Pep Guardiola hat die erste titellose Saison mit Manchester City absolviert. Der Klub steckt mitten im dringend benötigten Umbruch. Ist der Spanier nach dem turbulenten Horrorjahr überhaupt der Richtige dafür?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wer sich auf Pep Guardiola einlässt, der weiß eigentlich, was er bekommt. Und auch wieder nicht. Denn so genial der Spanier als Trainer und Stratege auf der einen Seite ist, so unberechenbar und anstrengend ist er auf der anderen Seite. Genie und Wahnsinn liegen bei ihm oft nah beieinander. In der vergangenen Saison, als Manchester City orientierungslos durch den Herbst taumelte, schien Guardiola nicht nur sportlich, sondern vor allem emotional angezählt. Er wirkte angefasst, dünnhäutig, überfordert. So sieht man den 54-Jährigen selten, schon gar nicht über einen längeren Zeitraum.

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"Der Druck war gewaltig. Man hatte den Eindruck, dass die ganze Fußballwelt mit Häme auf ihn und das Team schaut. Das geht nicht spurlos an einem vorüber", sagte Dazn-Experte Joachim Hebel im Gespräch mit unserer Redaktion: "Fast zehn Jahre ist er jetzt bei City, das zehrt."

Beispiellose Negativserie - Ratlosigkeit bei Pep

Es ist aber nicht nur die lange Amtszeit, sondern es war auch die wohl turbulenteste Saison unter seiner Regie - und die sportlich schlechteste. Im Oktober und November blieb er mit seiner Mannschaft sieben Spiele ohne Sieg und verlor davon sechs. In der beispiellosen Negativphase kam City auf einen einzigen Sieg in 13 Spielen.

In der Champions League war bereits in den Playoffs zur K.-o.-Phase gegen Real Madrid Schluss. Der FC Liverpool holte die Meisterschaft, während City bis zum Ende sogar um die Qualifikation für die Königsklasse bangen musste. Gab es am Ende mit Platz drei in der Hinsicht ein Happy End, war die Niederlage im FA-Cup-Finale gegen Crystal Palace ein weiterer Tiefpunkt in einem Jahr, das Klub, Mannschaft und Trainer auf intensive Art und Weise geprägt hat.

"Es ist auf jeden Fall die schwierigste Saison meiner Zeit als Trainer gewesen", sagte Guardiola im Mai, als er ein kleines Resümee zog. "Es ist viel schwieriger gewesen als in vergangenen Jahren, als wir um Titel gespielt haben. Es ist sehr viel herausfordernder auf der emotionalen Ebene, in der Vorbereitung, für die Stimmung, für alles", beschrieb er die Gefühlslage.

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Viele Gründe für den Absturz

So ist Guardiola auch: Der 54-Jährige stellt sich vor die Mannschaft und übernimmt die Verantwortung, auch wenn die Ursachenforschung tiefer gehen muss als bloß beim Trainer zu verharren. Die vielen Verletzungen, vor allem bei Schlüsselspielern, waren ein zentraler Grund für die Krise. Den Ausfall von Superstar Rodri konnte die Mannschaft nie ganz kompensieren, die gesamte Struktur des City-Spiels war dadurch anfällig und instabil. Außerdem hatten viele Spieler einfach kein gutes Jahr, litten unter Form- und Fitnessproblemen.

Die Zahlen unterfüttern das, denn "zwölf Gegentore nach der 75. Minute, das sind so viele wie seit 16 Jahren nicht mehr. Dazu haben sie 16 Punkte nach Führungen verspielt, das ist Rekord unter Guardiola", zählt Hebel auf.

Neuland für Guardiola und City

Der Trainer trage daher ohne Frage auch einen Teil der Verantwortung, betont Hebel. "Aber man muss auch fair bleiben: Weder die Mannschaft noch Guardiola selbst waren jemals in so einer Lage, gerade für ihn war das Neuland." Und am Ende steht zumindest die Quali für die Champions League. "Dass sie am Ende noch Dritter wurden und sogar Chancen auf Rang zwei hatten, das ist auch eine Leistung", sagt Hebel.

Trotzdem stellt sich nach einer so langen und erfolgreichen Ära die Frage, ob sich seine Art abgenutzt haben könnte. Denn es ist grundsätzlich eine Herausforderung, mit Guardiola zu arbeiten, weil er extrem fordernd ist. Und wenn die Mannschaft dann auch noch dauerhaft ihr Level nicht erreicht, kann es richtig kompliziert werden. "Die Spieler haben mit Sicherheit ein paar Schrammen von diesen Reibungen, die es gab", meint Hebel: "Er ist kein Jürgen Klopp, der die Spieler ständig umarmt. Er legt Wert auf Distanz. Und spannt den Bizeps an, anstatt zu streicheln. Das muss man abkönnen."

Trotzdem war die vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2027 im vergangenen Herbst inmitten der Krise "kein Fehler", stellt Hebel klar, und Guardiola habe auch den Absprung nicht verpasst. Damals war schon klar, dass es einen Umbruch geben muss. Und Guardiola wollte offenbar allen zeigen, dass er auch das kann. Vor allem, dass er es auch erfolgreich kann, also garniert mit weiteren großen Siegen und Titeln. Ein einschneidender, aber vergleichsweise schmerzloser Übergang in eine neue Ära. So war der Plan.

Doch Guardiola habe die Herausforderung unterschätzt, sagt Hebel. "Er dachte, der Übergang würde smoother laufen: ‚Wir bauen die Mannschaft um, wir werden jünger‘, und dabei ist er wohl davon ausgegangen, dass trotzdem alles irgendwie weiterläuft: Siegesserien, Titel, Dominanz."

Ein echter Pep-Moment

Stattdessen gab es zum Ende hin noch einmal einen echten Pep-Moment. Nach einem Sieg im letzten Heimspiel gegen Bournemouth drohte er unverhohlen mit seinem Rücktritt, sollte der Kader nicht kleiner werden. "Ich will nicht fünf oder sechs Spieler auf Eis legen müssen. Das will ich nicht. Ich werde kündigen. Verkleinert den Kader - und ich bleibe."

Emotionale Reaktionen wie diese sind auch typisch für Guardiola, weshalb Hebel das als "strategisches Zeichen" sieht und weniger als echte Rücktritts-Drohung. "Ich glaube nicht, dass er einfach geht, nur weil’s gerade schwierig ist, weshalb ich mir einen Rücktritt auch in der laufenden Saison schwer vorstellen kann", sagt Hebel. Dann schon eher eine Art Guardiola-Abschiedstour: Der Spanier verkündet im Herbst einer der kommenden Saisons, dass es im Sommer für ihn nicht weitergeht, um dem Klub die Chance zu geben, in Ruhe einen Nachfolger zu finden.

Umbau auch im Trainerteam

Aktuell treibt Guardiola den Umbau mit der bekannten Pep-Energie längst voran, auch im Trainerteam. Die drei wichtigsten Assistenten Guardiolas mussten zuletzt bereits gehen. Essenziell wird der anstehende Transfersommer, in dem Hebel "eine klare Korrektur" sieht. "Ich tippe auf zwei, drei Transfers im Bereich 50 bis 60 Millionen und einen großen Transfer."

Kaderbaustellen sind die Torhüterposition und das Mittelfeld nach dem Abschied von Kevin De Bruyne und der Absage von Florian Wirtz. "Und dann ist da noch die Haaland-Frage: Am Ende der Saison wirkte er fast entschlüsselt. Um ihn wieder zur vollen Wirkung zu bringen, muss sich strukturell was ändern", weiß Hebel. Heißt: "City braucht Dynamik und Jugend im Kader."

Ist Guardiola noch der Richtige?

Dass Guardiola trotz der Krise und trotz der Konflikte dafür der Richtige für City ist, zweifelt Hebel nicht an. "Weil er das System ist. Wenn er geht, würde rund um den Klub eine Art Ferguson-Ermüdung entstehen", zieht Hebel einen Vergleich zu Manchester United, wo der Stadtrivale nach dem Ende der überaus erfolgreichen Ära Alex Ferguson einen sportlichen Einbruch erlebte, der im Grunde bis heute anhält.

Wer wäre zudem die Alternative? "Es gibt momentan keinen Trainer, der auf Anhieb mehr verspricht. Solange er die Energie hat, ist es absolut richtig, an ihm festzuhalten", sagt Hebel. Denn dann weiß man, was man an ihm hat: Deutlich mehr Genie als Wahnsinn.

Über den Gesprächspartner

  • Joachim Hebel ist Experte beim Fernsehen und Radio. Im TV kommentiert er für DAZN die Champions League, für Sky die Premier League.

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