Die Werder-Frauen gehen als krasse Außenseiter ins DFB-Pokalfinale gegen Meister Bayern München – und sind doch nicht chancenlos. Trainer Thomas Horsch spricht im Interview über das größte Spiel in Werders Klubgeschichte, seinen baldigen Abschied und grundsätzliche Probleme im deutschen Fußball der Frauen.

Ein Interview

Herr Horsch, sind Sie froh, dass nach sicherlich aufregenden und stressigen Wochen nun endlich der große Tag gekommen ist?

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Thomas Horsch: Wir sind sehr froh, dass wir durch dieses Finale nochmal einen Höhepunkt haben und damit die Chance, die Saison zur besten in der Geschichte der Werder-Frauen zu machen. Das Halbfinale beim HSV war für uns schon ein Mega-Highlight: Das Nordderby, die vielen Bremer Fans im Stadion, der dramatische Spielverlauf und am Ende unser Sieg nach Verlängerung. Besser hätte man das Drehbuch gar nicht schreiben können. Und jetzt kommt das Sahnehäubchen mit dem Finale gegen den FC Bayern, den neuen Deutschen Meister und eine der besten Mannschaften Europas. Das erfüllt mich mit Vorfreude und Stolz.

Werder hat beide Ligaspiele gegen die Bayern verloren und dabei noch kein Tor erzielt. Wie wollen Sie diesem Gegner im Finale denn Paroli bieten?

Es stimmt, wir haben in dieser Saison noch kein Tor gegen sie erzielt und wenn wir gewinnen wollen, müssen wir irgendwann eines schießen… Unsere Entwicklung der letzten Jahre zeigt aber auch, dass wir den Bayern schon nähergekommen sind. Das letzte Spiel war schon eng, wir haben 0:1 verloren. Wir haben gegen Wolfsburg 3:3 gespielt, Eintracht Frankfurt diese Saison 1:0 geschlagen, wir haben Leverkusen aus dem Pokal geworfen: Wir haben also punktuell gegen solche Mannschaften schon bestanden. Es gibt immer wieder Momente in einem Spiel, die du überstehen musst. Und es gibt Momente, die du vielleicht dann auch für dich nutzen musst. Eine gute Torhüterleistung, die Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Tor, solche Dinge werden wichtig. Das sind jetzt keine spektakulären Erkenntnisse, aber das macht sie nicht weniger wahr oder wichtig. Wenn ein paar Dinge zusammenkommen, kann es auch gegen eine Weltauswahl wie die der Bayern klappen.

Wie lief und läuft die Vorbereitung in den letzten Tagen vor dem Spiel? Alles ganz normal oder gibt es signifikante Änderungen im Ablauf?

Wir legen eine ganz normale Werder-Frauen-Woche hin. Natürlich habe ich den Gegner in den letzten drei Spielen live im Stadion gescoutet, das würde ich vor einem Bundesligaspiel in dem Ausmaß nicht tun. Die Bayern haben einfach unfassbar viel Qualität auf dem Platz stehen, da müssen wir immer wieder kleine Lücken und Nischen finden, um ihnen weh zu tun. Aber wir haben deshalb nichts umgestellt, essen keine speziellen Körner oder trainieren anders. Im Prinzip ist es eine normale Englische Woche mit drei Spielen in acht Tagen. Nur findet dieses eine halt in Köln vor 50.000 Zuschauern statt und es ist ein Finale. Was tatsächlich anders ist: Wir dürfen am Tag vor dem Spiel schon im Stadion trainieren und Lina und ich eine Pressekonferenz vor Ort abhalten.

Die Frauen-Bundesliga wird trotz der Aufstockung demnächst ein reiner Verdrängungs-Wettbewerb bleiben."

Ein bisschen Champions-League-Feeling…

So kann man das sagen. Und auch die Tage davor war die Medienarbeit schon eine andere. Aber diese gesteigerte Aufmerksamkeit ist ja auch schön. Ohne den Finaleinzug wäre die uns als Verein sonst nicht zuteilgeworden.

Was würde ein Finalsieg denn für den Standort Bremen bedeuten?

Sehr viel und gar nichts.

Das müssen Sie erklären.

Natürlich wäre es schön, wenn auf dem Briefkopf "Pokalsieger Frauen 2025" stünde. Aber damit wäre ja dann nicht automatisch eine Entwicklung abgeschlossen, sondern es muss ja weitergehen. Das Pokalfinale ist eine tolle Auszeichnung für die aktuelle Mannschaft und für das, was wir die letzten Jahre aufgebaut und uns erarbeitet haben - aber im Gegenzug auch eine Aufforderung, sich für die weitere Zukunft zu positionieren, sich nicht auf den Erfolgen auszuruhen, sondern weiter in den Frauenfußball zu investieren. Denn die Frauen-Bundesliga wird trotz der Aufstockung demnächst ein reiner Verdrängungs-Wettbewerb bleiben.

Bei Werder wird schon bald das Leistungszentrum um- und neu gebaut, es entstehen topmoderne Strukturen und es eröffnen sich dadurch einige Chancen für die Mädchen und Frauen der Region.

Das stimmt, aber Steine schießen keine Tore. Klar muss man die Rahmenbedingungen schaffen, aber das Wichtigste wird immer die nötige Kompetenz bleiben. Und um die zu bekommen, muss man Geld investieren. Nur so kann man im Konkurrenzkampf um die besten Spielerinnen auch bestehen. Und die Liga wird über kurz oder lang noch voller werden mit Klubs, die schon lange im Männer-Fußball an der nationalen Spitze etabliert sind. Da muss man sich dann überlegen: Was investiere ich und wie sehr stehe ich dahinter?

Sie wollen offenbar kein Teil der Lösung mehr sein: In wenigen Wochen legen Sie Ihr Amt bei den Werder-Frauen freiwillig nieder. Warum eigentlich?

Jeder sollte sich im Laufe seiner Tätigkeit die Frage stellen, ob man sich zu einer gewissen Zeit mal verändern will, ob man zufrieden ist mit gewissen Strukturen oder nicht. Ich habe mir lange Gedanken gemacht und dann beschlossen, dass jetzt für mich der richtige Zeitpunkt ist, dieses Kapitel zu schließen. Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viel Energie und Herzblut in diese Geschichte reingegeben und auch einiges zurückbekommen. Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das Pokalfinale ist dann ein schöner Abschied.

Haben Sie schon konkrete Pläne für die Zeit nach Werder?

Das ist tatsächlich noch völlig offen. Ich war in der Talentförderung, am DFB-Stützpunkt, mit der Landesauswahl, mit der Mädchenauswahl unterwegs, in der Trainerfortbildung aktiv und bei der Eliteschule des Fußballs, habe Jugend trainiert für Olympia gemacht, war bei U-Welt- und Europameisterschaften, Co-Trainer in der 3. Liga und später in der Bundesliga und bin jetzt Cheftrainer bei den Frauen. Ich habe in ganz viele Nischen des Fußballs reingeschaut und habe es immer geliebt, mich mit Menschen auszutauschen. Und das Größte ist natürlich, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Es gab zuletzt schon einige Anfragen, aber jetzt zählt nur das Pokalfinale. Ich war ja als Co-Trainer der Männer schon sehr knapp dran, damals sind wir im Halbfinale gegen die Bayern gescheitert. Umso schöner ist es, jetzt um den Titel zu spielen. Wer weiß, ob ich jemals wieder in ein Pokalfinale komme…?

"Hart formuliert ist Mädchen-Fußball immer noch eine Randsportart."

Fritzi Kromp wird Ihre Nachfolgerin bei Werder. Haben Sie sich schon mit ihr ausgetauscht?

Nein, bisher noch nicht. Mein kompletter Fokus liegt auf dem Pokalfinale und alles andere machen andere Leute im Hintergrund. Ich weiß es zu schätzen, dass man mich damit in Ruhe lässt im Moment, damit ich mich auf dieses Spiel und die restlichen Saisonspiele konzentrieren kann.

Sie kommen aus der Talentförderung, haben dort auf quasi allen Ebenen gearbeitet. Wie weit liegen Jungs- und Mädchenausbildung in den Förderstrukturen noch auseinander?

Da liegen Welten, man könnte sogar fast sagen: Galaxien, dazwischen. Hart formuliert ist Mädchen-Fußball immer noch eine Randsportart, im Vergleich zum Junioren- oder Männerfußball gibt es sehr wenige Athletinnen. Das Kontingent ist viel kleiner, deshalb kann man nicht unbedingt von einem Volkssport sprechen. Für die Spitze der Talente gibt es eine sinnvolle Förderung, da wird eine Menge an Struktur aufgebaut. Aber auch da ist noch massig Luft nach oben. Ein sehr konkretes Beispiel: Für Spielerinnen aus der U17 ist die nächste Altersstufe die U23 oder vielleicht sogar die erste Mannschaft. Eine U19 gibt es nicht, es fehlen also zwei Jahre für die Entwicklung der Spielerinnen. Dann spielen 17-Jährige in der Bundesliga, die aber noch ganz andere Aufgaben haben, unter anderem in der Schule. Und für mich als Trainer heißt das überspitzt gesagt: Ich soll Pokalsieger werden und gleichzeitig Nachwuchsförderung betreiben und das mit 17-Jährigen und 33-Jährigen im Kader. Das ist schon ein Riesenfeld. Wir haben es geschafft, einige dieser Mädchen an die Bundesliga heranzuführen und sie als feste Kaderspielerinnen zu etablieren. Aber es gibt auch immer wieder viele, die einfach Geduld haben müssen, weil sie noch Ausbildungszeit brauchen. Und da kommen dann wieder die Rahmenbedingungen ins Spiel:Du brauchst dann eigentlich vier Co-Trainer und diverse Spielmöglichkeiten.

Was sind konkret die Probleme und was könnten Lösungsmöglichkeiten sein?

Wir arbeiten immer wieder an den Basics: Vom Innenspann- und Vollspannstoß, Schnittstellenpass, offensives und defensives Eins-gegen-Eins und so weiter. Technische Dinge, dann kommt Individualtaktik dazu, dann Mannschaftstaktik, Physis, Athletik, Mentalität. Da kannst du so viel Geld reinpacken, wie du willst: Am Ende entscheiden Kompetenz und Zeit! Und Spielmöglichkeiten. Von daher wäre vielleicht eine Nachwuchsrunde von Bundesligamannschaften eine Überlegung wert, um immer wieder Spielpraxis zu generieren. Denn die Probleme, die entstehen, ziehen sich letztlich bis zur Nationalmannschaft durch.

Wie meinen Sie das?

Manchmal bröckelt das Gebilde immer wieder, dann spielt die beste Auswahlmannschaft Deutschlands wie zuletzt gegen Schottland eine gute Halbzeit und eine schlechte. Dann ist die Mentalität wieder da, aber dann auch mal für eine Phase des Spiels wieder weg. Das ist nicht nur ein Punkt oder ein Unterpunkt, darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben. Und ich sehe noch ein anderes gravierendes Problem.

Welches?

Einer meiner Ausbilder hat das immer auf eine griffige Gleichung runtergebrochen: Leistung ist die Summe aus Leistungsvermögen plus Leistungsbereitschaft. Und an dieser Bereitschaft mangelt es im Nachwuchs und in unserer Gesellschaft manchmal durchaus. Die Gegebenheiten sind ohnehin schon schwierig genug und wer dann nicht bereit ist, den Extra-Meter zu gehen, wird es vermutlich nicht schaffen. Es ist in der Nachwuchsförderung ein ständiger Kampf, an diese Leistungsbereitschaft zu appellieren und darauf hinzuweisen, dass man andere Dinge zurückstellen muss, dass man seinen Sport mit aller Konsequenz angehen muss, wenn man etwas erreichen will. Man muss den Aufwand auf sich nehmen und den Preis dafür bezahlen! Ich habe manchmal das Gefühl, dass Fußball nicht die Priorität ist, sondern auch gewisse andere Dinge ablenken, um es mal so zu formulieren…

Erkennen Sie da ein speziell deutsches Problem?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich dafür den internationalen Vergleich in letzter Zeit nicht mehr hatte. Aber ich kann es an einem Beispiel versuchen deutlich zu machen: Wir sind mit der U17 Europameister geworden und dann auch zur Weltmeisterschaft gefahren und haben deswegen in zwei großen Turnieren die spanischen Jugendmannschaften erlebt. Und wenn du dir die spanischen Mannschaften anschaust, auch den FC Barcelona: Was ich da an positiver Aggressivität und Siegeswillen und Mentalität gesehen habe, das war schon beeindruckend. Wir haben dann zwar mit Bühl und Co. die Spanier im Elfmeterschießen noch besiegt und sind in Weißrussland Europameister geworden, aber du hast schon gemerkt: Wow, die Spanier sind hart zu schlagen. Ich habe Barcelona in Wolfsburg gesehen. Das war eine andere Welt! Klar ist das auch eine Weltauswahl. Aber diese innere Haltung, die Aggressivität bei den Spanierinnen ist schon beeindruckt und die sehe ich in Deutschland selten. Die flackert immer mal auf, meist bei einzelnen Spielerinnen. Aber durchgängig ist das bei uns nicht so. Wolfsburg war quasi chancenlos gegen Barcelona, weil sich bei dieser Mannschaft positive Aggressivität mit technischer Raffinesse und Qualität verbindet. Ohne irgendwelche Kabinettstückchen, sondern einfach klarer, harter und aktiver Fußball.

"Du kannst auch als Trainer nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen propagieren."

Wie gehen Sie damit bei den Werder-Frauen um?

Ich fordere diesen totalen Fokus natürlich immer ein und dann gibt es auch mal eine Träne, da gibt es mal ein Streitgespräch. Aber in der Sache und wenn es von Empathie getrieben ist, führst du die Spielerin auf den richtigen Weg. Du kannst auch als Trainer nicht immer nur Friede, Freude, Eierkuchen propagieren. Das geht nicht, da müssen auch sehr harte Ansagen und Entscheidungen fallen.

Werder wird mit Sophie Weidauer eine überaus talentierte, junge Spielerin verlieren. Wieso konnte Ihr Klub die Spielerin nicht halten?

Das kann ich in letzter Konsequenz nicht beurteilen. Aber es gilt auch hier: Du musst aufpassen, dass du die Entwicklung weiter vorantreibst! Es ist auch ein bisschen der Fluch der guten Tat, dass unsere Spielerinnen bei anderen Klubs Begehrlichkeiten wecken, wo auch immer Sophie dann hingeht. Sie ist da nicht die erste. Und dieser Bieterwettbewerb wird in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen.

Ihr Sohn Lucas war und ist in Bremen Ihr Co-Trainer. Eine durchaus spezielle Konstellation im deutschen Fußball.

Für mich war und ist das ein Geschenk! Du arbeitest im Frauenbereich mit 30 Frauen zusammen und - das ist jetzt gar nicht böse gemeint, aber halt ein Fakt: Ich komme nicht in die Kabine rein. Das heißt, ich bekomme manche Schwingungen gar nicht mit, die Gespräche unter den Spielerinnen. Da brauchst du auf jeden Fall eine absolute Vertrauensperson in diesem ganzen Gebilde. Also für mich hätte es keine bessere Konstellation geben können, als meinen Sohn als diese Vertrauensperson an der Seite zu haben.

…und damit noch sehr viel gemeinsame Zeit zu haben.

Lucas ist ein erwachsener Mann, ich könnte wohl in keinem anderen Job noch so viel Zeit mit meinem Sohn verbringen. Wir fahren jedes zweite Wochenende gemeinsam in irgendein Hotel, wir sitzen 90 Minuten auf der Trainerbank, wir reden über Taktik, stehen auf dem Trainingsplatz. Das ist ganz viel Vater-Sohn-Zeit, die ich in meinem Alter nochmal geschenkt bekommen habe. Das ist schon eine sehr geile Geschichte.