Wo Sarina Wiegman ist, ist der Erfolg: Zum fünften Mal in Folge steht die Trainerin der englischen Nationalmannschaft im Finale eines großen Turniers. Wie macht Wiegman das?

Ein Grundprinzip des niederländischen Fußballs lautet: Wir müssen schlauer, innovativer und mutiger sein als andere Nationen. So formuliert es zumindest Louis van Gaal immer wieder. Die Niederlande hat nur knapp 18 Millionen Einwohner, der niederländische Fußballverband KNVB rund 1,2 Millionen Mitglieder. Zum Vergleich: Im DFB sind fast acht Millionen Mitglieder registriert.

Um in der Weltspitze mithalten zu können, waren die Macher und Entscheidungsträger deshalb schon immer darauf angewiesen, fehlende Ressourcen und Geld durch clevere Ideen zu kompensieren.

Eines dieser Modelle war zu Beginn der Nullerjahre die Einführung sogenannter Satelliten-Klubs: Kleinere Vereine im Fußball der Männer und der Frauen fanden da Anschluss an Profi-Klubs, um Spieler, Trainer, Ideen, Wissen auszutauschen und sich so gegenseitig stets zu verbessern. Für Sarina Wiegman, damals bei VV Ter Leede, öffnete sich damit die Tür in eine neue Welt.

Den EM-Triumph wiederholt

Als Spielerin war Wiegman schon sehr erfolgreich gewesen. Mit Ter Leede gewann sie zweimal die Meisterschaft im Vorgänger-Wettbewerb der später eingeführten Eredivisie und einmal den Pokal. Für die Nationalmannschaft lief Wiegman zwischen 1987 und 2001 insgesamt 104 Mal auf.

Nach dem Einstieg als Trainerin bei Ter Leedes "größerem" Kooperationsklub ADO Den Haag fand Wiegman nach einigen Jahren Anschluss an die Nationalmannschaft der Frauen, wo sie zunächst als Scout, später dann als Co-Trainerin angestellt war. Als nach der Weltmeisterschaft 2015 der damalige Cheftrainer Roger Reijners freigestellt wurde, rückte Wiegman auf den Posten der Bondstrainerin – und holte nur zwei Jahre später bei der Heim-EM mit Oranje überraschend den ersten Titel überhaupt für die Niederlande.

Dieser Triumph und die Wahl zur Welttrainerin des Jahres hat Wiegman fast über Nacht zu einer der bekanntesten Figuren des Weltfußballs gemacht. Und zu einem sehr begehrten Objekt für einige der größten Verbände. Fortan kursierten die Gerüchte um Engagements in den USA oder auch Deutschland, 2020 entschloss sich die damals 51-Jährige aber für den Posten als Cheftrainerin der Lionesses, der englischen Frauen-Nationalmannschaft. Wohl wissend, dass die erste große Aufgabe ein EM-Turnier auf heimischem Boden sein würde, wie damals mit den Niederlanden.

Und wie schon fünf Jahre zuvor schaffte Wiegman auch mit den Engländerinnen den maximalen Triumph, der 2:1-Finalerfolg über Deutschland wurde zum größten Triumph des englischen Fußballs seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft (der Männer) 1966.

Die Chance auf das Triple

Nicht erst seitdem umweht Sarina Wiegman ein regelrechter Mythos. Seit 2017 haben es Wiegmans Mannschaft immer in das Finale eines großen Turniers geschafft, trotz zum Teil größter Widerstände. Insgesamt viermal wurde sie seither zur besten Trainerin der Welt gewählt.

Als "Makel" bleiben zwar die beiden Niederlagen in den WM-Finals 2019 (mit den Niederlanden) und 2023 (mit England). Auf europäischer Bühne bietet sich nun aber im Finale gegen Spanien - und damit in der Wiederauflage des WM-Endspiels von vor zwei Jahren - die Chance auf das Triple, den dritten Triumph bei einer Europameisterschaft in Folge für Wiegman.

Und das mit einem Fußball, der bisher noch nicht höchsten Ansprüchen genügt und noch sehr viel Raum für Verbesserungen im Finale lässt. Die Lionesses haben spielerisch bei diesen Titelkämpfen zu großen Teilen wenig überzeugt, ganz im Gegensatz zum Finalgegner Spanien.

Aber Wiegmans Mannschaft hat nach der Auftaktniederlage gegen Frankreich, die sich letztlich als besonders heilsam erwiesen hat, einen unglaublichen Siegeswillen und eine Resilienz entwickelt, die sie nicht nur über die schweren K.o.-Spiele gegen Schweden und Italien getragen hat, sondern sie gegen die Favoritinnen aus Spanien auch im Endspiel brandgefährlich macht.

Die wichtige Zutat für Champions

Selbst aus ausweglos erscheinenden Lagen haben sich die Engländerinnen immer wieder irgendwie befreien können: Gegen Schweden holten sie einen 0:2-Rückstand in der regulären Spielzeit auf, standen im Elfmeterschießen mehrmals einen Schuss vor dem Aus. Gegen Italien fiel der erlösende Ausgleichstreffer erst in der siebten Minute der Nachspielzeit und das Siegtor eine Minute vor dem Ende der Verlängerung: per Nachschuss nach einem zunächst vergebenen Elfmeter.

Es gibt Beobachter, die schreiben der englischen Mannschaft ein übergroßes Maß an purem Glück zu und tatsächlich gehört das zumindest zur Wahrheit. Aber sich so oft wieder zu befreien, bis zur letzten Sekunde an sich zu glauben, einen Widerstand nach dem anderen zu überwinden: Das macht Champions eben auch aus. Und immer nur Glück ist dann Ende vielleicht dann doch Können.

Wiegman lebt diesen Geist mit jeder ihrer Aktionen und mit jedem Wort vor. Sie ist die eigentliche Instanz dieser Mannschaft, die mit herausragenden Spielerinnen aus der englischen Liga und auch aus der Bundesliga nur so gespickt ist. Beim englischen Team ist die Trainerin aber der eigentliche Star.

Vergleichbar mit Louis van Gaal

Mit ihrer Art erinnert sie ein wenig an den großen Louis van Gaal: Autoritär sei sie und bisweilen auch stur. Und sehr direkt in der Ansprache. Manch einer würde das als zu schroff bezeichnen, sie selbst hat einen anderen Standpunkt: "Ich versuche deutlich zu sein, um den Kontext zu vermitteln."

Als vor der EM die Star-Spielerinnen Mary Earps und Fran Kirby ihren überraschenden Rückzug bekannt gaben, fielen diese Entscheidungen auch auf Wiegman und ihren Kommunikationsstil zurück. Sehr offen und ehrlich seien die Gespräche gewesen, erinnert sich Kirby. Ihr hatte Wiegman offenbart, dass sie wohl nicht Teil der EM-Mannschaft sein werde, also kam Kirby dieser Entscheidung mit ihrem Rücktritt zuvor.

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Ein bisschen verändert

Diese sehr direkte Art hat sich Wiegman über die Jahre beibehalten, inhaltlich und im Coaching hat sich die 55-Jährige aber durchaus ein wenig verändert. Innerhalb klar gesetzter Leitplanken lässt sie mittlerweile auch andere Ideen und Einflüsse zu. Zwar bleibt der Grundgedanke, mit einem sehr eng gezogenen Stamm an Spielerinnen ein Turnier zu bestreiten - Wiegman nimmt nur in Notfällen personelle Wechsel vor - die Besetzung der Positionen mit diesen Spielerinnen kann dann aber durchaus variieren.

Und sie zeigt sich in bestimmten Momenten auch von ihrer fröhlichen Seite, ist nicht mehr nur verbissen. Im Finale gegen Spanien wird dafür vermutlich kaum Platz sein. Dann geht Sarina Wiegman wieder in den totalen Kampfmodus über und ihr Team gleich mit. Das ist vielleicht die größte ihrer vielen Stärken: Sie mag nicht die beste Freundin jeder ihrer Spielerinnen sein. Aber diese folgen ihr bedingungslos. Und bekommen deshalb auch eine gute Portion jener Mentalität mit, die Siegerinnen ausmacht.

Verwendete Quellen