Mit seinem Weltmeistertitel über 100 Meter bringt der Jamaikaner Oblique Seville auch sein Idol Usain Bolt zum Ausflippen. Ist er der Nachfolger des großen Superstars?

Die Kameras liefen, die Leichtathletik-Welt lauschte – aber Oblique Seville sprach vor allem zu einem: Usain Bolt. "Ich habe vor seinen Augen bewiesen, dass ich ein Champion bin", sagte der neue 100-Meter-Weltmeister aus Jamaika voller Stolz. Dass der größte Sprinter der Geschichte seinen magischen Moment von Tokio live miterlebt hatte, wog für ihn fast mehr als der Titel selbst.

Ganz vorsichtig trat Seville, der lange als großes Versprechen galt und doch immer knapp scheiterte, in Japan mit seinen 9,77 Sekunden in die riesigen Fußstapfen seines Vorbilds – und beendete ganz nebenbei die Durststrecke des Karibikstaates, der nach der Bolt-Ära zehn Jahre auf einen neuen jamaikanischen WM-Champion in der Königsdisziplin hatte warten müssen.

Seville richtet Worte an die Zweifler

"Viele Leute sagen, dass ich in Panik gerate. Ich weiß nicht, wovon sie reden", sagte Seville mit Blick auf seine jüngsten Finals. Vierter bei der WM 2022 in Eugene, Vierter bei der WM 2023 in Budapest, Letzter im olympischen Finale von Paris 2024. Nun stand er, dieses pfeilschnelle Energiebündel, endlich ganz oben. Er hoffe, sagte Seville in Richtung seiner Zweifler, "dass sie erkennen, dass Oblique Seville tatsächlich konkurrenzfähig und ein Kämpfer ist."

Bolt hatte das Potenzial des 24-Jährigen, der für einen Sprinter "nur" kleine 1,70 Meter misst, schon vor dem Gold-Lauf von Tokio gesehen. Ohnehin bewies der Weltrekordler ein gutes Näschen: Der 39-Jährige hatte einen jamaikanischen Doppelsieg, den Seville vor seinem Landsmann und Weltjahresbesten Kishane Thompson anführte, vorausgesagt. Titelverteidiger und Olympiasieger Noah Lyles blieb lediglich der dritte Platz, die US-Vorherrschaft über die 100 Meter ist vorerst beendet.

Bolt, der erstmals seit acht Jahren wieder bei Weltmeisterschaften vor Ort war, und Seville haben eine besondere Beziehung. In Glen Mills hat der neue WM-Champion denselben Trainer wie einst Bolt auf dessen Weg zu acht Olympiasiegen, elf WM-Titeln und dem Fabelweltrekord von 9,58 Sekunden.

Wackelt Bolts Bestmarke von Berlin?

"Sein Trainer ist auch mein Trainer, und ich weiß, dass beide gerade sehr stolz auf mich sind", sagte Seville. "Leichtathletik ist sowohl eine mentale als auch eine körperliche Herausforderung. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ich den mentalen Teil gemeistert habe. Jetzt will ich noch mehr Goldmedaillen!"

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Und vielleicht wackelt in Zukunft ja auch Bolts Bestmarke von Berlin - zumindest glaubt das die Sprint-Ikone selbst. "Ich habe das Gefühl, Oblique kann es schaffen", sagte Bolt: "Wenn er während der Saison fit bleibt und alles richtig zusammenkommt, glaube ich, dass er es kann." (SID/bearbeitet von jum)  © SID