Was für ein Tag. Während in der echten Welt der Peter Althof für linksradikale Studienräte, Jan Böhmermann, mit bissiger Kritik an der aktuellen Corona-Schulpolitik faktenresistente Hauptstadt-Journalisten an der Diagnostik von Satire verzweifeln lässt, frönt im fernen Südafrika das lebendig gewordene Tattoo-Studio Eric Stehfest der medialen Selbstzerstörung in einem Ausmaß, für das selbst Xavier Naidoo lange Anlauf hätte nehmen müssen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Aber der Reihe nach. Der Tag beginnt mit der obligatorisch gewordenen Verabschiedung der am Vorabend per Zuschauer-Guillotine aus dem Camp verbannten Kandidaten. In diesem Fall: Jasmin Herren. Die Wehmut stagniert dabei auf Raumtemperatur, ausschweifende Heulorgien bleiben aus.

Zumindest aber wird Jasmin von Macho-Bodyguard und Deutschlands größter Hoffnung für internationale Kabarettisten-Preise, Peter Althof, akkurat mit Umarmung und einigen durchaus netten Worten verabschiedet. Bei Tara Tabithas Abgang sah das noch ganz anders aus.

Der hatte Peter noch ein charmantes "Die Küchenhilfe ist weg" nachgerufen. Ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt für jemanden, der zum Dschungelgeschehen bislang ausschließlich Witze beigetragen hat, die schon für den Vater von Thomas Gottschalks Opa einen Bart hatten.

Pombööse Onkelz

Kurz danach überschlagen sich die Ereignisse. Aus internen Quellen wird mir zugetragen, dass die Chefetage im RTL-Epizentrum in Köln-Deutz noch am Abend eine Großbestellung diamantenbesetzter Rolls Royce bestellt hat. Konfrontations-Eskalation, wie man sie quotengoldiger nicht hätte in ein Drehbuch gießen können.

Dabei hatte Tag 10 auf einem so seichten Zoff-Level begonnen, dass man sich bis zur zweiten Werbepause (in der ein durchschnittlich begabter Pavian übrigens locker hätte Japanisch lernen können) im Prinzip nur mit einer ganzen Armada an Substanzen wachhalten konnte, die die Hauptrollen in Eric Stehfests Buch "Neun Tage Wach" spielen.

Zum Aufwärmen leistet sich Harald Glööckler während seiner täglichen "Ich will nicht diskutieren"-Diskussion mit Linda Nobat und Tina Ruland einen kurzen Anfall akuter Großkotzigkeit:

"Wenn wir draußen sind, sitze ich auf einer Yacht und ihr in einem Boot". Moneyshaming bei Körperwelten-Antichrist Glööckler? Na, na, na. Ob er da nicht vielleicht eine (kicher, kicher) zu dicke Lippe riskiert hat?

Ganz gegen die Etikette der Haute-Volée, zu der sich der In der pulsierenden Celebrity-Metropole Kirchheim an der Weinstraße lebende drittgrößte Designer aus Rheinland-Pfalz (nach Anja Gockel und Ulla Popken) Pompöös-Erfinder zweifelsfrei zählt, wird Harald sogar unschicklich beleidigend.

Ad hominem nennt man das neudeutsch. Glööckler nennt es weiterhin: "Die Tina sieht schon so verhärmt aus". Das findet auch Haartuch-Designerin Anouschka Renzi: "Ich nehme ihr ihre Mutter Theresa Nummer nicht ab".

Eric Stehfestgemauert in der Erde steht die Form aus Lehm gebrannt

Dann geht es aber endlich los. Kasalla-Koma im Kandidaten-Kollegium. Männer, die auf Intrigen starren. Oder wie es der Dschungelkönig von 1929, Franz Kafka, sagen würde: Als Gregor-Eric Stehfest-Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Feldbett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Einem sogenannten Silberfishing for Compliments.

Eric hadert mit der Gesamtsituation. War das Leben damals, um 1311, noch unbeschwert, muss er sich heute mit allerlei menschlichem Beifang abgeben. Bildungsfernen Stehfest-Hatern, denen er sowohl esoterisch wie auch spirituell kilometerweit den Rang abgelaufen hat.

Besonders ein bestimmtes Quartett treibt ihm die Globuli der Entrüstung in die Augen: "Ich könnte auf die Energien von Linda, Filip, Peter und Tina verzichten". Ja, man bekommt den Eric aus "GZSZ", aber "GZSZ" nicht aus dem Eric.

Keine Überraschung also, dass der Dresdner Esoterik-Ritter und Teilzeit-Homöopath eine weitere Episode aus der beliebten Serie "Schlechte Texte - schlecht vorgetragen" aufführt. Eric Stehfest ist ein Vollblut-Künstler. Ein Ausnahme-Schauspieler. Er lebt für die Bretter vor dem Kopf, die die Welt bedeuten.

Und er möchte Exklusivität für seinen großen Auftritt. Beseelt von der Idee, eine wohltemperierte Egozentrik-Brandbombe über dem Camp abzuwerfen, die die Staffel implodieren lassen könnte, hält er sich sogar beim obligatorischen Lagerfeuer-Streit zurück.

Denn da dürfen alle teilnehmen. Etwas so sendezeitunwürdigem wie Kollektivstreits ist Eric, die personifizierten Corona-Soforthilfe für Berliner Tattoo-Studios, schon lange entwachsen. So ist er beim Streit um Rezepte, um Kochaufträge, um Rucola, um Portionsgrößen und um Bettentausch der Einzige, der während der Keiferei-Weltmeisterschaften boshaft in sich hineinlächelnd, aber ansonsten vollkommen still bleibt.

Der Retourkutschen-Gentleman genießt und schweigt. Essen ist ihm egal. Schlafkomfort ebenfalls. Klar, gegen die Tristesse des Alltags im Jahr 1311, in dem Eric damals seine Frau kennenlernte, ist das Dschungelcamp ein 5-Sterne-Spa. Was zählen da schon ein paar weltliche Annehmlichkeiten?

Ich bin ein Trotzkopf – Holt mich hier raus

Kurz vor der Dschungelprüfung, zu der Eric gemeinsam mit Dieter Nuhr ... äh, nee sorry: Peter Althof nominiert wird, empfängt er plötzlich verstärkt "Energien, die mich belasten". Besonders die zwei Gesichter von Harald Glööckler ziehen ihm den Boden unter den Füßen weg: "Wir können nicht irgendwelche emotionalen Geschichten in die Welt scheißen, damit andere uns bemitleiden. Das ist das Schlimmste, was man machen kann".

Kurz zum Kontext: Glööckler hatte ihm offenbart, er würde im Dschungelcamp nur erfundene Geschichten verbreiten. Erfunden also auch seine tränenreich vorgetragene Beichte über den gewaltsamen Vater und sein Martyrium-Elternhaus? Haralds hochdramatisches Kindheitstrauma, das Eric seit Tagen emotional beschäftigt?

Enttäuscht von seinen Mitstreitern und angestachelt durch seine unbändige Wut auf alle, die zu wenig Wasser geholt haben, tritt Eric zur Prüfung an. Die heißt "Fluss mit Lustig" - vor allem ist aber "Schluss mit Stehfest". Eric bricht die Prüfung ab, noch bevor sie begonnen hat. Als Statement.

Den verblüfften Prüfungs-Aufsehern Daniel Hartwich und Sonja Zietlow erklärt er: "Ich esse seit Tagen nur Reis und trinke Wasser, damit ich nicht in eine Bringschuld komme. Denn es gibt im Camp Menschen, die mir sagen, dass sie mich Scheiße finden und die meine Gefühle ausgenutzt haben, indem sie mir Fake-Geschichten erzählt haben. Ich bin nicht bereit, für Menschen Essen zu erspielen, die nicht gut zu mir sind." Eric macht mit der Dschungel-Fraktion quasi das, was Armin Laschet mit den Kanzler-Hoffnungen der CDU gemacht hat.

Peter und Eric kehren also unverrichteter Dinge mit einer Sternausbeute wie die Quote von "BILD TV" ans Lagerfeuer zurück: Null. Dort erläutert Eric auch den bereits um ein Haar verhungerten Mitcampern, warum er sich der Sternenjagd verweigerte.

Euphorisiert von seiner rebellischen "Einer gegen Alle"-Attitüde spendiert er den verblüfften Campern gleich noch einen Bonus für die Gemeinschaftskasse: "Ich werde auch Regeln brechen, damit ihr hier eure Luxusartikel abgeben müsst". Junge, Junge. Das alles, weil Harald ihm vermeintlich eine Geschichte erzählt hat, die nicht so ganz der Wahrheit entspricht? Ernsthaft? Was macht Eric wohl erst, wenn er rausfindet, dass Udo Jürgens doch mal in New York gewesen ist?

Horrorfilm-Ikone Eric Stehfest

Erwartungsgemäß zeigen die Dschungelgemeinschaft und ihre knurrenden Mägen wenig Verständnis. Teamplay-Allergiker Eric zeigt sich allerdings vorbereitet: "Wenn sie über mich herfallen, dann sollten sie sich in Acht nehmen, denn ich kenne mich in der Dunkelheit sehr gut aus". What?

Ich kenne Horrorfilme, die so begonnen haben. Wenn man jetzt noch weiß, dass "Eric Stehfest" ein Anagramm von "Erstichst Fee" ist, muss man als seriöse Chronistin zwangsläufig diese Frage stellen: Hat Eric ein Messer ins Camp geschmuggelt? Oder heimlich eine Machete aus Taras Fußnägeln gebastelt? Wird er seinen Zorn nachts, wenn alle schlafen, über das Lager kommen lassen?

Insbesondere Linda und Filip leben gefährlich, denn sie zeigen sich besonders lautstark unversöhnlich. Eric lässt das kalt: "Glaubst du, ich hole Luxusessen für euch? Spinnst du?" Gut, wer ein paar Minimaiskolben, einen halben Salat, 300 Gramm Fischflossen und vier Snacktomaten für acht Menschen als Luxus kategorisiert, der boykottiert auch Songs von Michael Wendler, weil "Sie liebt den DJ" zu viele Glückshormone ausschüttet.

Was genau Eric mit dieser Aktion (neudeutsch "Move" genannt) bezwecken möchte, also außer zum kompletten Buhmann beim Publikum zu avancieren, bleibt sein Geheimnis. Lagerkoller? Hitzeschlag? Hunger-Halluzinationen? Stress-Übersprunghandlung? Vielleicht. Vielleicht aber auch strategisch geplante Taktik. Ich nehme an, spätestens morgen kündigt sein Verlag sein nächstes Buch an: "Neun Tage Dach(schaden)".

Leider ist kurz nach den ersten Empörungs-Brandbeschleunigern in Vorwurfs-Form die Sendezeit schon abgelaufen. Ob Eric nur seine eigene Karriere gekillt hat, heute Nacht noch mal bei seinen verhassten Mitstreitern zuschlägt oder selbst Dr. Gerner ihn nicht mehr retten kann, bleibt genauso ein Geheimnis wie der nächste Exit.

Zwar dürfen die Zuschauer wie immer abstimmen, wer im Camp bleiben darf und Linda Nobat sowie Anouschka Renzi erhalten die wenigsten Anrufe. Dennoch bleibt die Besetzungsliste heute stabil. Da für Lucas Cordalis das Abenteuer Dschungelcamp aufgrund einer Corona-Infektion bereits vor seinem Einzug beendet war, fliegt der Niveau-Bomber IBES 2022 aktuell in Unterbesetzung. RTL verzichtet daher heute auf das Aussortieren von Teilnehmern. Folglich wird morgen legendär: Ein Rauswurf und die Causa Stehfest in Superzeitlupe. Ich freue mich. Und werde hier berichten.


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