Ex-Nationalspieler Holger Badstuber ordnet die aktuelle Lage beim DFB nach den jüngsten Länderspielen ein – vor allem eine Sache muss Bundestrainer Julian Nagelsmann ihm zufolge ändern.
Zwei Spiele, zwei Siege – die Bilanz stimmt bei der deutschen Nationalmannschaft. Aber der Eindruck bleibt: Dieses DFB-Team steht noch auf keinem starken Fundament. Die Spieler kämpfen, gewinnen, erfüllen ihre Pflicht – doch als Mannschaft wirkt es, als müsste sie sich jedes Mal neu erfinden. Und das ist ein Problem, wenn man wieder zur Weltspitze will.
Gegen Luxemburg und Nordirland war das kein Fußball zum Genießen, sondern Arbeit. Pflichtsiege, nicht mehr, nicht weniger. Solche Spiele sind unattraktiv, weil der Gegner destruktiv ist, weil Standards, Zweikämpfe und Geduld den Ausschlag geben. Da kann man nicht glänzen. Man muss funktionieren. Das hat Deutschland getan. Aber so ein 1:0 in Belfast kommt auf keine Visitenkarte.
Die zweite Halbzeit dort war wild, unruhig, zerfahren. Nordirland hat gebissen, gefoult, provoziert. Deutschland hatte das Spiel nie richtig unter Kontrolle. Das 2:0 hätte Ruhe gebracht – Adeyemi hatte die Chance, musste sie machen. Dann wäre der Abend erledigt gewesen. Stattdessen blieb es offen, die Nordiren hatten sogar die Möglichkeit zum Ausgleich. Glück gehabt, trotzdem gewonnen. Das zählt, aber Stabilität sieht anders aus.
Was dieser Mannschaft fehlt, ist eine klare Achse. Eine Reihe von Spielern, die das Team führen, tragen, prägen – in Abwehr, Mittelfeld und Angriff. Ohne sie kann keine Struktur wachsen. Zu viele Wechsel, zu viele Verschiebungen, zu viele Rollen, die ständig neu verteilt werden. Das zu moderieren, ist eigentlich Nagelsmanns Aufgabe – aber genau das gelingt ihm bisher zu selten.
Personaldiskussionen nicht notwenig
Natürlich kann Kimmich hinten rechts spielen, wenn das dauerhaft so geplant ist. Er interpretiert die Position anders, rückt oft ins Zentrum – das ist seine Art. Aber dieses ständige Hin und Her schadet. Eine Mannschaft braucht Klarheit, und sie braucht eine stabile Achse, auf die sich alle verlassen können. Genau das hat Nagelsmann bisher zu wenig gefördert. Starke Mannschaften funktionieren nur mit einer starken Achse. Und die muss der Bundestrainer konsequenter stärken.
Woltemade zeigt, wie wichtig Konstanz und Vertrauen sind. Er hat bei Newcastle einen guten Start hingelegt, trifft regelmäßig und bringt genau das mit, was Deutschland lange gefehlt hat: Größe, Präsenz, Instinkt. Ein Stürmer, der Bälle festmacht, Räume schafft, Tore schießt. Solche Typen müssen wachsen dürfen.
Und einer, der ebenfalls sinnbildlich für den Aufbruch steht, ist Florian Wirtz. Seine Kreativität, seine Leichtigkeit, seine Spielintelligenz – das sind Qualitäten, die man nicht trainieren kann. Er braucht ein bisschen Zeit, aber am Ende wird er es allen zeigen. Solche Spieler sind der Schlüssel, damit aus einer Mannschaft wieder etwas Besonderes wird.
Personaldiskussionen braucht es im Moment definitiv nicht. Musiala, Havertz und andere sind verletzt, einige nicht in Form. Das Team muss das gemeinsam auffangen – und genau das kann auch zusammenschweißen. Wenn nicht jeder auf Topniveau ist, müssen andere übernehmen. So entsteht Charakter.
Nagelsmann wirkte zuletzt genervt von den vielen Fragen zu Personal, Taktik und einer möglichen Rückkehr von Manuel Neuer. Verständlich, aber das ist nunmal Teil seines Jobs. In einer Fußballnation wie Deutschland gehört das dazu. Wichtig ist, dass er ruhig bleibt und Orientierung gibt. Diese Mannschaft braucht keinen empfindlichen, sondern einen stabilen Bundestrainer.
"Es geht schlicht darum, zu gewinnen."
Deutschland hat es in der eigenen Hand, sich als Gruppenerster für die WM 2026 zu qualifizieren. Das "Finale" gegen die Slowakei ist kein Charaktertest und kein Statement. Es geht schlicht darum, zu gewinnen und diese Phase mit einem positiven Gefühl abzuschließen. Danach aber braucht es eine Linie: einen klaren Kader, eine feste Struktur, ein Gerüst, das trägt.
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Im internationalen Vergleich ist Deutschland aktuell nicht Weltspitze. Aber das kann sich ändern, wenn man Geduld, Kontinuität, Vertrauen und Ergebnisse aufbringt. Tiefstapeln ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Vernunft. Die Substanz ist da, das Potenzial auch. Jetzt braucht es nur noch Geduld.