Der Ärger bei Marathonläufer Hendrik Pfeiffer nach seiner Nicht-Nominierung für die WM in Tokio ist weiterhin groß. Dem Deutschen Leichtathletik-Verband macht er auch im Interview mit unserer Redaktion Vorwürfe. Pfeiffer hat die Hoffnung auf einen WM-Start im September noch nicht aufgegeben, doch jetzt gab es für den 32-Jährigen einen erneuten Rückschlag.

Ein Interview

Deutschland bei der Leichtathletik-WM vertreten: Das ist der große Traum von Hendrik Pfeiffer. Bis vor kurzem hat er auch noch fest daran geglaubt, bei der Weltmeisterschaft im kommenden September in Tokio an den Start gehen zu können – über die Weltrangliste hatte er sich qualifiziert.

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Marathonläufer im Streit mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband

Doch dann gab der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) die Nominierungsliste für die WM bekannt. Ohne Pfeiffer. Wegen einer nicht erfüllten Bestätigungsnorm des DLV wurde der 32-Jährige nicht nominiert. Die Umstände sind mindestens unglücklich, denn die geforderte Zeit ist Pfeiffer in der Vergangenheit bereits gelaufen, nur nicht im geforderten Zeitraum.

In einem langen Statement auf Instagram machte Pfeiffer seinem Ärger und auch seinem Unverständnis Luft. Besonders in der Kritik dabei: Jörg Bügner, Vorstand Leistungssport beim DLV (der Verband reagierte bislang nicht auf eine Anfrage unserer Redaktion). Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Pfeiffer nochmal, wie festgefahren die Situation ist, warum Bügner seiner Meinung nach über einen Rücktritt nachdenken sollte und warum er die Hoffnung auf den WM-Start noch nicht aufgegeben hat.

Herr Pfeiffer, welches Gefühl überwiegt bei Ihnen aktuell – ist es Frust, Enttäuschung, Wut, oder doch etwas ganz anderes?

Ich bin schon enttäuscht, wie die interne Kommunikation gelaufen ist – das ist ganz klar. Aber ich bin immer noch nicht an dem Punkt, dass ich das Gefühl habe, dass das abgeschlossen ist. Es wäre für den DLV immer noch nicht zu spät, einzugestehen, dass ein Fehler gemacht wurde und deswegen ist Hoffnung eher mein Gefühl. Hoffnung auf ein Einsehen, dass an meiner Kritik vielleicht doch etwas dran war und die öffentliche Reaktion für ein Wachrütteln sorgt. Jetzt ist auch schon etwas passiert.

DLV bleibt bei Pfeiffers WM-Nominierung bei seinem Standpunkt

Und zwar?

Mir wurde ein konkretes Gespräch in Aussicht gestellt – allerdings erst Ende nächster Woche, was angesichts der Dringlichkeit natürlich viel zu lange hin ist. Aber immerhin gibt es jetzt doch die Bereitschaft für ein Gespräch. Jedoch wurde mir vorab bereits klar mitgeteilt, dass mich der DLV weiterhin nicht nominieren will, sodass das eigentliche Dilemma bestehen bleibt. Es vergeht lediglich noch mehr Zeit, in der nichts geschieht. Für mich als Profiläufer ein großes Problem, da es mit jedem Tag, der verstreicht, schwerer wird, mich nachzunominieren.

Das heißt aber, der DLV ist jetzt immerhin schonmal auf Sie zugekommen.

Ja, es gab jetzt zumindest mal einen ersten Kontakt, der aufgenommen wurde. Es gibt dabei jedoch ein großes "Aber": Wie gesagt wird mir mit einem Treffen, das frühestens sieben Tage später stattfinden kann, ein klares Signal gesendet. Priorität scheint das nicht zu haben und ich hänge weitere sieben Tage in der Luft, was alles andere als professionell ist. Wenn mir dann auch schon vorab signalisiert wird, dass die Position des DLV weiterhin unverändert bleibt, ist es schwer damit umzugehen. Das klingt eher nach einem taktischen Zeitspiel und dem Versuch, den öffentlichen Druck auszusitzen. Aber die sportlichen Argumente von mir sind derart eindeutig, dass ich nicht weiß, was mir der DLV da eigentlich erklären will.

Aufregung wegen rückwirkend geltender DLV-Norm

Nochmal kurz, um Ihren Fall zusammenzufassen: An sich wären Sie über die Weltrangliste für die WM qualifiziert. Der DLV hat aber eine eigene Norm aufgestellt, die man auch noch erfüllen müsste. Da Sie die in dem geforderten Zeitraum aber nicht erreicht haben, wurden Sie nicht nominiert. Ein Startplatz für die WM ist jetzt noch offen. Ist es nicht unlogisch, dass ein Verband für einen so großen Wettbewerb wie die WM einen Platz bewusst freilässt?

Er sollte den Platz natürlich nur mit Athleten besetzen, die auch das Niveau haben, dort zu starten. Aber in meinem Fall ist das ja der Fall, da ich mich sportlich rechtmäßig dafür qualifiziert habe. Meine Kritik setzt daran an, dass für die Leute, die die Quali über die Weltrangliste erfüllt haben, eine rückwirkende Zusatznorm vom DLV installiert wurde. Man kann nicht in so einen Qualifikationsprozess eingreifen, indem man rückwirkende Normen installiert. Das ist im Grunde der Knackpunkt der ganzen Diskussion, wo ich sage, das ist nicht akzeptabel. Gerade vor dem Hintergrund, dass jetzt ein Platz unbesetzt wäre, ist das absurd. Man darf nicht vergessen: Ich habe diese Norm ja sogar noch unterboten, nur halt nicht in dem Zeitraum, den der Verband wollte. Aber unabhängig davon: Der DLV selbst muss doch einsehen, dass rückwirkende Normen keinen Sinn machen. Im Zweifel denkt man doch als Athlet, dass sich der Verband eher hinter einen stellt, anstatt sehr verkrampft nach Wegen zu suchen, einen dann nicht zur WM zu schicken.

Hendrik Pfeiffer
Bei der EM 2022 in München gewann Pfeiffer (r.) mit der Mannschaft Silber. © IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Hilger

Gerade auch in meinem Fall ist es nochmal besonders brisant, da ich als Sportsoldat auch eine besondere Verpflichtung gegenüber der Nationalmannschaft habe, weil es als Sportsoldat mein Auftrag ist, für Deutschland zu starten. Da spielt noch ein weiterer Punkt mit rein: Ich habe ja bewusst auf eine weitere Chance verzichtet, diese Zusatznorm zu erfüllen, weil ich mich in Absprache mit der Bundeswehr und dem Bundestrainer an der Ferse habe operieren lassen. Die Bundeswehr ist von Steuergeldern finanziert und die Bundeswehr hat das natürlich gemacht, damit ich im Herbst bereit bin und nicht im Zweifel zuhause gelassen werde.

"Ein Funktionär ist eigentlich für die Athleten da und nicht andersrum. Das finde ich in der ganzen Situation schon sehr problematisch."

Marathonläufer Hendrik Pfeiffer

Sie haben es gerade gesagt, Sie sind Sportsoldat bei der Bundeswehr. In Ihrem Statement auf Instagram haben Sie gesagt, dass dieser Bundeswehrstatus auch gerne mal als Druckmittel verwendet wird. Was genau meinen Sie damit?

Als Athlet überlegt man es sich zweimal, wie sehr man denjenigen, der am Ende zum großen Teil über diesen Bundeswehrstatus entscheidet, kritisiert. Ich war erstaunt, wie viele Leute mir per Direktnachricht mitgeteilt haben, dass sie das auch schon mal so erfahren haben. Dieses Bauchgefühl, was man da immer schon hatte, das verschärft sich dadurch, wenn man bestimmte Reaktionen sieht, zum Beispiel von meinem Bundestrainer Alexander Fromm, der am Sonntag noch die eine Meinung hat und am Montag, nach dem direkten Austausch mit Jörg Bügner komplett das Gegenteil sagt. Man könnte zumindest daraus schlussfolgern, dass da ein gewisser Druck herrscht und dementsprechend verleiht einem das als Athlet dann schon ein mulmiges Gefühl.

Der Zuspruch war sehr groß unter Ihrem Post, in den Kommentaren haben sich viele Sportlerinnen und Sportler mit Ihnen solidarisiert. Sie haben es eben auch schon angedeutet: Sind Sie mit Sportlerinnen und Sportlern im Austausch, die möglicherweise schonmal in einer ähnlichen Situation waren und Probleme mit ihrem Verband hatten?

Ja, da gab es immer wieder Nachrichten – sowohl privat als auch öffentlich. Auch von sehr namhaften Athleten, zum Beispiel Gina Lückenkemper. Die hat jetzt nicht unbedingt selbst solche Erfahrungen gemacht, aber es ziemlich griffig formuliert: Ohne Athleten kein Verband. Ich finde, das bringt die ganze Problematik relativ gut auf den Punkt. Ein Funktionär ist eigentlich für die Athleten da und nicht andersrum. Das finde ich in der ganzen Situation schon sehr problematisch. Deswegen hat sich meine Kritik auch relativ stark auf die Person Jörg Bügner gerichtet, weil ich absolut nicht mit dem Führungsverhalten einverstanden war. Mir jetzt nach dem massiven öffentlichen Druck der letzten Tage ein Gespräch sieben Tage später anzubieten, macht es nicht wirklich besser.

Pfeiffer kritisiert DLV-Vorstand Bügner deutlich

Können Sie das genauer erklären?

Die Ereignisse und sein gesamtes Verhalten lassen mich ehrlich gesagt daran zweifeln, ob das dann auch die perfekte Besetzung für so eine Position ist und da im Sinne der Athleten agiert wird oder ob da vielleicht doch andere Ambitionen eine Rolle spielen. Die Frage drängt sich mir dann schon leider auf. Ich finde es auch okay, wenn man als Vorstand eine bestimmte Meinung vertritt. Nur in diesem Fall ist eben diese persönliche Meinung diametral gegenüber der öffentlichen Meinung und jeglichem Gerechtigkeitsempfinden. Nach dieser Welle der Solidarität und der deutlichen Kritik vieler Athleten kann man natürlich trotzdem seine offensichtlich verbandsschädigende Position beibehalten – nur dann müsste man vielleicht darüber nachdenken, ob man dann auch konsequent ist und zurücktritt. Denn dann deckt sich der persönliche Standpunkt überhaupt nicht mehr mit den Interessen des Verbandes und der Athleten.

Jörg Bügner
Jörg Bügner verweist im offiziellen Statement auf den fairen und transparenten Qualifikations- und Nominierungsprozess. © /IMAGO/Gladys Chai von der Laage

Warum glauben Sie, pocht der Verband so auf seine eigene Norm?

Ein Argument, das genannt wurde, auch im DLV-Statement vor einigen Tagen, war ja immer Fairness. Wobei ich anzweifle, dass das Argument Fairness hier besonders geeignet ist, weil eine rückwirkende Norm für mich das Gegenteil von Fairness ist. Aber in ihrer eigenen Logik ist es eben so, dass solche Normen dann für alle gelten und keine Ausnahmen gemacht werden, damit keine Präzedenzfälle geschaffen werden.

Pfeiffer zoffte sich bei Olympia 2024 bereits mit seinem Verband

Gehen Sie bei der Aktion von Schikane gegen Ihre eigene Person aus?

Wenn man sich die Reaktionen vieler Leute, die aus dieser Leichtathletik-Blase kommen, anschaut, dann scheint das kein Einzelfall zu sein. Zumindest insofern, dass auf kommunikativer Ebene sehr viel schiefläuft. Für mich – und bei Weitem nicht nur für mich – macht es aus sportlicher Sicht keinen Sinn, mich nicht zu zur WM zu schicken. Da stellt sich dann schon die Frage, welche Gründe sind da noch? Ich will nicht hoffen, dass da etwas Persönliches im Spiel ist. Aber am Ende drängt sich schon die Frage auf, was die Motivation dahinter ist. Angesichts der sportlichen Argumente, die ich hatte, der öffentlichen Reaktionen und zum Beispiel auch der Petition, die jetzt gestartet wurde, ist es ein eindeutiges Meinungsbild und das kommt ja nicht von ungefähr. Nicht nur das zeigt, dass ich in der Sache recht habe und ich verstehe nicht, warum man das nicht einfach eingestehen kann.

Bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr gab es auch Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und dem Verband. Haben Sie das Gefühl, das spielt bei der ganzen Sache jetzt noch eine Rolle?

Es ist eine Schlussfolgerung, die man ziehen könnte. Zumindest ist es ein Weg, der es erklären würde. Ich will das jetzt keinem unterstellen, aber ich würde lügen, wenn nicht mehrere Dutzend Nachrichten in dieser Hinsicht bei mir eingegangen sind, die genau in diese Richtung gingen. Aber wie gesagt, ich hoffe, dass es nicht der Fall ist und ich will das auch gar nicht. Ich möchte weiterhin auf der sachlichen Ebene bleiben. Und die ist wie schon gesagt vor allem darin begründet, dass eine rückblickende Norm aus meiner Sicht nicht in Ordnung ist. Gerade jetzt, wo auch kein anderer Athlet im Marathon betroffen ist, könnte man die Situation eigentlich relativ problemlos lösen. Im nächsten Jahr könnte man es dann besser machen, in dem man einfach keine rückwirkende Norm mehr installiert. Das wäre ein einfacher Ausweg, eine einfache Lösung, aber die scheint ja nicht gewollt zu sein und dementsprechend hat das Ganze jetzt auch dieses Ausmaß angenommen.

Hendrik Pfeiffer
Hendrik Pfeiffer (r.) jubelt bei der EM 2024 in Rom über Bronze mit der Mannschaft über die Halbmarathon-Distanz. Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris war er als Ersatzläufer eingeteilt. Auch dabei kam es zu Problemen mit dem Verband. © IMAGO/Eibner/Stefan Mayer

Pfeiffer über rechtliche Schritte: "Das lasse ich weiterhin prüfen"

Sie hatten zuletzt angedeutet, rechtliche Schritte einzuleiten. Angenommen, es bleibt jetzt trotz des Gesprächs dabei und sie dürfen nicht bei der WM starten. Bleiben Sie dann dabei?

Das lasse ich weiterhin prüfen. Das ist schon eine Sache, die ich mir sehr gut überlege – als einzelne Person gegen so einen großen Verband vorzugehen. Da gibt es mehrere Optionen, die man hat.

Und zwar?

Man könnte den Startplatz aktiv einklagen, indem man mit einer einstweiligen Verfügung vorgeht, weil da natürlich auch etwas Zeitdruck dahinter ist. Wenn der deutsche Startplatz an eine andere Nation geht, dann lässt sich das alles nicht mehr so leicht zurückdrehen. Das ist eine Option, die aber natürlich deutlich riskanter ist, weil dann alles sehr kurzfristig ist. Eine andere Option ist, grundsätzlich feststellen zu lassen, ob solche Normen überhaupt rechtens sind. Das würde allerdings viel Zeit in Anspruch nehmen, hätte aber den Effekt, dass dann in Zukunft eben sowas nicht mehr passieren kann. Das würde dann für viele Athleten Verbesserungen bedeuten. Zum Beispiel würde es das jährliche Trauerspiel rückwirkend verkündeter Kadernormen beenden, die trotz ständiger Kritik durch Athleten und auch dem Einsatz der Athletensprecher, konsequent zu spät verkündet werden.

"Diesen Weg gehe ich nicht gerne. Das ist für mich anstrengend, das ist für den DLV anstrengend und kräftezehrend."

Marathonläufer Hendrik Pfeiffer

Man darf nicht vergessen, ich bin gerade voll im Training, ich laufe 200 Wochenkilometer. Und dementsprechend habe ich eigentlich Besseres zu tun, als mich mit Funktionären herumzuärgern. Aber in dem Fall habe ich leider keine andere Wahl – das ist mir immer auch wichtig, deutlich zu machen. Diesen Weg gehe ich nicht gerne. Das ist für mich anstrengend, das ist für den DLV anstrengend und kräftezehrend. Aber dadurch, dass es eben intern so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, ist dieser Weg an die Öffentlichkeit für mich das letzte Mittel gewesen, was ich natürlich nicht gerne mache, aber in dem Fall alternativlos finde.

Sind die deutschen Verbände Ihrer Meinung nach überhaupt bereit für Olympia?

Ich würde es eher so sehen, dass Olympische Spiele vielleicht wie ein Rohrreiniger wirken. Verstopfte Strukturen können mit Olympischen Spielen in Aussicht eher sogar aufgelöst werden. Es bietet eine Möglichkeit der Erneuerung, wo die Erneuerung benötigt wird. Olympische Spiele sind ein Leuchtturm, den man ansteuert und wo entsprechend vielleicht nochmal mehr auf die Finger geschaut wird. Es bietet möglicherweise eher die Möglichkeit, verkrustete Strukturen zu revolutionieren und zu reformieren.

Glauben Sie – Stand heute –, dass Sie am 15. September in Tokio auf der Straße stehen werden, um für Deutschland beim Marathon zu starten?

Ich glaube immer noch an die Vernunft der Menschen und dementsprechend glaube ich daran, dass der DLV ein Einsehen hat, dass sie da auf dem Holzweg waren. Ich bin der Meinung: Vernunft setzt sich am Ende durch.

Über den Gesprächspartner

  • Hendrik Pfeiffer (Jahrgang 1993) ist ein deutscher Leichtathlet, der bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio im Marathon antrat und bei Olympia 2024 in Paris als Ersatzläufer eingeteilt war. 2022 wurde er bei der EM in München mit der Mannschaft Zweiter. Bei der EM 2024 gewann er mit der Mannschaft im Halbmarathon Bronze.

Verwendete Quellen