Bei den DFB-Siegen gegen Luxemburg und Nordirland läuft Kapitän Joshua Kimmich wieder als Rechtsverteidiger auf. Bundestrainer Julian Nagelsmann scheint keine andere Wahl zu bleiben – auch für die WM 2026?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Vergleich zur vorherigen Länderspielpause gab es bei der deutschen Nationalmannschaft diesmal eine große Änderung: Bundestrainer Julian Nagelsmann beorderte Kapitän Joshua Kimmich für die Qualispiele gegen Luxemburg und Nordirland vom defensiven Mittelfeld zurück auf die Position des Rechtsverteidigers.

Eine Maßnahme, die erstmal überraschte. Denn erst Ende Juli stellte Nagelsmanns klar: Kimmich wird bei der Fußball-WM im kommenden Sommer in den USA, Mexiko und Kanada im defensiven Mittelfeld spielen. Dort also, wo er auch beim FC Bayern unumstrittener Stammspieler ist und regelmäßig überzeugt.

"Sollten die angedachten Rechtsverteidiger-Kandidaten auf ganzer Linie versagen – wovon ich nicht ausgehe –, dann kann es anders werden."

Bundestrainer Julian Nagelsmann Ende Juli beim internationalen Trainer-Kongress in Leipzig

Damals, beim internationalen Trainer-Kongress in Leipzig, erklärte der Bundestrainer im Gespräch mit Moderator Michael Leopold die Causa Kimmich folgendermaßen: "Stand jetzt kehrt er auf die Sechs zurück, weil er einfach einer von zwei, drei Spielern ist, der in seinem Klub da immer spielen wird", sagte der 38-Jährige.

Bis zur WM im Sommer bleibe nicht mehr viel Zeit, um auf dieser Position sonderlich viel zu testen, wie Nagelsmann erklärte: "Wir müssen schauen, dass wir Spieler haben, die auf dieser Position im Rhythmus sind."

Nun also die Kehrtwende mit Kimmich als Rechtsverteidiger. Eine Situation, die laut Nagelsmann eigentlich nur in einem Fall eintreten sollte: "Sollten die angedachten Rechtsverteidiger-Kandidaten auf ganzer Linie versagen – wovon ich nicht ausgehe –, dann kann es anders werden", sagte er Ende Juli.

Nagelsmann muss notgedrungen umplanen

Die Personallage in der Länderspielpause zeigte ganz klar: Wenn Kimmich nicht wäre, hätte Deutschland ein gewaltiges Rechtsverteidiger-Problem. Das wusste wohl auch Nagelsmann schon beim Kongress in Leipzig, als er sagte, dass Deutschland auf der Sechs viel weniger Probleme habe als rechts hinten – und klarstellte: "Es gibt keinen besseren Rechtsverteidiger als Joshua Kimmich in Deutschland."

Die Qualität von Kimmich ist unbestritten, sei es nun im Mittelfeld oder in der Defensive. Die Rückwärtsrolle von Nagelsmann macht vielmehr ein anderes Problem deutlich: Dem DFB fehlt ein zweiter gestandener Rechtsverteidiger. Einer, durch den Kimmich theoretisch wieder im Mittelfeld auflaufen könnte.

Dem DFB fehlt es an Spielern für rechts hinten

Die prekäre Situation wurde in der vorherigen Länderspielpause deutlich. Beim bitteren 0:2 in der Quali gegen die Slowakei spielte DFB-Debütant Nnamdi Collins rechts hinten – und wurde nach einem schwachen ersten Auftritt zur Halbzeit ausgewechselt. Für ihn wechselte Maximilian Mittelstädt, eigentlich gelernter Linksverteidiger, auf die rechte Seite. Beide waren gegen Nordirland und Luxemburg nicht dabei.

Gegen Nordirland stellte Nagelsmann dann sein System um, spielte mit drei Innenverteidigern – und ohne wirklichen Rechtsverteidiger. Eine Maßnahme, die ebenfalls zeigte, dass es dem Bundestrainer rechts hinten an Spielern fehlt.

Rechtsverteidiger Henrichs arbeitet am Comeback

Denn auf denjenigen, auf den Nagelsmann wohl eigentlich als Rechtsverteidiger zurückgreifen würde, muss er aktuell noch verzichten: Benjamin Henrichs riss sich Ende des vergangenen Jahres die Achillessehne, laut "kicker" schreiten die Fortschritte bei der Genesung nicht im erhofften Tempo voran. Statt eines Comebacks im Oktober wird es nun wohl erst eine Rückkehr im neuen Jahr. Ob er dann noch auf den WM-Zug aufspringen kann? Ungewiss.

Benjamin Henrichs
Das Comeback von Leipzig-Star Benjamin Henrichs scheint sich zu verzögern. © IMAGO/motivio

Eine Alternative für Kimmich als Rechtsverteidiger wäre diesmal der Leipziger Ridle Baku gewesen, der aktuell zwar gut in Form ist, gegen Luxemburg jedoch nur eine halbe Stunde ran durfte und gegen Nordirland erst in der Nachspielzeit kam. Sein letztes Länderspiel hatte er zuvor vor knapp vier Jahren bestritten. Nicht gerade die besten Voraussetzungen.

Kimmich kann das Spiel auch als Rechtsverteidiger lenken

Muss Nagelsmann vor der WM also möglicherweise doch nochmal umdisponieren und auf Kimmich als Rechtsverteidiger bauen? Denn dass der Bayern-Star das Spiel auch von rechts hinten aus steuern und lenken kann, machte gerade sein Auftritt beim 4:0 gegen Luxemburg deutlich. Neben seinen beiden Toren ließ er sich bei eigenem Ballbesitz auch immer wieder ins Zentrum und den rechten Halbraum fallen und war somit doch wieder der gefragte Sechser. Ob das jedoch auch gegen Gegner eines größeren Kalibers als Luxemburg klappt?

Joshua Kimmich
Rechtsverteidiger Joshua Kimmich traf im Qualispiel gegen Luxemburg gleich doppelt. © IMAGO/Gladys Chai von der Laage

Was hinzukommt: Im defensiven und zentralen Mittelfeld hat Nagelsmann Möglichkeiten ohne Ende. Kimmichs Bayern-Kollegen Aleksandar Pavlovic und Leon Goretzka sind Optionen, ebenso wie Angelo Stiller, Felix Nmecha, Pascal Groß oder auch Robert Andrich. Es wird deutlich: Die Personalnot ist rechts hinten deutlich größer als auf der Sechs.

Nagelsmann ist in der Rechtsverteidiger-Zwickmühle: Soll er Kimmich in Zukunft doch in der Defensive spielen lassen, weil er einfach der beste Rechtsverteidiger ist, den Deutschland hat? Oder geht er doch das Wagnis ein, Kimmich im Mittelfeld auflaufen zu lassen und dafür eine (riskante) Alternative rechts hinten zu bringen?

Empfehlungen der Redaktion

Viel Zeit zum Testen bleibt Nagelsmann nicht mehr

Fragen über Fragen, die einzig und allein der Bundestrainer beantworten kann und wird. Viele Möglichkeiten zum Ausprobieren hat Nagelsmanns jedenfalls nicht mehr, wie er auch schon selbst Ende Juli angemerkt hatte.

Neben den beiden (äußerst wichtigen!) Qualispielen Mitte November steht Ende März (gegen die Elfenbeinküste) und Ende Mai (gegen Finnland) jeweils ein Testspiel auf dem Programm, ehe dann am 11. Juni die Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko beginnt. Dann möglicherweise wieder mit Kimmich als Rechtsverteidiger.

Verwendete Quellen

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass Ridle Baku beim VfL Wolfsburg spielt – das ist nicht korrekt. Stattdessen ist richtig, dass Baku bei RB Leipzig spielt. Der Artikel wurde entsprechend aktualisiert.

Teaserbild: © IMAGO/Bernd Feil/M.i.S.