Naomi Osakas Wimbledon-Traum platzt in der dritten Runde. Auf ihre Trauer nach der Niederlage folgt offene Wut über das Verhalten mancher Medien. Auch ihr Comeback nach der Geburt ihrer Tochter Shai spielt dabei eine Rolle.

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"Ich werde heute einfach ein negativer Mensch sein, es tut mir so leid. Ich habe nichts Positives über mich zu sagen." Ungewöhnlich ehrliche Worte im obligatorischen Post-Match-Interview mit Naomi Osaka, die die sonst eher schmallippigen britischen Zuschauer im Court 1 erstaunten und bewegten.

Über zwei Stunden lang hatte die 27-Jährige mit der Russin Anastasia Pavlyuchenkova um den Sieg gerungen. Doch selbst 16 Asse reichten der früheren Weltranglisten-Ersten bei teils tropischen Temperaturen nicht zum Sieg gegen ihre 34 Jahre alte Gegnerin.

Als der Wimbledon-Reporter sie höflich fragte, was nun für sie anstehe, sagte Osaka mit leeren Augen: "Das einzig Positive ist jetzt der Geburtstag meiner Tochter Shai." Ansonsten werde sie das Drittrunden-Aus in Wimbledon als Kopfkino noch tagelang beschäftigen, sagte die Tennisspielerin traurig.

Mit diesen ehrlichen Worten im Live-TV verabschiedete sich Naomi Osaka am vergangenen Wochenende vom grünen Rasen Wimbledons.

Naomi Osaka kämpfte zwei Stunden lang in Runde drei gegen das Wimbledon-Aus an.
Naomi Osaka kämpfte zwei Stunden lang in Runde drei gegen das Wimbledon-Aus an. © IMAGO/Propaganda Photo/IMAGO/Kirsten Holst

Es wäre wohl bloß ein ungewöhnlicher Tennis-Moment geblieben. Doch dann griff der amerikanische TV-Riese ESPN den Clip der Tennis-Ikone auf und verbreitete ihn prominent über Social Media - so zusammengekürzt, dass nur die Antwort über Osakas zweijährige Tochter um die Welt ging.

Mit 20 Jahren: Naomi Osaka gewinnt US Open gegen Serena Williams

Im Frauen-Tennis ist Osaka, die 2021 für Team Japan das Olympische Feuer von Tokio anzünden durfte, eine der schillerndsten Figuren.

Da wären zum einen ihre sportlichen Erfolge. Zweimal gewann sie schon die US Open, zum ersten Mal im zarten Alter von 20 Jahren gegen Serena Williams, ihr großes Idol. Ein besonderer Triumph für Osaka, die Wurzeln in Japan und Nordamerika hat und in den USA aufwuchs. Auch die Australian Open gewann Osaka schon zweimal.

Naomi Osaka (L) und Serena Williams (R) im September 2018 beim Finale der US Open.
Erster Grand Slam - und direkt gegen ihr Idol: Naomi Osaka (L) und Serena Williams (R) im September 2018 beim Finale der US Open. © imago/PanoramiC/Antoine Couvercelle

Abseits des Tennis-Courts filmte Netflix eine eigene Doku-Serie (2019-2021) über Osaka, folgte ihr auch während der Pandemie auf Schritt und Tritt. Auf Instagram hat die Profi-Sportlerin drei Millionen Follower und zeigt sich oft in bunten Tennis-Outfits ihres Sponsoren Nike. Die Firma Mattel stellte sogar eine "Naomi Osaka"-Barbie her.

2023 wurde es jedoch ruhig um sie. Ihr erstes Kind kam auf die Welt.

Das junge Alter von 24 Jahren bei der Geburt ihrer Tochter Shai ist ungewöhnlich für eine Spitzensportlerin. Es ist nicht einmal ein Jahrzehnt lang her, dass viele Medien und Fans bei schwangeren Profi-Sportlerinnen fest mit dem Karriereende rechneten.

Ein halbes Jahr verbrachte Osaka 2023 im Mutterschutz, bevor sie sich im Januar 2024 auf der Tour zurückmeldete. Mit bemerkenswertet Offenheit. "Ein Baby zu bekommen zerstört deinen Beckenboden komplett", erklärte Osaka damals dem amerikanischen "Glamour"-Magazin.

Zwei Jahre nach Heim-Olympia: "Ich konnte mich nur seitlich aus dem Bett robben"

Die Tennisspielerin nahm im Gespräch mit der Frauen-Zeitschrift kein Blatt vor den Mund. "Ich war schockiert, weil ich nicht aus meinem Bett aufstehen konnte. Ich konnte mich nur seitlich aus dem Bett robben."

Osaka erzählte von einem "wirklich langen Prozess" - und vom Fremdeln mit ihrem Körper, der sie zuvor zu so vielen Tennis-Titeln getragen hatte.

Ihre ersten Instinkte als Athletin seien kontraproduktiv gewesen: "Für mich war meine unmittelbare Denkweise: Um [den Beckenboden] wieder aufzubauen, muss ich viele Sit-ups machen."

Dann habe sie gelernt, dass dies der völlig verkehrte Weg sei. Statt Profi-Workouts im Gym half der Tennis-Ikone nur postnatale Krankengymnastik: "Ich sollte tiefe Beckenbodenarbeit machen", sagte Osaka.

Die 27-Jährige entschied sich bewusst gegen das Stillen ihrer Tochter und für Säuglingsnahrung. "Ich habe Serenas [Williams'] Dokumentation gesehen, und ich sah sie pumpen, bevor sie auf den Platz ging, um ein Match zu spielen", zitiert ABC News die Japanerin. "Ich dachte mir: 'Das kann nicht der richtige Weg für mich sein.'"

Brutal offene Worte der beliebten Sportlerin, die ihrem Idol Williams stets hinterhergeeifert war, bis sie die erfolgreichste Tennisspielerin der Geschichte 2018 im Finale von New York bezwang.

Naomi Osaka (L) im Training mit ihrem Coach Patrick Mouratoglou (R)
Naomi Osaka (L) im Training mit ihrem Coach Patrick Mouratoglou (R), der früher auch Serena Williams begleitete. © IMAGO/Javier Garcia/Shutterstock

Williams und Osaka sind in den USA weit über ihren Sport hinaus beliebt, gehören zu den gefragtesten Werbe-Gesichtern des Landes.

"Warum müssen die ESPNs nach jeder Niederlage einen Ausschnitt clippen und hochladen?"

Wenn Osaka spricht, hat das Gesagte daher eine unheimliche Wucht. Wie am vergangenen Wochenende, als die 27-Jährige sich auf ihren Social-Media-Kanälen über ESPN empörte.

Auf Instagram schrieb sie: "Warum müssen die ESPNs und Blogs jedes Mal, wenn ich eine Pressekonferenz nach einer Niederlage gebe, einen Ausschnitt davon clippen und hochladen? Warum zeigen sie nicht meine Pressekonferenzen nach Siegen? Warum fördern sie die Erzählung, dass ich immer traurig bin?"

Tatsächlich hatte der Interview-Clip, in dem Osaka nicht nur sportlich enttäuscht, sondern psychisch total niedergeschlagen wirkt, sowohl bei Osaka als auch bei ihren Fans einen Nerv getroffen.

Schon lang vor ihrer Schwangerschaft kämpfte die Spielerin mehrfach um ihre mentale Gesundheit. Sie verheimlichte dies nie, sondern gewährte den Medien tiefe Einblicke in ihr Innenleben.

Naomi Osaka und die Medien: Ein Geben und Nehmen mit so manchem Timeout

Zwischen Osaka und der internationalen Sportpresse besteht seither eine gewisse Hassliebe. Es ist ein Geben und Nehmen - mit so manchem Timeout.

Naomi Osaka eröffnet die Olympischen Spiele von Tokio 2021 mit dem Olympischen Feuer.
Naomi Osaka eröffnet die Olympischen Spiele von Tokio 2021 mit dem Olympischen Feuer. © imago images/Chai v.d. Laage/Gladys Chai

Osaka schrieb 2021 bei der French Open weltweite Negativ-Schlagzeilen, weil sie lieber Geldstrafen an Roland Garros zahlte, als zu den obligatorischen Pressekonferenzen nach Spielende zu gehen. Diese seien schlecht für ihre mentale Gesundheit, sagte sie bloß.

"Habe nicht das Gefühl, in meinem Körper zu sein"

Das war lange vor der Geburt von Shai. Nach ihrer Babypause kämpft Osaka nun mit ganz anderen Problemen.

Im August 2024, acht Monate nach ihrer Rückkehr, beschrieb sie ein befremdliches Gefühl auf dem Platz: "Mein größtes Problem ist derzeit nicht das Verlieren. Mein größtes Problem ist, dass ich nicht das Gefühl habe, in meinem Körper zu sein", schrieb sie auf Instagram.

Shai war gerade ein Jahr alt geworden, ihre Mama schon wieder in der Weltelite ihres Sports. "Es ist ein seltsames Gefühl, Bälle zu verfehlen, die ich nicht verfehlen sollte, Bälle weicher zu schlagen, als ich mich erinnere, es früher getan zu haben", schrieb Osaka auf Instagram.

"Der Schläger sollte sich wie eine Verlängerung meiner Hand anfühlen, aber das tut er nicht." Eine erschreckende Erkenntnis für jemanden, der seit dem dritten Lebensjahr Tennis spielt.

Tennis-Champ schiebt Frust wegen langsamen "Snap Back" ihres Körpers

Im Oktober 2024 sprach Osaka dann ein weiteres sensibles Thema an, dass viele junge Mütter beschäftigt - auch außerhalb des Sport-Kosmos.

Naomi Osaka glücklich nach ihrem Sieg gegen Katerina Siniakova in Runde 2 von Wimbledon 2025.
Naomi Osaka glücklich nach ihrem Sieg gegen Katerina Siniakova in Runde 2 von Wimbledon 2025. © Kyodo News/IMAGO

"Es gab Momente in diesem Jahr, in denen ich mich wirklich für meinen Körper geschämt habe", teilte die ehemalige Weltranglistenerste auf Instagram mit, was unter anderem die Branchenseite "Tennis.com" prominent aufgriff. "Zum Beispiel, wenn ich eng anliegende Tenniskleidung tragen musste."

Osaka machte sich laut eigenen Angaben Riesen-Druck, schnell zur Vorschwargerschaftsfigur zurückzukehren. Dass dies nicht auf Anhieb gelang, fand die Tennisspielerin entsetzend - ihr Körper ließ sie gefühlt im Stich.

"Dieser Selbstvergleich tat immer weh, weil ich das Gefühl hatte, als Athletin sollte ich schneller abnehmen als die meisten."

Naomi Osaka im Oktober 2024 auf Instagram

"Andere Mütter zu sehen, die scheinbar sofort nach der Geburt ihres Babys schrumpfen" habe sie innerlich fertig gemacht, teilte die frühere Weltranglisten-Erste auf Instagram mit. "Dieser Selbstvergleich tat immer weh, weil ich das Gefühl hatte, als Athletin sollte ich schneller abnehmen als die meisten."

Die Mitte-Zwanzigjährige gestand, mit dem "überwältigenden Drang zum 'Snap Back'" gekämpft zu haben.

Der Begriff "Snap Back" ist in den USA Slang für die verbreitete gesellschaftliche Erwartung an neue Mütter, schnell zu ihrer Vorschwargerschaftsfigur zurückzukehren.

Naomi Osakas größte Kritikerin heißt Naomi Osaka

Seit ihrer Rückkehr auf die Tour im Januar 2024 hat Osaka eine Berg- und Talfahrt erlebt. Nach 15-monatiger Pause startete sie als Nummer 90 der Weltrangliste und arbeitete sich langsam wieder nach oben.

Die Saison 2024 beendete sie mit einer Bilanz von 22 Siegen zu 17 Niederlagen. Die Top 50 der Welt verpasste sie nur knapp, bevor sie wegen einer Rückenverletzung und eines gerissenen Bauchmuskels pausieren musste.

Eine wahnsinnige Leistung im Jahr nach der Geburt, könnte man meinen. Aber Osakas größte Kritikerin ist schon immer Osaka selbst gewesen. Aktuell steht sie auf Platz 59 der Weltrangliste.

"Strahle weiter, meine Liebe": Andere Profisportler-Mamas bauen Japanerin auf

"Du bist vielleicht nicht in der Lage, etwas Positives über dich selbst zu sagen, aber wir haben viele positive Dinge über dich zu sagen!", kommentierte ein Fan auf Instagram, wie das amerikanische Morgenfernsehen "Today Show" berichtete.

Auch andere Sportlerinnen mit Kindern äußerten ihre Unterstützung. Die Weltranglisten-97. Taylor Townsend, die 2021 selbst Mutter wurde, schrieb Osaka öffentlich auf Instagram: "Das ist so real! Unsere Körper sind ein Wunder! DU BIST EIN WUNDER! Strahle weiter, meine Liebe."

"Ich kann mich definitiv mit deiner Reise identifizieren. Danke, dass du sie teilst, damit andere sich gesehen fühlen."

Die frühere Spitzensportlerin Allyson Felix, die für Team USA insgesamt elf Olympische Medaillen gewann

Die amerikanische Rekord-Leichtathletin Allyson Felix, die als Läuferin elf olympische Medaillen gewann, schrieb ebenfalls einen aufmunternden Instagram-Kommentar auf Osakas Profil: "Ich kann mich definitiv mit deiner Reise identifizieren. Danke, dass du sie teilst, damit andere sich gesehen fühlen."

Nach dem zweiten Geburtstag ihrer Tochter Shai legt Osaka ihren Fokus schon wieder auf dem Tennis-Court.

Vielleicht schielt die junge Mutter ja schon auf die "Flushing Meadows", dem weltberühmten Tennis-Areal im New Yorker Bezirk Queens. Dort steigen im September die US Open, wo Osakas Aufstieg in die Weltspitze einst begann.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © IMAGO/Action Plus/John Patrick Fletcher