Viele Tennisstars müssen mit Hassnachrichten und Morddrohungen leben, immer mehr gehen damit an die Öffentlichkeit. Auch die Verbände unternehmen etwas. Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.

Die Hilferufe sind inzwischen so laut, dass sie nicht mehr zu überhören sind. Denn immer mehr Tennisprofis gehen an die Öffentlichkeit. Alexander Zverev, Carlos Alcaraz, Tamara Korpatsch, Eva Lys oder Elina Switolina haben geschildert, wie sie nach Partien mit einer Welle von Hassbotschaften konfrontiert wurden.

Der Sport, der für Fairness, Präzision und Eleganz steht, wird auf Social Media immer häufiger zum Ventil für Frust, Wut und Beschimpfungen. Sexismus ist dabei, Rassismus auch, und teilweise erhalten die Spieler sogar Mordandrohungen. Und klar wird: Dieser Hass ist inzwischen ein strukturelles Problem des Sports geworden. Denn eine neue Facette ist hinzugekommen.

"Tennis ist ein extrem prominenter Sport, die Spielerinnen haben riesige Reichweiten. Wenn sie öffentlich machen, was ihnen widerfährt, schlägt das sofort große Wellen", sagt Daniel Nölleke vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Zugleich ist Tennis aber auch deshalb besonders betroffen, weil auf diesen Sport enorm viel gewettet wird. Gerade enttäuschte Wetter – häufig männlich – reagieren extrem. Sie verlieren Geld, sind frustriert, und lassen diesen Frust an den Spielerinnen aus."

Wetten boomen: Tennis bei den Zockern beliebt

Im Sportwettenmarkt ist Tennis inzwischen hinter Fußball auf Platz zwei. Gründe für ein zuletzt starkes Wachstum sind die Digitalisierung und die wachsende Anzahl an Online-Wettplattformen und Live-Wetten während der Spiele. Hinzu kommt, dass die Einflussfaktoren bei einem Einzelsport geringer sind als bei einer Mannschaftssportart wie Fußball. Damit sind die Athleten aber eben auch oft das alleinige Ziel der Hassattacken. Und die sorgen je nach Botschaft für echte Angst.

"Man weiß nicht, ob diese Person vor Ort ist. Man weiß nicht, ob sie in der Nähe ist, oder ob sie weiß, wo man wohnt oder so etwas", sagte die Britin Katie Boulter, die im Juni in einem Gespräch mit der "BBC" Nachrichten öffentlich machte.

"Hoffentlich bekommst du Krebs", schrieb ihr jemand. Ein anderer meinte: "Fahr zur Hölle. Ich habe das Geld verloren, das mir meine Mutter geschickt hat." Und ein Dritter forderte sie auf, "Kerzen und einen Sarg für deine ganze Familie zu kaufen" – verbunden mit der Drohung, "das Grab deiner Großmutter zu schänden, wenn du morgen nicht tot bist".

Korpatsch wehrt sich: "Warum zur Hölle wettet ihr auf mich?"

Auch Korpatsch war im Juli an die Öffentlichkeit gegangen, nachdem ihr ein Instagram-Nutzer den Tod gewünscht hatte. "Wie ihr alle sagt: Ich bin scheiße, ich kann nicht aufschlagen, ich spiele schlechtes Tennis. Wenn ich so schlecht bin, warum zur Hölle wettet ihr auf mich?", schrieb Korpatsch in ihrer Instagram-Story.

Korpatsch richtete sich zudem direkt an den Verfasser der Hassnachricht: "Es ist besser, nicht auf den Tod anderer Leute zu hoffen, sondern sich auf das eigene scheiß Leben zu konzentrieren."

Anfang August zog Switolina nach. "Ich bin Mutter, bevor ich Athletin bin. Die Art und Weise, wie ihr mit Frauen – mit Müttern – sprecht, ist beschämend. Wenn eure Mütter eure Nachrichten sehen würden, wären sie angewidert", schrieb sie auf Instagram zu Fotos von beleidigenden und teils bedrohlichen Nachrichten wie "Ich hoffe, du stirbst heute Nacht".

Für die ehemalige deutsche Spitzenspielerin Andrea Petkovic ist klar: Das Geschäft mit Sportwetten "führt uns alle ins Social-Media-Verderben", wie sie "t-online" sagte.

WTA und ITF veröffentlichen Bericht über Hass

Im Juni haben die Women’s Tennis Association (WTA) und die International Tennis Federation (ITF) einen Bericht veröffentlicht, der das Ausmaß von Anfeindungen gegenüber Spielerinnen in den sozialen Medien aufzeigt. Mithilfe künstlicher Intelligenz und menschlichen Analysten werden alle großen Social-Media-Plattformen in mehr als 40 Sprachen überwacht, sodass rund 8.300 Spielerinnen abgedeckt werden.

2024 wurden demnach 1,6 Millionen Posts und Kommentare analysiert. Rund 8.000 Beiträge aus 4.200 Accounts wurden als beleidigend, gewalttätig oder bedrohlich eingestuft, dabei waren 458 Spielerinnen direkt Zielscheibe von Hass oder Drohungen. Fünf Spielerinnen erhielten allein 26 Prozent aller identifizierten Anfeindungen, während 97 aktive Konten für 23 Prozent aller erfassten Missbrauchsfälle verantwortlich waren. 15 Fälle wurden an Strafverfolgungsbehörden übergeben.

Wütende Zocker waren laut der Untersuchung in 40 Prozent der Fälle die Urheber der Nachrichten, in 56 von Spielerinnen gemeldeten Fällen waren es sogar 77 Prozent. Die Tennisverbände fordern daher einen konstruktiven Dialog mit der Wettindustrie, um gegen die Hater effektiver vorgehen zu können. Ob das gelingt und etwas bringt? Das bleibt vorerst offen.

Die Zahlen zu Hassnachrichten sind nur die Spitze des Eisbergs

Die vorliegenden Zahlen sind aber wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Hassnachrichten erreichen die Athleten vor allem über Direktnachrichten, oft in einer Intensität und Anzahl, die empirisch kaum erfasst werden kann. "Die Tendenz ist eindeutig: Mit der Inflation an Wettangeboten nimmt auch die Menge an Hass exponentiell zu", sagt Nölleke, für den die KI-Lösung der Verbände eine "Blackbox" bleibt.

Denn die KI hat nur Zugriff auf offizielle Kanäle der Sportler und Verbände. Was oft dazu führt, dass sich der Hass verlagert. Und: "Was filtert die KI, und auf welcher Basis? Hass ist keine Meinung, klar. Aber blindes Vertrauen in technische Filter kann nicht die einzige Lösung sein. Es braucht immer auch Transparenz, Aufklärung und klare Regeln", sagt Nölleke, der sich in einem aktuellen Projekt mit Online-Hass im Leistungssport beschäftigt.

Spielerinnen müssen laut bleiben

Wichtig sind in dem Zusammenhang die Spieler, die an die Öffentlichkeit gehen. Denn dass das Problem riesig ist, zeigt sich schon an den Reaktionen im Sport selbst. "Immer wenn jemand den Mut hat, Hass öffentlich zu machen, gibt es sofort viele Solidaritätsbekundungen von Kolleginnen und Kollegen. Das heißt: Sehr viele machen ähnliche Erfahrungen, trauen sich aber nicht, das offen zu zeigen", erklärt Nölleke. Die viel gehörte Haltung "Ich lese die Nachrichten gar nicht" sei eher Selbstschutz. "Darum ist es so wichtig, dass Spielerinnen zeigen, wie sehr Hass sie tatsächlich trifft. Das macht sichtbar, dass diese Angriffe echte Spuren hinterlassen."

Dass der Hass so enthemmt ist, liegt daran, dass die Debattenkultur verroht und viele immer noch keine Konsequenzen fürchten. "Hass im Netz ist nicht folgenlos, aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand tatsächlich strafrechtlich belangt wird, ist gering. Viele fühlen sich anonym, auch wenn sie unter Klarnamen posten. Es ist die Dynamik der Masse: Allein würde man das nie sagen, in der Gruppe traut man sich", sagt Nölleke.

Die große Frage: Wie lässt sich das Problem lösen? Nölleke bleibt vorsichtig, denn "eine endgültige Lösung gibt es nicht, das ist illusorisch". Man könne aber auf mehreren Ebenen ansetzen. Die Athleten müssten weiter für die Sichtbarkeit sorgen. Auch die Social-Media-Plattformen sind gefordert, dazu auch die Mitmenschen, die Grenzen aufzeigen können. "Und die Verbände sind gefragt, sensibel zu sein, Kampagnen zu fahren, Unterstützung anzubieten. Juristisch braucht es klarere Strukturen, um Hass konsequent verfolgen zu können." Wichtig ist, dass der Sport erkannt hat, wie groß das Problem inzwischen ist.

Eine ernüchternde Prognose

Seine Prognose ist trotzdem ernüchternd, denn "Hass wird bleiben", sagt Nölleke. "Weil Sportler Projektionsflächen sind, weil Sport immer Emotionen bündelt, weil Wetten ein zusätzlicher Treiber sind. Aber ich bin optimistisch, dass der Sport selbst immer professioneller damit umgeht – mit Offenheit, Strukturen, Sensibilisierung. Dass es kein Zeichen von Schwäche mehr ist, wenn jemand sagt: Das belastet mich."

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Die Hilferufe sollten daher nicht verstummen - denn Hass im Netz ist längst mehr als ein Nebengeräusch.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Daniel Nölleke ist als Juniorprofessor für "Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit" an der Deutschen Sporthochschule in Köln am Institut für Kommunikations- und Medienforschung tätig.

Verwendete Quellen