Bundestrainer Christian Wück hofft, die lange verletzte Lena Oberdorf mit zur EM nehmen zu können. Aus mehreren Gründen wäre es für die Bayern-Spielerin aber wohl vernünftiger, auf das Turnier in der Schweiz zu verzichten.

Eine Analyse
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Lena Oberdorf ist zweifellos eine Spielerin, die den Unterschied ausmachen kann. Die 23-Jährige ist eine Anführerin, Antreiberin und Strategin, mit ihrer Zweikampfstärke und Präsenz kann sie ein Spiel dominieren.

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Weshalb es wenig überraschend ist, dass Bundestrainer Christian Wück hofft, Oberdorf mit zur Europameisterschaft in die Schweiz (2. bis 27. Juli) nehmen zu können.

Die Mittelfeldspielerin wurde am Dienstag ins Aufgebot der DFB-Frauen für die Nations-League-Spiele gegen die Niederlande (30. Mai) und Österreich (3. Juni) berufen, obwohl sie aufgrund ihrer am 16. Juli letzten Jahres erlittenen Kreuz- und Innenbandverletzung in der vergangenen Saison keine einzige Minute für den FC Bayern München gespielt hat.

"Es geht erstmal darum, ihr wieder die Möglichkeit zu geben, sich bei uns auf diesem Niveau zu präsentieren", sagte Wück am Dienstag bei einer Pressekonferenz des DFB: "Wir wollen die Leistung, die sie bei Bayern zeigt, wo sie wieder zu 100 Prozent im Trainingsbetrieb ist, überprüfen."

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Lena Oberdorf im Training des FC Bayern. © IMAGO/Passion2Press/Markus Fischer

Wück würde Oberdorf nicht als Stammspielerin einplanen

Es müsse keine Rücksicht mehr auf die Verletzung genommen werden, führte Wück weiter aus, Oberdorf sei im Training voll einsatzfähig. Grundsätzlich scheint also nichts gegen ein baldiges Comeback Oberdorfs im DFB-Trikot zu sprechen, die Teilnahme an der EM scheint nicht ausgeschlossen.

Bei genauerer Betrachtung gibt es aber doch einige Gründe, warum eine Nominierung Oberdorfs für das Turnier in der Schweiz unter Umständen keine gute Idee ist. Zunächst einmal muss grundsätzlich bezweifelt werden, ob Oberdorf direkt wieder die Weltklasse-Spielerin sein könnte, die sie vor ihrer Verletzung war. Und ob sie direkt wieder voll belastbar wäre, wie es ein solches Turnier mit einer schweren Vorrundengruppe verlangt.

Erfahrungsgemäß brauchen Fußballerinnen und Fußballer nach schweren Knieverletzungen einige Wochen, teilweise sogar Monate, um ihre alte Form und ihren Spielrhythmus wiederzufinden. Auch Wück ist das bewusst. "Ich bin nicht so blauäugig, eine Lena Oberdorf als Stammspielerin einzuplanen, wenn es denn so weit kommen sollte", erklärte der Bundestrainer.

Almuth Schult warnt vor dem Druck bei der EM

Einer anderen Spielerin, die die komplette Saison gespielt hat, würde eine Nominierung Oberdorfs zwangsläufig den Kaderplatz kosten, was der 51-Jährige ebenfalls abwägen muss.

Und selbst in der Rolle einer Ergänzungsspielerin würde "Obi" viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Erwartungen wecken.

Dieser Umstand rief Oberdorfs frühere Mitspielerin Almuth Schult auf den Plan. Die langjährige Nationaltorhüterin kann Wücks Vorgehen zwar grundsätzlich gut nachvollziehen, warnte aber auch, dass Oberdorf "wirklich fit" sein müsse, um mit in die Schweiz zu reisen.

"Sie muss auch selbst davon überzeugt sein. Es ist ein enormer Druck, als Heilsbringerin betrachtet zu werden – gerade nach so einer langen Pause. Wenn man die Erwartungen nicht erfüllt, kann man daran zerbrechen", sagte Schult im Gespräch mit "watson.de".

Bianca Rech: Oberdorf muss entscheiden, ob sie dazu in der Lage ist

Auch Bianca Rech hatte die Hoffnungen zuletzt gedämpft, die Direktorin für Frauenfußball beim FC Bayern sagte Ende April, dass Oberdorf noch nicht in der Lage sei, ein großes Turnier zu spielen. "Lena Oberdorf hat ein Jahr kein Fußball gespielt. Die Frage wird sein, welche Rolle sie im Team haben könnte und wofür sie mitfahren würde. Das muss man gemeinsam besprechen und das tun wir auch, mit dem DFB und Christian Wück", erklärte Rech vor knapp zwei Wochen in einem Pressegespräch des FC Bayern.

"Letztendlich ist sie diejenige, die entscheiden wird, ob sie dazu in der Lage ist", sagte Rech weiter: "Aber es muss Sinn machen. Ein unfitte Lena Oberdorf zu einer Europameisterschaft fahren zu lassen, würde weder dem DFB noch uns guttun."

Oberdorfs Situation erinnert an die von Giulia Gwinn vor zwei Jahren

Auch wegen des Risikos einer erneuten Verletzung wäre es den Verantwortlichen in München vermutlich lieber, wenn Oberdorf auf die EM verzichten und im Sommer topfit und ausgeruht die Vorbereitung auf die neue Saison mit den Bayern-Frauen aufnehmen würde.

Oberdorfs Situation erinnert dabei an die ihrer Bayern-Kollegin Giulia Gwinn vor der Weltmeisterschaft 2023. Die Linksverteidigerin hatte sich ebenfalls an den Kreuzbändern verletzt und die Saison fast komplett verpasst. Bis zuletzt wurde aber spekuliert, ob sie doch noch mit zur WM fahren können würde.

Letztlich reiste die heutige DFB-Kapitänin aber nicht mit nach Australien und Neuseeland. Dies sei rückblickend "eine vernünftige Entscheidung" gewesen, schrieb Gwinn nun in ihrer gerade erschienenen Biografie.

Ob es Lena Oberdorf zur EM in die Schweiz schaffen wird, werden die nächsten Wochen zeigen. Nicht nur Christian Wück wird ihr die Daumen drücken. Vermutlich wäre es angesichts ihrer langen Pause aber ebenfalls vernünftiger, auf das Turnier in der Schweiz zu verzichten.

Verwendete Quellen