Rapid konnte sich zuletzt 2008 über den Gewinn des Meistertitels freuen, die Erinnerungen an den letzten österreichischen Pokalsieg datieren aus dem Jahr 1995. Die vorangegangenen fünf Saisonen waren die Grün-Weißen viermal Vizemeister und einmal dritter. Nun hat der Traditionsverein nach 26 Spielen lediglich 30 Punkte gesammelt und liegt in der Tabelle auf dem siebten Rang. Der Verein steckt tief in der Krise und hat auf dem Weg zurück viel Arbeit vor sich. Eine Analyse.

Mehr News zum Thema Fußball

Die schlechteste Platzierung der Vereinsgeschichte erreichte SK Rapid Wien 2001/2002 mit Platz 8 unter Lothar Matthäus. Magere 43 Punkte Ausbeute schauten dabei heraus. Dass die Mannschaft aktuell gegen eine Wiederholung jener katastrophalen Saison zu kämpfen hat, lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen.

Nach drei Vizemeistertiteln in den letzten drei Jahren und dem Problem, die letztjährige Meisterschaft gegen die sogenannten kleinen Vereine verspielt zu haben, musste Trainer Zoran Barisic gehen. Mit Mike Büskens folgte ein Trainer, den viele als großen Irrtum und unpassend für Rapids Spielstil bezeichnet haben. Es war nicht bloß die kantige Art des Deutschen, die für Verwirrung sorgte, sondern auch die Abkehr einer durchgängigen Spielphilosophie von der Kampfmannschaft bis hin zum Nachwuchs, die vom Verein vorgegeben wird. Als dann mit Wunschtrainer Damir Canadi neuer Wind in das Hütteldorfer Allianz Stadion einzog, erhoffte man sich eine Rückkehr zum schnellen und ballsicheren Kombinationsfußball. Der ehemalige Altach-Trainer galt als taktisch variabel und als jemand dessen Mannschaft einen enormen Zug zum Tor hatte.

Fehlerhafte Transferpolitik?

Was jedoch auf dem Papier schön klang, konnte selten bis gar nicht auf dem Platz umgesetzt werden. Ein Grund dafür: Hohe Investitionen, wenig spielerischer Erfolge. In den letzten Jahren hat Rapid bei der Transferpolitik oft eine goldene Nase bewiesen und mit Beric, Kainz, Stangl, Dibon und Schwab Spieler gekauft, die eine Bereicherung im doppelten Sinne waren.

Durch gute Leistungen oder teure Weiterverkäufe. Spielertransfers wie Huspek, Tomi und Jelic sind teilweise hinter ihren Erwartungen geblieben und die letzten Einkäufe Traustason, Mocinic, Malicsek, Joelinton und Kvilitaia konnten sich bisher auch nicht wirklich als Verstärkung profilieren.

Viele Arten Fußball

Nur, einzig allein die Spieler in den Fokus der Analyse zu nehmen, greift zu kurz und kann keine Ausrede sein. Das Problem ist eher die fehlende Kontinuität. Der moderne Fußball hat sich über das letzte Jahrzehnt verändert und äußerst variabel gezeigt. Der unglaubliche Erfolg des spanischen Ballbesitzfußballs hat dazu geführt, dass diese Art des Spiels Einzug in die nationalen Ligen hielt.

Als Gegensatz dazu hat sich, grob betrachtet, eine Art Tempospiel entwickelt, das es zum Ziel hat den Ball innerhalb kürzester Zeit von einem Strafraum in den anderen zu bringen. Beispiele für diese Art zu agieren waren Borussia Mönchengladbach unter Lucien Favre, Dortmund unter Klopp oder aktuell auch RB Leipzig.

Innerhalb beider Spielausrichtungen gibt es mehrere taktische Variationen: Hohes Pressing versus dichte Verteidigungslinien vor dem Strafraum - schnelles Flügelspiel als Gegensatz zum sicheren Pass. Dazwischen jedoch gibt es auch, je nach Trainer- und Spielmaterial, diverseste Ausführungen und Adaptionen.

Was den SK Rapid betrifft ist ersichtlich, dass Canadis Spielweise extrem schnelle Spieler braucht, die bei Rapid momentan in dieser Art, bis auf den verletzten Schobesberger, nicht zu finden sind. Chrisopher Dibon scheint auf der Schlüsselstelle im Aufbauspiel, der 6er-Position, überfordert zu sein. Die scharfe November-Kritik an den Legionären seitens Canadis ("Legionäre müssen 20 Prozent besser sein, sonst spielen sie nicht") hatte zur Folge, dass Nachwuchshoffnungen wie Manuel Thurnwald und Kelvin Arase Chancen witterten bei den Profis Einsatzzeit zu erhalten. Es schien ein neuer Weg, der Weg der Jugend, Einzug zu halten.

Der junge Thurnwald durfte als Rechtsverteidiger und im Mittelfeld spielen, überzeugte, war dann aber bald wieder nur Ersatzspieler. Arase musste zur U19 zurück. Osarenren Okungbowa war besonders in der Wintervorbereitungszeit ein Bestandteil im Spielaufbau und sammelte Praxis als 6er, landete aber wieder bei den Amateuren.

Spieler, die gesetzt scheinen, wie Sonnleitner, Maxi Hofman, Auer, Pavelic und Schrammel mangelt es augenscheinlich an taktischer Finesse und jener Schnelligkeit, die jedoch ein System-Canadi braucht. Auch im Mittelfeld fehlen klarere Konturen. Mocinic hätte die Fähigkeit dazu, ein Spiel zu lenken, wenn man ihm Vertrauen und konstante Einsatzzeit gibt. Stefan Schwabs Spiel kommt eher auf der Achter-Position, statt dahinter, mehr zur Geltung und EM-Teilnehmer Traustason braucht eine klare Anweisung und ein maßgeschneidertes Angriffsspiel um seine Stärken zu zeigen. Gemeinsam mit Joelinton und Schaub hinter den Spitzen und mit Giorgi Kvilitaia als Zentrumstürmer hätte Rapid ein stabiles Gerüst, auf das sich aufbauen ließe; mit den jungen Okungbowa, Sobcyk, Arase, Wöber und Thrunwald auch Spieler in der Hinterhand, die es aufzubauen gilt. Woran scheitert es dennoch?

Frühjahrsputz

Der SK Rapid wird über kurz oder lang sich damit beschäftigen müssen eine Vereinsphilosophie zu etablieren, die nicht mit jedem neuen Trainer in sich zusammenbricht. Erfolgreiche Mannschaften mit weniger Budget zeigen vor, wie es geht. Der Trainer und geholte Spieler müssen zum Verein und dem Spielstil passen; die Art Fußball zu denken und auf den Rasen zu bringen durchgezogen werden. Die österreichische Bundesliga besteht zu einem Großteil aus Mannschaften, die gegen Rapid sehr tief stehen. Um Erfolg gegen mit Mann und Maus verteidigende Gegner zu haben, bedarf es neben kreativer Lösungen vor allem Tempo, und davor: Passgenauigkeit. Dass da nicht alle im Kader der Grün-Weißen mit den benötigten Fertigkeiten ausgezeichnet sind, wurde spätestens heuer ersichtlich. Rapid muss sich von Spielern trennen und riskieren, dass junge Wilde und Legionäre Lehrgeld zahlen und Fehler machen, bevor sie einander finden.

Damit dies geschieht, müssen sowohl die Vereinsführung als auch der Trainer mit offenen Augen an die Analyse herantreten. Damir Canadi hat sich per Facebook an die Öffentlichkeit gewandt: "Ich habe uns in allen Partien als bessere Mannschaft gesehen, in fünf davon gaben wir auch mehr Torschüsse als der Gegner ab und boten wir über weite Strecken Leistungen, die sich wesentlich mehr als die im Frühjahr erreichten drei Punkte verdient hätten. Unsere auch durch diverse Statistiken untermauerte Überlegenheit in diesen Matches konnten wir nicht in Erfolge ummünzen", lautete ein Statement aus der Nachricht.

Untermauert wurde diese Meldung durch drei Statistiken, die zeigen sollen, inwieweit sich Rapid gegen Admira, Sturm und Salzburg unter anderem in puncto Ballbesitz, Zweikampf und Schüsse im Vergleich zu den letzten Duellen gesteigert hat. Ein Aufwärtstrend? Eher nicht. Heutzutage ist es so, dass Statistiken ein Fußballspiel mehr denn je verzerren können. Hoher Ballbesitz bedeutet nicht automatisch die bessere Mannschaft zu sein, Torschüsse sind nicht gleich Schüsse auf das Tor, Pässe werden neuerdings qualitativ an der Anzahl überspielter Gegner gemessen, um nicht dem Ballgeschiebe in der eigenen Hälfte zum Trugschluss zu verfallen.

In dem Schlamassel, in dem sich Rapid nun befindet, ist Zeit der goldene Faktor zur Besserung. Normalerweise ist der Rekordmeister aus Österreich kein Verein, der einem Trainer und Spielern großzügige Zeitrahmen zu funktionieren gewährt. Allerdings sieht es so aus, als ob den Hütteldorfern diesmal keine andere Wahl bleibt. Die internationalen Startplätze sind nahezu unerreichbar, ein Cupsieg in derzeitiger Form unwahrscheinlich. Alles Faktoren, die dafür sprechen in Ruhe weiterzuarbeiten, Ideen zu entwickeln und taktisch, wie auch spielphilosophisch Kontinuität ins Mannschaftsgefüge zu bringen. Auch wenn man auf diesem Weg, die eine oder andere Langzeitstammkraft opfern muss.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.