Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft erlebt im Viertelfinale der EM einen wahren Krimi. Ab der 13. Minute spielen die DFB-Frauen in Unterzahl und müssen erst einem Rückstand hinterherlaufen. Bis zur Verlängerung hält die Mannschaft von Bundestrainer Christian Wück bravourös mit und ist im Elfmeterschießen auch dank Torfrau Ann-Katrin Berger abgezockter. Am Ende gewinnen die DFB-Frauen mit 6:5.

Die DFB-Frauen nach dem 1:4-Debakel über Schweden und der Roten Karte gegen Carlotta Wamser unter Druck. Mit Personalsorgen geht Bundestrainer Christian Wück in das Viertelfinale gegen die favorisierten Französinnen, die alle drei Gruppenspiele gewinnen. Christian Wück stellt das System im Vergleich zu den drei Gruppenspielen um und bringt mit Kathrin Hendrich, Franziska Kett und Giovanna Hoffmann drei neue Spielerinnen im Vergleich zum letzten Gruppenspiel.

Ann-Katrin Berger
Ann-Katrin Berger nach ihrem letzten gehaltenen Elfmeter. © IMAGO/Sports Press Photo/Philipp Kresnik/SheKicks

Doch schon nach wenigen Minuten wird das System obsolet, die DFB-Frauen spielen weite Teile des Spiels zu zehnt und halten gut mit. Nach 120 Minuten steht es 1:1 – es geht ins Elfmeterschießen, das für die DFB-Frauen das bessere Ende nimmt. Mit 6:5 n. E. bezwingen die Deutschen die Französinnen und treffen nun im Halbfinale auf Weltmeister Spanien.

Was vom Spiel hängen bleibt: Rote Karte gegen Hendrich, zwei Elfmeter und Elfmeterschießen

Wieder werden die DFB-Frauen früh geschockt: Die deutsche Mannschaft verliert eine Spielerin – und gerät früh in Rückstand. Ohne Not zieht Kathrin Hendrich Frankreichs Abwehrchefin Griedge Mbock an den Haaren und wird mit Rot vom Platz gestellt (14.). Den folgenden Elfmeter schießt Grace Geyoro nicht souverän, Torhüterin Ann-Katrin Berger hat den Ball noch, er geht dennoch ins Tor (15.).

Kathrin Hendrich
Kathrin Hendrich (r.) kann es nicht fassen, doch es ist wahr: Nachdem sie ihre Gegenspielerin an den Haaren gezogen hatte, sah die DFB-Abwehrspielerin die Rote Karte. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Martin Meissner

Doch die deutsche Mannschaft gibt sich nicht auf, nur elf Minuten später folgt der Ausgleich nach einer Ecke durch Sjoeke Nüsken mit dem Kopf (26.). Daraus schöpfen die DFB-Frauen neuen Mut und halten mit zehn Spielerinnen gut dagegen, gehen offensiv in die Zweikämpfe und unterbinden viele Angriffsversuche der Gegnerinnen. Fünf Minuten vor der Pause verpassen die Französinnen dann aber doch die erneute Führung – Delphine Cascarino steht nach einem wunderschönen Kombinationsspiel im Abseits (41.).

Die Französinnen erhöhen den Druck in der zweiten Halbzeit, wieder wird ein Treffer zurückgenommen, diesmal das Tor von Geyoro wegen einer Abseitsstellung von Maelle Lakrar (57.). Das nächste Highlight in der 69. Minute: Nach einem Foul Selma Bachas an Jule Brand im Strafraum gibt es Elfmeter für Deutschland, doch Pauline Peyraud-Magnin hält Nüskens harmlosen Schuss (69.). In 90 Minuten liefern sich beide Mannschaften einen offenen und teils brutalen Schlagabtausch, der auch in der Verlängerung keine Siegerinnen hervorbringt.

Frankreich - Deutschland
Sjoeke Nüsken köpfte das DFB-Team erst zum Ausgleich, später vergab sie per verschossenem Elfmeter die Führung. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Alessandra Tarantino

Deutschlands Kapitänin Janina Minge übernimmt als Erste die Verantwortung und trifft. Gegen Amel Majri hält Berger. Die Torfrau trifft später selbst noch, für Deutschland verschießt einzig Sara Däbritz. Letztlich ist es Alice Sombath, die für Frankreich verschießt – damit steht Deutschland im Halbfinale.

Die Stars des Spiels: Berger zahlt Wücks Vertrauen zurück

Auch Torfrau Ann-Katrin Berger zählte nach den vergangenen Spielen zu den umstrittenen Akteurinnen, vor allem aufgrund ihres risikoreichen Spiels. Gegen Frankreich zeigt die 34-Jährige aber, weshalb Wück zu Recht an ihr festhält. Bei Frankreichs Elfmeter berührt sie den Ball noch, in der Folge zeigt sie mehrfach souveräne Aktionen, sie hält gegen Cascarino, als sie den Ball elegant nach außen lenkt (56.), gegen Diani (62.), lässig gegen Sakina Karchaoui, die von der Strafraumgrenze abzieht (86.).

Auch die Torhüterin hält ihr Team im Spiel und sorgt so klar für Stabilität vor der Abwehr. Wücks angekündigtes Gespräch mit seiner Torfrau scheint also erfolgreich gewesen zu sein. Von ihrem bekannten Risikospiel ist gegen Frankreich wenig zu sehen. In der Verlängerung schnappt sie sich den Ball von Mateos nach Pass von Karchaoui (94.) und verhindert mit einer tollen Rettungstat ein Eigentor durch Minge (103.). Trotz eines Sturzes auf den Hinterkopf spielt Berger weiter und lässt sich nichts anmerken. Beim Elfmeterschießen übernimmt sie selbst den fünften und netzt gewohnt cool ein.

Frankreich - Deutschland
Ann-Katrin Berger verhindert ein Eigentor auf spektakuläre Art und Weise. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS/Martin Meissner

Die Szene des Spiels: Hendrichs Rote Karte ist Deutschlands nächster Alptraum

Vielleicht könnte man diese ersten Hälften der DFB-Frauen bei der Europameisterschaft als "verflucht" bezeichnen. Nach dem folgenschweren Ausfall Giulia Gwinns und der Roten Karte für Wamser nun der nächste Platzverweis. Nach einem Freistoß für Frankreich fasst die erfahrene Kathrin Hendrich die Haare ihrer Gegenspielerin Mbock und zieht an ihnen.

Schiedsrichterin Tess Olofsson zieht den Videobeweis zu Rate und zeigt auf den Punkt. Erneut gerät die DFB-Elf früh in Rückstand. Doch im Vergleich zum Schweden-Spiel, in dem der deutschen Mannschaft danach noch ein weiteres Tor kassierte, aber keines mehr schoss, sorgt Nüsken mit ihrem Ausgleichstreffer für neuen Mut, der sie 120 Minuten lang trägt.

Die Lehren des Spiels: 1. Die DFB-Frauen geben sich nicht auf – und beeindrucken mit ihrer Physis

Die DFB-Elf ist früh überrumpelt, dass sie nur noch zu zehnt auf dem Platz steht. Doch im Gegensatz zum Schweden-Spiel gibt sich das Team nicht auf – im Gegenteil. Die Spielerinnen arbeiten intensiv gegen den Ball, nehmen die Zweikämpfe auf und nutzen die einzige richtige Torchance, die sie in der ersten Halbzeit haben, direkt für den Ausgleichstreffer.

Zwar hat Frankreich mehr vom Spiel, doch auch "Les Bleues" schaffen nur vier Schüsse auf Bergers Tor. Das liegt daran, dass alle deutschen Spielerinnen in die Defensivarbeit eingebunden sind, auch Hoffmann, Bühl und Brand – letztere sieht nicht immer glücklich aus und kassiert bei einem Zweikampf mit Kadidiatou Diani die Gelbe Karte (52.). Bis zur 80. Minute wechselt Wück nur einmal verletzungsbedingt, zu zehnt halten die DFB-Frauen beeindruckend gut mit den schnellen Französinnen mit. Auch in der Verlängerung hält Wück neun Minuten an seiner Formation fest, ehe er Schüller einwechselt.

2. Wück hat sein Defensivsystem noch nicht gefunden

Nach der Roten Karte für Wamser im Schweden-Spiel stellte Wück vergangene Woche auf eine defensive Fünferkette um und behält diese – allerdings in anderer Formation – gegen Frankreich bei. Linder stellt er von der rechten auf die linke Seite, diese besetzt er mit der 20-jährigen Kett, die ordentlich Werbung für sich macht und kaum Zweikämpfe verliert. Nach der Roten Karte gegen Hendrich und der frühen Auswechslung Linders, die früh in einem Zweikampf umgeknickt ist, stellt Wück auf eine Viererkette um und bringt Sophia Kleinherne in die Partie.

Viele unglückliche Umstände führen während des Turniers dazu, dass Wück mehrfach umstellen muss. Auch nach der EM wird sich der 52-Jährige intensiv mit seiner Abwehrreihe beschäftigen und Fragen stellen müssen: Sind Minge und Knaak die beste Innenverteidigung? Kapitänin Minge zeigt kurz vor der Pause zwei beeindruckende Abwehraktionen, verhindert mit zwei Grätschen den Pass von Marie Antoinette Katoto ins Zentrum (45.+5). Bei der Außenverteidigung improvisiert Wück seit Spiel eins.

3. Hoffmann stürmt für Schüller: Eine neue Stammspielerin?

Von Stürmerin Giovanna Hoffmann scheint der Bundestrainer viel zu halten: Die 26-jährige Angreiferin von RB Leipzig darf gegen Frankreich von Begann an ran – und spielt in Unterzahl bis weit in die Verlängerung hinein. Ein Vertrauensbeweis der besonderen Art, während Stammspielerin Lea Schüller, die in diesem Turnier schon zweimal traf, das Nachsehen hat.

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Hoffmann bewirbt sich mit ihrem Auftritt für weitere Einsätze: Mit ihrer Körpergröße von 1,74 Meter und ihrer starken Physis macht sie die Bälle fest, zwingt die Gegnerinnen zu Fehlern und foult gerade so, dass sie selbst keine Karte sieht. Schüller, die für sie in der 109. Minute eingewechselt wird, zeigt hingegen kaum nennenswerte Aktionen im gegnerischen Strafraum. Wück hat also mindestens eine Alternative, wenn nicht sogar eine neue Stammspielerin.