Es gibt sie immer noch, die Pöbler, die selbsternannten Alphas, die Stinkstiefel, bei denen, sobald eine Frau gegen einen Ball tritt, ein Reflex eintritt. Sie können nicht anders, sie müssen den Fußball der Frauen klein- und schlechtreden. Doch die EM hat gezeigt, dass der Fußball der Frauen auf diese Art Fußballfans nicht angewiesen ist.
Nach dem Spiel waren sich eigentlich alle einig: Deutschland hatte sich gegen Spanien teuer verkauft und kann trotz des Halbfinal-Aus stolz auf das Erreichte sein. Auch weil die DFB-Frauen mit ihrem Kampfgeist, ihrer Leidenschaft und ihrem Teamspirit viele neue Fans gewonnen haben dürften.
Das legen zumindest die beeindruckenden Einschaltquoten nahe, die die öffentlich-rechtlichen Sender nach jedem Spiel veröffentlichten. Durchschnittlich fieberten 14,26 Millionen Zuschauer in der ARD bei der knappen 0:1-Niederlage des DFB-Teams mit. Das entsprach einem Marktanteil von 57,6 Prozent.
Immer neue Rekorde
Den Krimi gegen Frankreich im Viertelfinale hatten im ZDF bereits 10,7 Millionen Fans gesehen, ein Markanteil von 52,2 Prozent. Auch bei DAZN wurden die Spiele gezeigt, der Streaming-Anbieter hat allerdings noch keine Zahlen ausgewiesen.
Im Übrigen interessieren nicht nur die Spiele mit deutscher Beteiligung. Das andere Halbfinale zwischen Italien und England verfolgten 7,09 Millionen Zuschauer.
Dazu kommen die Menschen in den Stadien. In der Schweiz wurde prompt ein Zuschauerrekord aufgestellt. Bereits 623.088 Besucherinnen und Besucher sahen bis zum Halbfinale die Spiele vor Ort. Die Finalzuschauer kommen noch obendrauf. Bei der EM 2022 in England kamen 574.865 Fußballfans in die Stadien.
Unzählige Menschen trafen sich außerdem deutschlandweit zum Public Viewing – laut SZ etwa 1.500 waren es beispielsweise in München – und es wären wohl noch mehr geworden, hätten Gaststätten ähnliche Ausnahmegenehmigungen bekommen, wie es bei der EM der Männer der Fall war. In Tübingen beispielsweise wurde laut "watson.de" eine entsprechende Anfrage mit der Begründung "Ruhestörung" abgeschmettert. Die Stadt wollte zudem eine fehlende "öffentliche Sichtbarkeit" des Turniers erkannt haben. Naja.
Manche Menschen können damit nichts anfangen – und das ist okay
Aber, aber, aber beim Viertelfinale der EM der Männer haben 26 Millionen Menschen zugeschaut. Da sieht man doch, dass Frauenfußball einfach nicht interessiert. Ach, wirklich?
Kann es vielleicht sein, dass es einfach eine gewisse Klientel gibt, die sich nicht für den Fußball der Frauen interessieren will? Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht holt er sie athletisch tatsächlich nicht ab, vielleicht haben sie Angst, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte, wenn Frauen sich den Fußball zu eigen machen, oder dass es unmännlich wirken könnte, Frauen zu unterstützen.
Die Gründe sind eigentlich egal. Denn tatsächlich wird niemand gezwungen, den Fußball der Frauen zu verfolgen. Niemand fesselt 14 Millionen Menschen und zwingt sie vor den Fernseher, oder entführt mehrere Tausend und lässt sie erst im Stadion wieder frei. Und die Zeiten, in denen es nur drei Fernsehprogramme gab und man eben schauen musste, was kam, sind auch längst vorbei.
Umso seltsamer wirkt es da, dass sich viele noch immer bemüßigt fühlen, ihre Ablehnung in teils hasserfüllten und frauenfeindlichen Botschaften in die sozialen Medien zu kippen. Dafür, dass es die Pöbler ja angeblich nicht interessiert, regen sie sich aber ganz schön auf.
Was Menschen im Fußball der Frauen finden
Die über 14 Millionen Menschen jedenfalls verfolgen den Fußball der Frauen aus freien Stücken und aus den unterschiedlichsten Gründen. Manchen finden dort, was sie beim Fußball der Männer vielleicht vermissen: einen größtenteils vorurteilsfreien Raum, in dem beispielsweise sexuelle Orientierung keine Rolle spielt, gewalttätige Auseinandersetzung nicht vorkommen und die Gefahr, sexualisiert oder gar übergriffig angegangen zu werden als Frau deutlich geringer bis nicht existent ist.
Andere sehen dort einen Fußball, der noch nicht bis in die Haarspitzen durchkommerzialisiert ist, bei dem die Protagonistinnen auf dem Platz keine abgehobenen Millionäre sind und es noch eine gewisse Nahbarkeit gibt. Und wieder andere feiern den Zusammenhalt auf dem Platz, den Kampfgeist und auch die Finesse, mit der viele Spielerinnen mit dem Ball umzugehen wissen. Wer bei dem Tor von Aitana Bonmatí trotz aller Sympathien für Deutschland nicht insgeheim mit der Zunge schnalzen musste, hat den Fußball nie geliebt.
Aber noch einmal: Es ist auch völlig in Ordnung, den Fußball der Frauen nicht zu verfolgen. Niemand wird dazu gezwungen. Und viel wichtiger: Der Fußball der Frauen ist darauf auch gar nicht angewiesen. Denn er wächst weiter. Daran ändert auch das Kleinreden in den Kommentarspalten der sozialen Medien nichts.
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Und weggenommen wird auch niemandem etwas. Viel eher bekommt der Fußball, für alle, die sich darauf einlassen können, eine neue Ebene, mit neuen Protagonistinnen, neuen Geschichten und neuen Möglichkeiten des Mitfieberns. Auf freiwilliger Basis natürlich.
Verwendete Quellen
- dpa
- sid
- "Sueddeutsche.de": Begeisterung, ein Schockmoment und feuchte Augen
- "watson.de": Warum in Tübingen kein Public Viewing zum EM-Halbfinale stattfindet