Harry Kane ist heute der vielleicht beste Stürmer der Welt. Der frühere deutsche Nationalspieler Steffen Freund kannte den Engländer bereits als junges Talent und war damals von dessen Mentalität schwer beeindruckt.

Seine Treffsicherheit ist einzigartig. Harry Kane erzielte am vergangenen Samstag beim 4:1 gegen die TSG Hoffenheim bereits seinen neunten Hattrick in der Bundesliga. Der englische Stürmer ist der erste Spieler der Bundesliga-Geschichte, der bereits nach 67 Spielen 70 Tore geschossen hat.

"Er ist einfach herausragend," lobte Bayern-Sportvorstand Max Eberl. "Das sage ich nicht wegen der drei Tore, sondern auch wegen der Art, wie er als Persönlichkeit auf dem Platz agiert. Auch in der ersten Halbzeit, als es nicht so gut gelaufen ist, will er trotzdem den Ball, unterstützt die Jungs, er fightet, er geht auch in der Defensive in die Zweikämpfe. Das ist ein wahrer Leader!"

Mitspieler Jonathan Tah ist ebenfalls schwer beeindruckt. "Da fehlen mir die Worte", sagte der Innenverteidiger. "Er macht es überragend. Ich habe nicht viele Stürmer gesehen, die das abreißen, was er auf dem Platz abreißt."

Mehr als nur ein Torjäger – und trotzdem bescheiden

Kane ist mehr als nur ein typischer Strafraumstürmer. Dies zeigt sich nicht zuletzt an seinen 21 Torvorlagen in 67 Bundesligaspielen. Der 32-Jährige lässt sich oft ins Mittelfeld fallen, holt sich die Bälle ab, gewinnt Zweikämpfe, hat dabei einen überragenden Blick für die Mitspieler und leitet Chancen ein.

Dies ist ein Grund dafür, dass der Verletzungsausfall von Jamal Musiala bislang gut kompensiert werden konnte. Kane spielt präzise Diagonalbälle auf die Außenbahnen und macht das Spiel dadurch schnell.

Ebenfalls wichtig: Wenn Kane eine tiefere Position einnimmt, bindet er die Gegenspieler an sich. Davon profitieren Mitspieler wie Serge Gnabry oder Michael Olise, weil im gegnerischen Drittel freie Räume für sie entstehen.

Hinzu kommen seine defensiven Qualitäten. Wie von Trainer Vincent Kompany gefordert, arbeitet er viel gegen den Ball. Nach Ballverlusten verfolgt er die Gegenspieler bis in deren eigenen Hälfte und geht mit vollem Körpereinsatz in die Zweikämpfe. Auch bei Standards unterstützt er die Defensive. Man könnte fast behaupten: Kane deckt mehrere Positionen gleichzeitig ab.

Hinzu kommt seine Persönlichkeit. Trotz seiner Erfolge ist er frei von Starallüren. "Schön, wieder getroffen zu haben und der Mannschaft helfen zu können", sagte er nach dem Spiel gegen Hoffenheim ganz bescheiden. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft gibt sich stets höflich, beantwortet die Fragen der Presse geduldig und stellt sich dabei nie selbst in den Mittelpunkt. "Ich fühle mich gut. Ich weiß, dass ich in diesem Team Chancen bekomme – das ist ein Verdienst der Jungs", so Kane.

Kane jagt die Bestmarken von Ronaldo und Haaland

Kane könnte sogar die Bestmarken zweier Weltstars einstellen. Cristiano Ronaldo und Erling Haaland benötigten für ihre ersten 100 Treffer bei einem Klub in den Top-5-Ligen jeweils 105 Spiele. Kane hat nun 70 Bundesliga-Tore auf dem Konto – nach nur 67 Begegnungen.

Und doch unterscheidet ihn eines von Ronaldo und Haaland: Kane ist kein Spieler gewesen, der bereits in jungen Jahren als Ausnahme-Fußballer gefeiert wurde. Niemand kann das besser beurteilen als der frühere deutsche Nationalspieler Steffen Freund. Von Sommer 2012 bis Sommer 2015 ist er nämlich Co-Trainer bei Tottenham Hotspur gewesen – dem damaligen Verein von Kane.

Kane wollte keinen Urlaub, sondern Training

Freund lernte Kane kennen, als dieser erst 19 Jahre alt war. Im "Doppelpass" von "Sport1" schilderte er eine seiner ersten Begegnungen mit Kane: "Er kam 2012 von der U19-Europameisterschaft mit England wieder. André Villas-Boas (damaliger Cheftrainer von Tottenham, Anm.d.Red.) und ich saßen im Raum. Er kam rein und sagte: 'Ich will trainieren'. Ich sagte daraufhin: 'Harry, du musst jetzt erst einmal zwei, drei Wochen Urlaub machen."

Die Mentalität des jungen Kane beeindruckte Freund sehr: "Da konnte man sehen, was für eine Einstellung und Bereitschaft er hat, weil er sich durchsetzen will." Dennoch musste Kane Umwege gehen, um sich bei Tottenham durchzusetzen.

Kane wurde mehrfach verliehen

"Danach wurde er ausgeliehen – nach Millwall, Norwich und Leicester. Er hatte schwere Verletzungen, brach sich den Mittelfuß", erinnert sich Freund. Insgesamt wurde Kane sogar viermal verliehen. "Zwischendurch habe ich ihn immer wieder gehabt. Jedes Mal kam er an und sagte: 'Ich muss mehr machen, Steffen, was kann ich tun?' Er hat immer versucht, mehr zu machen. Und heute ist er der beste Stürmer von Europa, vielleicht sogar von der Welt. Das ist etwas, was nur Fleiß war."

Laut Freund sollten sich junge Spieler ein Beispiel an Kane nehmen: "Das ist genau der Weg: Mehr machen, immer wieder nachfragen, sich ausleihen lassen – dann die Verletzungen. Alles, was man sich vorstellen kann, hat er negativ in den ersten drei Jahren erlebt."

Den Ball ins Tor schießen konnte Kane schon immer

Kane hat sich nie auf seinen Erfolgen ausgeruht, sondern sich trotz seines Talents immer weiterentwickelt. Dies ist ein Grund für seine Vielseitigkeit. "Den Ball ins Netz zu schießen, das konnte ich schon immer. Aber als ich dann in meine frühen Teenager-Jahre kam, habe ich wirklich hart an allen möglichen Arten von Abschlüssen gearbeitet, weil ich verstanden habe, dass man in einem Spiel nicht immer den perfekten Abschluss hinbekommen wird", verriet er im Interview mit "UEFA.com".

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"Also habe ich am rechten Fuß gearbeitet, am linken, an Kopfbällen, Freistößen, Elfmetern, an allem. Wenn man so variabel wie möglich ist – also im Eins-gegen-Eins oder im Strafraum nach links oder rechts ziehen kann und bei Kopfbällen gefährlich ist – dann ist das eine Bereicherung für das eigene Spiel und macht es noch schwieriger, einen zu stoppen."

Dies bekommen seine Gegenspieler in der Bundesliga momentan Woche für Woche zu spüren.

Verwendete Quellen