Spanien galt bereits vor EM-Beginn als Turnierfavorit - und diesen Status hat das Team in seinen ersten beiden Gruppenspielen eindrücklich untermauert. Manchmal wild, aber immer mit großer Lust am Tore schießen lehren die Spanierinnen ihren Gegnerinnen das fürchten. Wer soll dieses Team stoppen?

Mehr News zur Fußball-EM

Ihre härtesten Zweikämpfe führte Claudia Pina in Thun erst nach dem Abpfiff. Ein Knäuel aus Reportern hielt ihr Kameras, Handys und Mikrofone dicht vor die Nase, die Scheinwerfer leuchteten grell, und aus dem aufgeregten Stimmenwirrwarr prasselten die Fragen auf den Offensivstar ein.

Doch Pina, 1,60 Meter groß, behielt den Überblick, antwortete so geduldig und präzise, wie ihr Team zuvor beim 6:2 gegen Belgien gespielt hatte. Lächelnd ging sie auch auf die naheliegendste Frage ein: Ob es nicht kompliziert sei, das Wort "Favorit" bei dieser Fußball-EM in der Schweiz noch zu vermeiden?

Pinas Antwort glich einer ihrer zahlreichen Finten auf dem Platz: "Um ehrlich zu sein, halten wir uns nicht für die Favoriten", sagte die 23 Jahre alte Spielerin des FC Barcelona. "Spaß am Spiel" wollte man haben. "Letztendlich führt das dazu, dass man Tore schießt, und so ist es im Moment auch."

DFB-Ziel: Spanien so lange wie möglich aus dem Weg gehen

Den Spanierinnen möglichst lange aus dem Weg zu gehen, dürfte daher auch Ziel des deutschen Teams sein. Das kann gelingen, falls Spanien wie erwartet den Gruppensieg holt und Deutschland ebenfalls. Dann wäre es erst in einem möglichen Finale am 27. Juli in Basel so weit. Bei anderen Gruppenkonstellationen frühestens im Halbfinale.

Nach den ersten beiden Auftritten des Weltmeisters in Gruppe B, einem 5:0 gegen Portugal in Bern sowie dem Duell mit Belgien, beeindruckt fast alles an diesem Team. Die herausragenden Einzelspielerinnen, die wie am Reißbrett entworfenen Spielzüge, die präzisen Pässe und feinen Dribblings. "Ein überwältigender Sieg", sagte Pina zum Auftritt in Thun.

Das Viertelfinale buchten die Spanierinnen so locker wie eine Zugfahrt von Thun nach Lausanne, wo sie während der EM am Genfer See residieren. "In der zweiten Halbzeit konnte man die Energie spüren, die wir hatten", sagte Torschützin Esther González.

Die Statistiken unterstreichen Spaniens dominanten, extrem ballorientierten Tiki-Taka-Stil. 675 Pässe adressierten die Spanierinnen am Montagabend, Belgien kam auf 189. 34:4 stand es bei den Torabschlüssen. Und ohnehin klar verteilt war der Ballbesitz, Spanien erreichte 72 Prozent.

Gonzalez: "Es spielt keine Rolle, wer spielt"

Die Mittel scheinen unerschöpflich, qualitativ wie quantitativ. Trainerin Montserrat Tomé verfügt über Superstars, Supertalente und Ersatzspielerinnen, die wohl in jedem anderen Nationalteam Stammkräfte wären. "Es ist einfach, in dieser Nationalmannschaft zu spielen, es ist einfach, mit all diesen Teamkollegen zu spielen", sagte González. "Es spielt keine Rolle, wer spielt."

Eine sticht aus dem ballverliebten Ensemble dann doch heraus. Alexia Putellas, die bei der vergangenen EM wegen eines Kreuzbandrisses noch gefehlt hatte, zeigt gerade, warum sie 2021 und 2022 zur Weltfußballerin gekürt wurde. "Ich glaube, sie ist unschlagbar, sie ist unglaublich", schwärmte González von der 31 Jahre alten Doppel-Torschützin.

Gegen Portugal und Belgien bestimmte die UEFA Putellas jeweils zur "Spielerin des Spiels", was sie nicht ganz so wichtig fand. Den Preis hätten auch andere verdient gehabt, meinte sie. "Die Mannschaft ist gut, sie fühlt sich wohl, und wenn etwas nicht ganz klappt, dann versuchen wir, es besser zu machen", lobte Putellas. "Wir sind ein Team, das haben wir sehr klar verinnerlicht. Und das kann uns sehr weit bringen in diesem Turnier."

Putellas kaum aufzuhalten

Mit drei Toren und zwei Vorlagen führt Putellas die Scorerliste an. Die vielen Knieprobleme, die sie nach ihrer Operation plagten, scheinen überwunden. "Wenn sie selbstbewusst ist, kann man sie nicht aufhalten", meinte Pina über ihre Vereinskollegin und Nationaltrainerin Tomé resümierte: "Alexia gibt der Mannschaft sehr viel. Sie versteht unseren Plan sehr gut, sie ist im Flow, sie genießt es, und deshalb hat sie das Niveau, das sie hat."

Auch andere fügen sich nahtlos ein. Etwa Vicky López, 18 Jahre jung, die auch beim FC Barcelona spielt und fast schon mehr Superstar als Supertalent ist, so selbstverständlich wie sie bei ihrem ersten großen Turnier mit dem Ball am Fuß über den Rasen tänzelt. Oder Aitana Bonmatí, ebenfalls zweimalige Weltfußballerin, kurz vor der EM an einer Hirnhautentzündung erkrankt, inzwischen genesen. Tomé kann es sich leisten, die 27-Jährige von der Bank zu bringen.

Wie viele ihrer Kolleginnen gelobte Bonmatí weiter Demut mit Blick auf den heiß ersehnten EM-Titel. "Es ist zu früh, darüber zu sprechen, aber wir sind hierhergekommen, um das Finale zu erreichen. Das ist noch ein weiter Weg. Wir hoffen, wir können die Dinge noch besser machen", sagte der Barça-Star. Spätestens dann dürfte sich das Wort "Favorit" auch intern nicht mehr vermeiden lassen. (dpa/bearbeitet von ska)