Marc-André ter Stegenter Stegen ist seit ein paar Monaten das Ziel von teils extremen Fan-Anfeindungen. Wie kam es, dass die Stimmung so gekippt ist?
Ende Mai kippte beim FC Barcelona die Stimmung, und Marc-André ter Stegenter
Innerhalb von Tagen wurde der Nationaltorhüter scheinbar aus dem Nichts zur Zielscheibe. Der Negativ-Höhepunkt: Ein über einstündiges Video mit seinen Fehlern sammelte in nur 48 Stunden fast drei Millionen Aufrufe.
Dass ein Teil der Inhalte offenbar von Bots befeuert wurde, änderte nichts daran, dass sich das Ganze verselbständigt und eine hochexplosive Gemengelage erzeugt hatte.
Ter Stegen im Fokus: Kein konkreter Anlass?
Das Perfide: Einen wirklich konkreten Anlass gab es eigentlich gar nicht. Fakt ist: Ter Stegen hatte gerade erst sein Comeback nach einem Patellasehnenriss gefeiert, in La Liga noch zwei Spiele absolviert, als die Welle der Kritik losbrach. Bei einem von insgesamt vier Gegentoren wirkte der 33-Jährige unglücklich, doch Barca stand zu diesem Zeitpunkt bereits als Meister fest. Trotzdem schaukelte sich in den Tagen nach seinem letzten Saisonspiel die Social-Media-Kampagne hoch. Die Wirkung war verheerend.
Nun ist eine Fangemeinde nie homogen und bei der Bewertung von Spielern selten auf einer Wellenlänge, schon gar nicht so eine leidenschaftliche und stolze wie die des FC Barcelona. Hinzu kommt, dass Emotionen der Fans nicht immer logisch und rational sind. Die Kampagne war zwar laut, schrill und krawallig, spiegelte aber trotzdem nicht die überwiegende Meinung der "Culers", wie die Barca-Fans heißen, wider.
Fans verteidigen ter Stegen: "Zeigt etwas Respekt"
Umso bemerkenswerter ist, wie scharf ein Teil der Anhänger gegen den Deutschen Stellung bezog. Immerhin ist ter Stegen seit 2024 Kapitän der Katalanen. "Zeigt etwas Respekt", heißt es deshalb immer wieder, auch heute noch. Doch der laute Teil der Kritiker lederte gegen den Deutschen, als hätte er Barca in der vergangenen Saison um sämtliche Titel gebracht.
"Ter Stegen ist ohne Zweifel der schlechteste und egoistischste Kapitän in der Geschichte des FC Barcelona. Keine Führungsqualitäten, keine Leidenschaft, nur Ego. Er trägt die Kapitänsbinde, als wäre sie eine Trophäe, nicht eine Verantwortung. Eine absolute Schande für das, wofür diese Kapitänsbinde steht", schrieb ein User bei X.
Die Kommentarspalten auf seinem Instagram-Account sind voll mit Forderungen wie "Hau bloß ab", "Niemand will dich mehr, such dir einfach einen neuen Verein" oder "Du verdienst es nicht, für diesen Verein zu spielen".
Hintergrund der Unruhe war ein Mix an Entwicklungen. Zum einen gab es Gerüchte um die Verpflichtung von Joan Garcia und das Festhalten an ter Stegens Vertreter Wojciech Szczęsny. Das wurde genutzt, um auf die Verletzungshistorie des Deutschen seit 2020 zu verweisen. Mehrfach musste er wegen diverser Blessuren aussetzen. Kritiker zweifeln deshalb, ob er noch das Niveau hat, um Barca international zu Titeln zu führen. Für seine Gegner ist die Trennung ein notwendiger Schritt in eine neue Ära, um nach 2015 endlich wieder die Königsklasse zu gewinnen. Ter Stegens Befürworter dagegen sprechen von Undankbarkeit, denn ter Stegen habe Titel geholt, Gehaltszahlungen gestundet, in schwierigen Phasen Verantwortung übernommen. Für sie ist er eine Vereinslegende, die einen würdigen Abschied verdient.
Dabei muss man klar sagen: Ein Generationenwechsel auf der Torhüterposition zum fast zehn Jahre jüngeren Garcia ist völlig legitim, die Art des Umgangs mit ter Stegen durch Fans und Verein allerdings nicht. Wobei ter Stegen selbst nicht immer eine gute Figur abgab, womöglich zu lange schwieg.
Medien lenken nicht selten das Narrativ
Befeuert wurde die Situation nämlich durch die selten zimperliche Presse, die das fragwürdige, weil lange kommunikationslose Vorgehen des Klubs bei dem Versuch, ter Stegen loszuwerden, durch ausführliche Berichte täglich begleitete. Dabei gehört es nicht selten auch dazu, dass das Narrativ durch gezielte Informationen gelenkt und manipuliert wird. Hat ter Stegen vor dem Champions-League-Halbfinale beispielsweise wirklich damit gedroht, nicht mit zum Rückspiel zu reisen, falls er nicht spielen sollte, wie die "Sport" berichtete? Bestätigt wurde das nie, das Gerücht goss aber weiteres Öl ins Feuer.
Barca versucht immer wieder, unter dem durch Misswirtschaft selbst eingebrockten wirtschaftlichen Druck, Spieler von der Gehaltsliste zu bekommen, um andere verpflichten zu können. Koste es, was es wolle. Der Klub ist dann auch dafür bekannt, undankbar mit Legenden umzugehen. Dani Alves und Luis Suarez erging es ähnlich, selbst Ex-Spieler und -Trainer Xavi.
Barca zündet die Stimmung an
Die Medien nahmen bei ter Stegen die Steilvorlage dankbar auf und erzählten die Dramaturgie der schmutzigen Trennung nur allzu gerne nach, garniert mit eigenen Interpretationen oder Spekulationen. Gerüchte um Spieler sind alles andere als ungewöhnlich, schon gar nicht in der Sommerpause. Doch da Barca die Schlammschlacht entgegenkam, tat man auch nichts, um sie zu beenden, sondern zündete die Stimmung im Hintergrund immer wieder an.
Das Fanlager blieb gespalten, es wurde sogar versucht, #TerStegenOut noch einmal trenden zu lassen.
Die "Mundo Deportivo" kritisierte ter Stegen vor ein paar Tagen noch unter der Überschrift "Eine Frage der Größe" für dessen Sturheit. So auch die katalanische "Sport", die betonte, dass ter Stegen die Zuneigung der Barca-Fans "völlig verlor", weil die "in seiner Haltung ein verwöhntes Trotzverhalten sahen". Doch es gibt auch Kritik am Klub.
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Kritik an Barca: "Mobbing am Arbeitsplatz"
Nachdem Barca vergangene Woche im Zoff um die OP des Keepers und einen nicht unterzeichneten Medizinbericht ein Disziplinarverfahren eingeleitet hatte, ihm die Kapitänsbinde wegnahm und keine Rückennummer gab, schrieb Juan Ignacio Garcia-Ochoa, stellvertretender Chef der spanischen Sportzeitung "Marca": "Seit Monaten riecht es bei Barcelona faul. Was als einfaches Gerücht um ter Stegen begann, hat sich zu Praktiken entwickelt, die einen ganz klaren Namen haben: Mobbing. Ja, Mobbing am Arbeitsplatz."
Ter Stegen reagierte mit Bedacht und nahm mit einem langen, emotionalen Post in den sozialen Medien ein wenig Schärfe aus der Schlammschlacht, auch weil er Barca entgegenkam.
Er brachte es dabei auf den Punkt, als er schrieb: "Vieles mag sich verändert haben, aber eines wird sich nie ändern: Ich liebe euch, Culers!" Am Sonntagabend hielt er bei der Saisoneröffnung die traditionelle Kapitänsrede. Er bekam in dem Rahmen viel Applaus.
Unter seinem Beitrag gab es natürlich wieder negative Kommentare, Beleidigungen. Ein Fan bezeichnete ihn als "schlechtesten Kapitän seit Figo".
Um in diese verwirrende emotionale Breite einzutauchen, muss man nur die Kommentare lesen, bis Montag waren es alleine auf Instagram fast 23.000. Doch die Liebe ist auch eine gegenseitige, denn über 620.000 Herzen sammelte ter Stegen auf Instagram, fast 80.000 auf X. Eine Zukunft wird er bei Barca aber wohl trotzdem nicht haben.
Verwendete Quellen
- mundodeportivo: Cuestión de grandeza
- marca: Lo del Barça a Ter Stegen tiene un nombre: mobbing
- sport: El brazalete de Ter Stegen
- x: Nunya_Bisnesss1
- x: Arsalan72556943
- x: MagicalXavi
- x: RafaelH117
- instagram: mterstegen1
- x: fcbarcelona