußballstar" schildert, liest sich wie ein Albtraum: Der erfolgreichste deutsche Trainer seiner Generation bekommt Panik-Attacken im Auto, reißt die Fenster auf, um Luft zu bekommen. Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, totale Erschöpfung. Ein Psychiater verschreibt Antidepressiva. Der Mann, der mit Borussia Dortmund und Bayern München so viele Trophäen gewonnen hatte, konnte nicht mehr.

Was wäre gewesen, wenn der DFB damals nicht nur ein Vertragsangebot geschickt, sondern auch gefragt hätte: Wie geht es Ihnen eigentlich? Wenn es ein System gegeben hätte, das Warnsignale erkennt, bevor Menschen zusammenbrechen? Hitzfeld selbst gibt die Antwort: Man dürfe keine Schwäche zeigen, fresse alles in sich hinein. Der Preis dafür: Deutschland verlor seinen vielleicht besten Trainer an eine psychische Erkrankung.

Depression ist keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit

Hitzfelds Offenheit kommt spät, aber sie kommt zur richtigen Zeit. Wenn selbst eine Trainerlegende zugibt, dass sie Hilfe brauchte und diese auch annahm, verliert das Stigma seine Macht. Seine Geschichte zeigt: Depression ist keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit. Sie ist behandelbar. Man kann zurückkommen – Hitzfeld übernahm 2007 wieder die Bayern, trainierte danach sechs Jahre die Schweiz.

Der deutsche Fußball hat sich seither verändert. Die Belastung steigt mit jedem neuen Turnier, mit engeren Rahmenterminkalendern, mit immer mehr Drucksituationen vor Live-Kameras. Ständig werden Trainer verheizt, bis sie nicht mehr können. Zuletzt machte Pep Guardiola sein Leiden öffentlich.

Noch immer gilt psychologische Betreuung als Luxus, nicht als Notwendigkeit. Dabei zeigt Hitzfelds Fall: Die besten Köpfe gehen nicht an der Konkurrenz zugrunde, sondern am System, das sie ausbeutet, statt sie zu schützen.

Man kann das Problem nicht damit schönreden, dass man auf die fürstlichen Gehälter in der Trainerbranche verweist. Und ja, auch in anderen Berufen leiden Menschen an der Belastung am Arbeitsplatz. Aber das eine wiegt das andere ja nicht auf. Hier reden wir über die Trainer.

Hoher Druck von innen und außen

Vermutlich gibt es keinen anderen Berufsstand, wo der leitendende Angestellte Druck von innen (Mannschaft und Vorstand) und außen (Medien und Fans) ausgesetzt ist und hinterher immer alleine als Schuldiger dasteht und seinen Arbeitsort im Schnitt vor Ablauf von zwei Jahren wechseln muss.

Es braucht nicht viel: Regelmäßige psychologische Checks, wie es medizinische gibt. Vertrauenspersonen außerhalb der Vereinshierarchie. Die Akzeptanz, dass auch Trainer mal eine Auszeit brauchen. Hitzfeld zog sich in die Schweizer Berge zurück, fand dort seine Kraft wieder. Andere haben dieses Glück nicht.

Empfehlungen der Redaktion

Seine verpasste Chance als Nationaltrainer war Deutschlands Verlust. Aber sie könnte zum Gewinn werden, wenn der Fußball endlich begreift: Die wichtigste Ressource sind nicht Taktiktafeln oder Trainingsplätze. Es sind gesunde Menschen.

Verwendete Quelle

  • Buch: "Mensch Fußballstar: Tabus, Depression, Terror, Tod und große Gefühle: Was die gefeierten Helden neben dem Platz erleben", Andreas Böni

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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