Evangelikal-charismatische Fußball-Influencer missionieren immer öfter über den Sport, wie zum Beispiel "God’s Power Germany". Die Hintergründe.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein zweiter Blick kann essenziell sein. Denn wer den Instagram-Account "God’s Power Germany" öffnet, sieht zunächst vertraute Bilder: jubelnde Fußball-Profis nach einem Tor, Spielszenen, hoch konzentrierte Athleten und immer wieder Sportler, die mit dem Zeigefinger in die Luft zeigen.

Die Botschaften, die darunter stehen, haben weniger mit Sport zu tun, sondern mit Jesus Christus. "Jesus genügt", "In Jesus Name We Play" oder Bibelzitate gehören zum Standardrepertoire. Immer wieder wird der Zusammenhang hergestellt: Der Glaube an Gott verleiht Kraft, im Leben wie auf dem Platz.

Was auf den ersten Blick wie eine normale Fanpage wirkt, ist in Wahrheit etwas recht Spezielles. Es ist Teil einer Bewegung, die in Deutschland noch nicht so lange sichtbar ist: evangelikal-charismatische Fußball-Influencer, die über den Sport missionieren. "God’s Power Germany" ist dabei nur ein Kanal, der dieses Netzwerk abbildet, dafür aber ein besonders anschaulicher.

Wurzeln im Evangelikalismus

"Man muss das theologisch einordnen", erklärt Martin Fritz, wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, im Gespräch mit unserer Redaktion. "'God’s Power Germany' gehört zum evangelikalen Christentum. Das bedeutet: eine persönliche Bekehrung, eine wörtliche Auslegung der Bibel, eine sehr direkte Jesusbeziehung. Und es bedeutet auch: missionarischer Eifer."

Evangelikale Christen unterscheiden sich von aufgeklärteren protestantischen Strömungen dadurch, dass sie die Bibel als unmittelbares Wort Gottes verstehen, mit entsprechenden Konsequenzen für Moralvorstellungen zu Themen wie Sexualität, Abtreibung oder Homosexualität. "Das Ganze hat oft einen antimodernen Zug", sagt Fritz.

Charismatisch und pfingstlich

Noch spezieller wird es, wenn – wie bei "God’s Power Germany" – charismatische oder pfingstliche Elemente hinzukommen. Dort spielt der Heilige Geist die zentrale Rolle: Er wirkt unmittelbar im Leben der Gläubigen, durch "Power" und Wunder. "Die Botschaft lautet: Wer glaubt, der erfährt die Kraft Gottes direkt, sei es im Alltag oder sogar auf dem Fußballplatz", erklärt Fritz.

Genau diese Vorstellung prägt viele Posts des Kanals: Der Glaube wird zur Quelle von Durchhaltevermögen, Stärke und Erfolg. Dass dabei Fußballer wie Eberechi Eze (FC Arsenal) oder Ruben Vargas (FC Sevilla), aber auch Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye als Vorbilder dienen, ist kein Zufall. "Das ist ein Missionskanal", sagt der Theologe. "Man nutzt die Strahlkraft der Profis, um Jugendliche zu erreichen." Denn die Idole aus dem Sport verleihen der Bewegung Glaubwürdigkeit und Attraktivität.

Mission mit Vorbildern bringt Glaubwürdigkeit

Aktuelle Beispiele gibt es einige: Borussia Dortmunds Felix Nmecha präsentiert sich in den sozialen Medien als tiefgläubiger Christ und löste vor zwei Jahren die bisher größte deutsche Debatte über Evangelikale im Spitzenfußball aus, nachdem er sich mit seinen Inhalten dem Vorwurf der Diskriminierung ausgesetzt sah. Im Kontext evangelikaler Botschaften wird auch Davie Selke genannt, der beim Aufstieg mit dem Hamburger SV im Frühjahr ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Jesus is King" trug.

"God’s Power Germany" teilte das Bild ebenso wie der Kanal "Ballers in God", der von John Bostock gegründet wurde. Der frühere englische Profi hat seit 2015 mit der Bewegung "Ballers in God" eine enorme Strahlkraft erreicht. Historisch prägte Brasilien-Legende Kaka das Bild mit einem "I belong to Jesus" auf dem Shirt nach dem Champions-League-Finale 2007. Daneben sieht man immer wieder den zum Himmel gerichteten Finger – ein Symbol des Glaubens, den viele Sportler offen ausleben.

"Das Muster ist überall ähnlich", sagt Fritz. "Spieler bekennen sehr persönlich ihren Glauben, erzählen von Krise, Bekehrung, Halt und verknüpfen das implizit mit Leistung: Gott gibt Stärke, auch auf dem Platz." Genau hier siedelt der Theologe "God’s Power Germany" an: evangelikal, stark missionarisch, mit charismatischer Note.

Halt und Gemeinschaft – aber auch Druck

Für viele Spieler hat der Glaube schlicht eine sehr persönliche Dimension, denn er gibt ihnen inmitten des Milliarden-Business Kraft, Rückhalt und Vertrauen. "Da ist Religion erst einmal etwas sehr Positives", betont Fritz. "Beten, gemeinsam Bibel lesen, sich vernetzen – das kann Kraft und Orientierung geben in einem harten und teils auch einsamen Geschäft." Über allem steht sowieso die Religionsfreiheit, die in Deutschland im Grundgesetz verankert ist. Bei der Betrachtung evangelikaler Bewegungen gilt es also, sensibel zu urteilen.

"Da gruselt es mich manchmal ein bisschen, wenn der Eindruck entsteht: Mit genügend Glauben kann ich Gott dazu bewegen, mir den Sieg zu schenken."

Theologe Martin Fritz

Trotzdem sieht Fritz die Bewegung "God’s Power Germany" auch kritisch, vor allem die enge Verbindung von Glauben und sportlichem Erfolg. "Da gruselt es mich manchmal ein bisschen", sagt er, "wenn der Eindruck entsteht: Mit genügend Glauben kann ich Gott dazu bewegen, mir den Sieg zu schenken. Man fragt sich da ja auch: Was ist mit den Gläubigen des anderen Teams, die das Spiel dann leider verlieren? Und wie sehr interessiert sich Gott wohl überhaupt für Fußball?" Manche Posts würden zudem hart an magischen Vorstellungen vorbeischrammen, als könne man durch Gebet sportliche Ergebnisse erzwingen, sagt Fritz.

Hinzu kommen weitere problematische Ansichten, die in pfingstlich-evangelikalen Kreisen verbreitet sind. Homosexualität, Sex vor der Ehe oder Abtreibung werden dort oft strikt abgelehnt. Eine starke Frömmigkeit stehe dem modernen Zeitgeist entgegen, betont Fritz: "Auf der einen Seite der Kreis der Gläubigen, auf der anderen Seite eine vermeintlich gottlose, liberale Gesellschaft. Dieses forciert Antiliberale und Antifreiheitliche kann schon problematisch werden." Außerdem wird in der evangelikalen Missionierungsarbeit häufig eine hohe Dringlichkeit erzeugt, sich jetzt ganz für Jesus zu entscheiden. Das könne "für junge Menschen auch Druck bedeuten", warnt Fritz.

Lebensaufgabe der Evangelikalen

Denn "es wird als göttlicher Auftrag aufgefasst, Menschen zum 'richtigen Glauben' zu bekehren, um so viele Seelen wie möglich zu erlösen", sagt Maren Freudenberg, Religionssoziologin am "Center for Religious Studies" der Ruhr-Universität Bochum, bei "Tagesschau.de". Ansonsten drohten große Qualen für Sünder. "Deswegen sehen Evangelikale es als Lebensaufgabe an, nicht nur die eigene Seele durch die Bekehrung zu retten, sondern auch andere für diesen Glauben zu gewinnen."

Neben den erwähnten Bildern finden sich bei "God’s Power Germany" auch Kurz-Videos, in denen es mit Host Jakes Boakye nicht nur um den Glauben geht, sondern auch um den Alltag. Zum Beispiel, welchen Einfluss Musik auf das geistliche Leben eines Christen hat. Boakye erklärt dabei, dass neben Gott auch "der Feind", also der Teufel, durch die Musik in die Seele von Menschen eindringen könne.

Boakye entgegnet auf die Frage von "Tagesschau.de", ob er mit den Social-Media-Kanälen von "God's Power Germany" missioniere: "Unsere Social Media Kanäle dienen in erster Linie der Information über Veranstaltungen, dem Teilen von Glaubenserfahrungen sowie der Förderung von Gemeinschaft. Die Inhalte richten sich an Menschen aller Altersgruppen, ohne gezielte Missionierung oder Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen."

Die Kritik, dass er nicht nur Host von "God's Power Germany" ist, sondern auch Redner in den ziemlich radikalen Kirchen der COP Germany, entgegnete Boakye mit dem Verweis, dass für ihn "Respekt, Menschenwürde und das Miteinander im Vordergrund" stünden und er nicht alle Formulierungen oder Bewertungen des Dachverbands teile. Womit Fragezeichen bleiben.

Kleine Reichweite, große Symbolik

Wie groß der Einfluss von "God’s Power Germany" letzten Endes tatsächlich ist, lässt sich schwer messen. Mit rund 7.000 Followern auf Instagram, knapp 5.000 auf TikTok und keinen 400 auf YouTube (Stand 19.09.2025) wirken die Dimensionen überschaubar. "Die Social-Media-Wirkung ist begrenzt", sagt Fritz.

Aber: Auf einen 15-Jährigen, der die Sportler bewundert und Halt im Leben sucht, kann ein Post, der Sieg und Glauben verknüpft, durchaus Eindruck machen. In dem Zusammenhang kann es mit bekannten Athleten und ihrer Vorbildfunktion dann schnell problematisch werden, weil es kritische Aspekte der Bewegung gibt, die aus moderner Perspektive mindestens grenzwertig sind.

Skepsis ist angebracht

Für Fritz ist es deshalb wichtig, dass diese Bewegungen grundsätzlich kritisch eingeordnet werden: "Es muss klar sein, dass es viele Formen von Christentum gibt und mit welcher speziellen Form wir es hier zu tun haben." Fritz plädiert deshalb für Differenzierung. "Mission gehört zur Religionsfreiheit, die muss man aushalten. Aber man muss auch benennen, wo es problematisch wird: bei Erfolgsfrömmigkeit, bei rigider Moral, bei der Vorstellung, dass Glaube fast magisch wirkt."

Soll heißen: "Es wäre falsch, pauschal draufzuhauen – aber genauso falsch, die Bewegung unkritisch zu feiern." Es braucht daher Aufklärung, gerade wenn Jugendliche mit einer sehr exklusiven und teilweise rigiden Form von Christentum in Berührung kommen. Solche Aufklärung sollte vor allem durch die Schulen geleistet werden, konkret im Religions- und Ethik-Unterricht, aber auch überall da, wo Medienkompetenz vermittelt wird.

"God’s Power Germany" ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie Religion im Sport wirken kann. Für manche Spieler ist es Lebenshilfe, für andere ein Weg, Glauben öffentlich zu bekennen. Kritiker nennen es ein Instrument, das sportlichen Erfolg mit göttlicher Kraft auflädt und damit eine problematische Verbindung schafft.

Empfehlungen der Redaktion

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen: harmlos im Einzelnen, aber mit einer Botschaft, die polarisieren kann. Zwischen Halt und Druck, zwischen Gemeinschaft und Mission. Oder, wie Fritz es formuliert: "Diese Form von Frömmigkeit hat gute Seiten, aber sie hat auch Schattenseiten. Wer das ernsthaft verstehen will, muss genau hinschauen." Denn ein zweiter Blick kann essenziell sein.

Über den Gesprächspartner

  • PD Dr. theol. Martin Fritz ist wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.

Verwendete Quellen