Die erste reformierte Klub-WM mit 32 Mannschaften ist Geschichte. Der FC Chelsea ist Weltmeister. Doch das Turnier hat einige Fragen aufgeworfen und Kritik hervorgerufen. Wir haben im Gespräch mit dem Dazn-Experten Sebastian Kneißl eine Bilanz zu dem XXL-Wettbewerb gezogen.

Ein Interview

Sebastian Kneißl, ist die Klub-WM die schlechteste Idee, die je umgesetzt wurde, wie Jürgen Klopp es formuliert hat?

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Sebastian Kneißl: Ich sehe das ganz anders. Ich finde das Konzept, gerade weil das Turnier nur alle vier Jahre stattfinden soll, absolut sinnvoll. Und es gibt viele Spieler, die sich ebenfalls positiv dazu geäußert haben. Was mich besonders beeindruckt hat: Für viele Mannschaften, die in Europa nicht auf dem Radar sind, war das eine Riesenchance. Mich hat das ehrlich gesagt emotional mitgenommen. Ich habe echte Begeisterung gesehen.

Ist diese Skepsis gegenüber dem Turnier ein typisch deutsches bzw. europäisches Problem?

Ich glaube, das hat viel mit der generellen Haltung gegenüber Veränderungen zu tun. Aber ich finde, man sollte solchen Ideen eine Chance geben. Warum nicht einfach mal ausprobieren? Ein, zwei Mal durchspielen, schauen, wie es sich entwickelt und dann kann man immer noch entscheiden, ob man etwas ändern oder ganz sein lassen möchte. Ich nehme da gerne Jürgen Klopp als Beispiel. Er ist jemand, der mutig ist, Dinge ausprobiert, nach vorne denkt. Und genau diesen Geist würde ich mir auch bei der Beurteilung der Klub-WM wünschen.

Aber sehen Sie nicht die Gefahr, dass es irgendwann auch einfach mal gut ist? Dass es zu viel Fußball ist?

Wenn das der Fall wäre, würde man es an den Zuschauerzahlen merken. Aber genau das passiert nicht. Alle Beteiligten hierzulande, bei DAZN und auch bei ProSiebenSat.1, sind sehr zufrieden. Natürlich: Wenn das Interesse irgendwann einbricht, dann muss man reagieren. Aber aktuell ist das Gegenteil der Fall. Und solange die Begeisterung da ist, sollten wir auch offen bleiben für neue Formate.

Kein messbarer Leistungsabfall bei der Klub-WM

Trotzdem ist die Kritik laut. Kippt gerade möglicherweise etwas rund um den Fußball-Hype?

Es wird sehr viel im Konjunktiv gesprochen. Es könnte zu viel sein. Es könnte überdrehen. Aber aktuell ist es das nicht der Fall. Wenn man sich Leistungsdaten wie Sprintwerte, gelaufene Kilometer, Tore anschaut, dann gibt es bei der Klub-WM keinen messbaren Leistungsabfall. Warum sollten wir dann über theoretische Probleme diskutieren? Ganz wichtig ist aber, dass man im Dialog bleibt. Dass die Spieler nicht alles machen müssen, was Zuschauer und Funktionäre wollen, sondern dass auf sie geachtet wird. Aber was die Klub-WM angeht, orientiere ich mich in erster Linie am konkreten Feedback.

Welches Feedback haben Sie als DAZN-Experte bekommen?

Ich habe im Freundeskreis und online viel positives Feedback bekommen. Klar, manche sagten: "Wir haben weniger geschaut." Aber viele andere erzählten mir: "Ich saß nachts um drei vor dem Fernseher!" Einzelne Stimmen sind wichtig, und ja, es gibt Spieler, die sagen, "achtet bitte auf die Belastung". Das muss man ernst nehmen. Aber dem gegenüber stehen immer noch hervorragende Zuschauerzahlen.

Trotzdem: Die Belastung ist real, körperlich und vor allem mental. Wie gefährlich ist die aktuelle Entwicklung aus Sicht eines Ex-Profis?

Ich weiß, wie fordernd es ist, regelmäßig auf höchstem Niveau zu spielen. Aber da muss man eben beide Seiten betrachten. Spieler wollen viel verdienen. Das muss aber wirtschaftlich hinterlegt sein. Und genau da fehlt mir manchmal das Verständnis: Wer hohe Gehälter fordert, muss akzeptieren, dass auch gespielt werden muss, um diese Einnahmen zu generieren. Wenn die Spieler irgendwann gesammelt Alarm schlagen, dass etwas passieren muss, dann muss man etwas tun. Aber aktuell? Sehe ich kein großes Problem.

Was wäre dann wichtig, um in Zukunft eine halbwegs gesunde Balance einzuhalten?

Das ist für mich ein entscheidender Punkt: Es braucht Dialog, einen intensiven Austausch, aber dazu auch Struktur. Ich bin kein Fan einer langen Sommerpause, sondern von regelmäßigen kleinen Auszeiten. Beispiel: Ein Sommerbreak von zwei, drei Wochen, und dann während der Saison drei kurze Fünf-Tage-Blöcke, in denen Spieler bewusst rausgenommen werden. Im Dezember denkt keiner mehr an den Sommerurlaub. Aber wenn du da fünf Tage abschalten kannst, wirkt das Wunder.

"Wir alle tragen diese Entwicklung mit."

Sebastian Kneißl über die Preisgelder im Fußball.

Dass es fast nur noch ums Geld geht, ist bei einer Klub-WM mit Preisgeldern im Milliardenbereich nicht mehr wegzudiskutieren. Müssen wir das einfach akzeptieren?

Ganz ehrlich: Wir alle tragen diese Entwicklung mit. Wir wollen das alles sehen. Aber dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Sport ein Business wird. Da hängen wirtschaftliche Interessen dran, das ist die logische Folge aus der Popularität und Professionalisierung des Sports. Es muss alles auch bezahlt werden.

Da gibt es nur noch wenig Platz für Fußballromantik, oder?

Die Frage ist: Was genau ist Fußballromantik?

Kurz gesagt, dass nicht immer nur die wirtschaftlichen Interessen im Mittelpunkt stehen sollten, sondern das Spiel an sich. Es ist die Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten als Gegenentwurf zum milliardenschweren Business.

Ich weiß, was Sie meinen, ich kann aber nicht mitgehen, denn der Fußball hat sich weiterentwickelt. Die Welt hat sich weiterentwickelt. Und viele Fußballromantiker haben sich nicht mitentwickelt. Und es wäre gut, wenn man sich anpasst und mitentwickelt. Ich sage nicht, dass man das komplett das aufgeben sollte. Aber auch in den 70er-Jahren wollten der FC Bayern oder der HSV Geld erwirtschaften, nur eben auf einem anderen Niveau. Die Grundmechanismen sind heute noch immer dieselben, sie sind nur viel größer geworden. Jeder Klub muss wirtschaftlich arbeiten. Wer das nicht schafft, der ist irgendwann weg vom Fenster.

Das Finale als Inszenierung: "Dem Wettbewerb angemessen"

Wer als Romantiker das Klub-WM-Finale eingeschaltet hat, hatte es schwer. Wie haben Sie die Inszenierung erlebt?

Wir leben in einer Zeit, in der Aufmerksamkeit die neue Währung ist. Und die Menschen sind anspruchsvoller geworden, weil sie mehr Auswahl haben. Wer heute Aufmerksamkeit will, muss etwas bieten. Und deshalb funktioniert Fußball heute eben auch als Inszenierung. Es gab deshalb nicht nur ein Finale, sondern auch einen Robbie-Williams-Moment. Dass dann auch Donald Trump, der aktuelle Präsident des Ausrichterlandes, durchs Bild läuft, das gehört dazu. Es war pompös, dem Wettbewerb aber auch angemessen.

War das sportliche Niveau dem Wettbewerb ebenfalls angemessen?

Das war auf einem ordentlichen bis starken Niveau. Gerade bei den südamerikanischen Teams hast du gesehen, dass sie auf Dauerfrequenz unterwegs sind. Da ist kein Sommerloch, da ist kein Runterschalten. Bei den europäischen Teams ist das anders. Die sind es gewohnt, nach der Saison abzuschalten, mental wie körperlich. Und dann musst du plötzlich wieder hochfahren, reisen, dich akklimatisieren, Leistung bringen. Das ist nicht einfach. Aber viele Teams haben bei der Klub-WM nicht nur Intensität, sondern auch taktische Prinzipien auf den Platz gebracht.

Der FC Bayern und der BVB sind im Viertelfinale raus. Wie weit ist der deutsche Klubfußball aktuell von der Weltspitze entfernt?

Die Bundesliga ist in der Breite gut, aber in der Spitze brauchen wir mehr als nur den FC Bayern. Ich sehe Potenzial, gerade bei Borussia Dortmund unter Niko Kovac. Da wächst was. Auch Leverkusen muss man im Blick behalten. Und Eintracht Frankfurt traue ich ebenfalls weiterhin europäische Ausreißer nach oben zu.

Wie viel Substanz steckt denn jetzt hinter diesem neuen Format?

Das kommt stark darauf an, wie viel Austausch wirklich stattfindet, gerade mit den Spielern. Ich würde mir wünschen, dass man aus jedem Team zwei, drei Spieler gezielt einbindet, deren Feedback einsammelt. Damit es auf Dauer funktioniert, braucht es gegenseitige Wertschätzung. Die Spieler dürfen nicht einfach moderne Gladiatoren sein, die einmarschieren, wenn’s heißt: Jetzt spielen. Ich habe gehört, dass dieser Dialog stattfindet, aber er müsste zu einem großen Faktor werden.

Klub-WM: Das muss besser werden

Was muss sich konkret ändern, damit die Klub-WM nicht als zusätzliche Belastung empfunden wird, sondern als echtes Highlight?

Ein Punkt ist ganz klar: die Rahmenbedingungen. Ich hatte bei einigen Spielen wirklich Mitleid, gerade mit Blick auf die Hitze. Da braucht es klare und bessere Standards. Und auch über die Anstoßzeiten, die stark an den europäischen Fußball-Fans ausgerichtet wurden, sollte man diskutieren, die waren nicht optimal. Man darf nicht alles nur auf Zuschauerfreundlichkeit trimmen. Auch die Spieler brauchen Bedingungen, unter denen sie Top-Leistungen bringen können.

Es gab in den USA viele Leere Stadien. Sollte die Klub-WM künftig eher in Ländern mit Fußballkultur stattfinden, oder ist es richtig, auf neue Märkte zu setzen?

Ein weiterer Grund, sich das Thema Anstoßzeiten genauer anzuschauen. Ich bezweifle, dass die Stadien in Deutschland werktags um 12 Uhr voller gewesen wären. Ich glaube, am Ende geht es um die richtige Balance. Klar: Länder mit langer Fußballtradition bringen vollere Stadien, pure Leidenschaft, unglaubliche Atmosphäre. Aber auch dort ist eben nicht jedes Stadion automatisch ausverkauft. Auf der anderen Seite finde ich es spannend, wenn man bewusst in neue Regionen geht, wo Fußball nicht so präsent ist. Dort kann man ein Zeichen setzen, sagen: Schaut mal, was dieser Sport zu bieten hat! Auch für viele Spieler ist das ein echtes Erlebnis.

Empfehlung der Redaktion:

Wie sehen Sie die mittelfristige Zukunft des Wettbewerbs? Wird die Klub-WM langfristig zur neuen Super League der Fifa?

Solche Vergleiche kommen natürlich auf, weil es eine enorme Nachfrage gibt und eine klare Chance, Geld zu verdienen. Ich sehe die Klub-WM aber nicht als Bedrohung für die bestehenden Wettbewerbe, die Klub-WM wird die Klub-WM bleiben. Die Entwicklung ist klar, der Fußball wird globaler, größer und er braucht einen funktionierenden Takt zwischen Belastung und Entlastung.

Über den Gesprächspartner:

  • Sebastian Kneißl wagte 2000 mit nur 17 Jahren als vielversprechendes Talent (U19-Vize-Europameister) den Sprung von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea, kam dort aber nicht bei den Profis zum Einsatz. Er spielte anschließend unter anderem für Fortuna Düsseldorf und Wacker Burghausen. 2014 beendete Kneißl aufgrund einer Sportinvalidität seine Profikarriere. Seit 2016 ist er unter anderem bei Dazn als Experte tätig.