Jürgen Klinsmanns Rückkehr auf die Bundesliga-Bühne ging bei der 1:2-Niederlage gegen Borussia Dortmund am 13. Spieltag ziemlich schief. Trotzdem überwiegen in Berlin wieder Euphorie und Optimismus.

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Selbst in einer spektakulären Stadt wie Berlin waren die vergangenen Tage durchaus speziell. Am Mittwoch kündigte sich die Rückkehr von Jürgen Klinsmann auf die Bühne der Fußball-Bundesliga an, am Freitag kündigte eine Gruppe anderer wichtiger Menschen die Eröffnung der Dauerbaustelle BER an.

Und am Samstag strömten 74.667 Zuschauer in die kalte Betonschüssel im Westen der Stadt, so viele beherbergt das Olympiastadion sonst nur, wenn der FC Bayern vorbeischaut oder das Pokalfinale ansteht. Man kann schon behaupten, dass das Comeback des ehemaligen Bundestrainers dem deutschen Oberhaus gutgetan hat: Die graue Maus Hertha hat am Samstag-Nachmittag auf einmal prächtig geschimmert, als das Grinsen wieder Einzug hielt in den deutschen Fußball.

Der Kick der Berliner gegen ebenfalls wankende Dortmunder bekam dadurch einen ganz anderen Kick, und Klinsmann kostete die Szenerie bewusst aus.

Hertha BSC: Zwischen Traum und Realität

Mit gezücktem Smartphone stand Klinsmann da und filmte die Fans im Stadion. Die Rückseite seines Mobilgeräts gab dabei das Logo des großen Rivalen des eigenen Ausrüsters preis. Das störte den neuen Hertha-Trainer aber offenbar wenig. Stattdessen saugte er förmlich die Atmosphäre auf und freute sich wie ein kleines Kind auf das, was da kommen mag.

Die gute Laune trug Klinsmann auch nach dem Spiel noch vor sich her. Das war entweder gut geschauspielert oder in der Gewissheit vorgetragen, dass da einer ganz genau weiß, was er tut.

An Selbstvertrauen hat es Klinsmann selten gemangelt. Das ist ganz gut abzulesen an seinen bisherigen Stationen als Trainer: Die am Boden liegende Fußball-Nation Deutschland in eine neue Zeitrechnung führen, mit dem Höhepunkt einer WM im eigenen Land? Kein Problem. Den FC Bayern München ohne Vorkenntnisse als Klubtrainer übernehmen? Nichts leichter als das. Die USA, einen angeblich schlafenden Riesen im Weltfußball, endlich wachküssen? Aber klar doch. Da erscheint die Aufgabe bei der Hertha fast schon simpel.

Dass es alles andere als das wird, dürfte Klinsmann schon nach seinen ersten etwas mehr als 90 Minuten dämmern. Die Ziele in Berlin sind turmhoch formuliert. Auf (kurzfristige) Sicht soll es bitteschön wieder Champions-League-Fußball sein in der Hauptstadt. Die Realität weist zumindest bis Sonntagabend Relegationsplatz 16 aus. Das 1:2 gegen Borussia Dortmund am 13. Spieltag war die fünfte Niederlage in Folge in der Bundesliga.

Jürgen Klinsmann: "Wir hätten mehr verdient gehabt"

"Wir hätten mehr verdient gehabt, Minimum ein 2:2. Das ist natürlich ärgerlich mit der Entscheidung, die aus Köln kam, aber das hätte uns verdammt gutgetan, in der 48. Minute das 2:2 zu machen. Dann glaube ich, hätten wir das Ding auch gewonnen", sagte Klinsmann nach dem Spiel am Sky-Mikrofon in einer seltsamen Mischung aus Frust, Stolz und Lockerheit.

Seine Mannschaft hatte gegen den BVB eine ordentliche Partie geliefert, mehr aber auch noch nicht. In der ersten Halbzeit ließen sich die Berliner gleich doppelt überrumpeln und gerieten mal wieder früh und scheinbar aussichtslos in Rückstand.

Anders als zuletzt bei der indiskutablen Vorstellung in Augsburg bewies die Mannschaft aber wenigstens eine gute Portion Moral und hätte unter Umständen tatsächlich den Ausgleich verdient gehabt. Bei der knappen VAR-Entscheidung bei Davie Selkes Tor fehlten dafür höchstens ein paar Zentimeter. Auf der anderen Seite schaffte es Klinsmanns Team aber auch nicht, einen dezimierten Gegner eine ganze Halbzeit lang so zu bearbeiten und auseinanderzuspielen, dass mehr als zwei, drei gute Chancen dabei heraussprangen.

Unversöhnliche Ultras, sehr optimistischer Davie Selke

Das sahen wohl auch große Teile der Ostkurve so. Entgegen der Meinung der meisten anderen Stadiongänger mit Berliner Vorlieben, waren sie so gar nicht einverstanden mit der Leistung und natürlich dem Ergebnis. Tetrapacks und Fahnenstangen flogen den Spielern aus dem Block der Ultras entgegen, als diese sich nach dem Spiel für die Unterstützung bedanken wollten.

Stattdessen schickten die Fans die Spieler wieder weg. Da waren durchaus Spaltungstendenzen in der Kurve zu erkennen, die die Verantwortlichen aber nicht sahen oder eben nicht sehen wollten.

Jedenfalls waren die unschönen Szenen nach der Partie nicht Gegenstand der Debatten. Stattdessen richtet sich der Blick fast schon krampfhaft nach vorne. "Jeder, der sich ein bisschen mit Fußball auskennt, hat gesehen, was er schon ausgelöst hat in den paar Tagen mit seinem Trainerteam", sagte Selke und meinte damit die ersten Maßnahmen seines neuen Trainers. "Deswegen sind wir auch den Umständen entsprechend entspannt, weil wir wissen, dass wir das Ruder herumreißen werden."

Hertha hat noch genug Zeit, die Dinge zu reparieren

Das war eine recht euphorische Einschätzung von Selke, wenngleich schon im Vorfeld der Partie hätte klar sein müssen, dass es sich lediglich um einen ersten kleinen Schritt in die - hoffentlich - richtige Richtung für die Hertha handeln kann. Es sind aber auch schon ganz andere Mannschaft daran gescheitert, die die Situation verkannt und verklärt hatten und sich dann am Ende wunderten, dass die Gegner nicht mehr Bayern oder Dortmund, sondern Sandhausen oder Aue heißen.

Unter anderem ja auch die Hertha selbst, die in den vergangenen zehn Jahren gleich zweimal abgestiegen war. Noch sind allerdings genug Spiele zu absolvieren, es ist tatsächlich noch jede Menge Zeit, die Dinge zu reparieren.

Zu wenig Performance - auf dem Platz

Das alles mit einem völlig neuen Trainer- und Betreuerteam angehen zu wollen, kann die richtige Entscheidung sein. Klinsmann ist nicht alleine angetreten bei der Hertha. Er hat gleich vier Mitstreiter im Schlepptau - von seinen beiden Co-Trainern über den Torwart-Trainer der Deutschen Nationalmannschaft bis hin zu einem so genannten Performance Manager.

Das sind klassische Klinsmann-Maßnahmen, der davon spricht, "mit meinem Team da reinzugehen" und die Dinge zu verändern. Wie eine Einheit der Navy Seals ins Krisengebiet. Und der sich auf Wortkreationen und Stellenbeschreibungen wie die des Performance Managers einlässt, ohne dabei rot zu werden.

Vermutlich gefällt das alles auch der grauen Eminenz im Hintergrund, Hertha-Geldgeber Lars Windhorst. Aber Punkte gibt es dafür in der Bundesliga nicht. Dafür muss die Performance, also die Leistung auf dem Platz, dann doch besser werden.

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