David Alaba könnte den FC Bayern verlassen. Das sollten auch Bayern-Fans respektieren - denn obwohl das einen Verlust für den Verein bedeuten würde, sprechen viele Punkte für die mit einem Wechsel verbundenen Chancen für ihn.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wochenlang wurde beim FC Bayern über einen möglichen Abgang von Mittelfeldregisseur Thiago diskutiert. Während hier eine endgültige Entscheidung nach wie vor aussteht, nahm in den vergangenen Tagen eine ganz andere Personalie Fahrt auf. Plötzlich steht auch Superstar David Alaba vor einem Abgang. Nach zwölf Jahren im Verein und rund zehn Jahre nach seinem Debüt in der Profimannschaft ist der Österreicher offenbar nicht um jeden Preis bereit, in München zu verlängern. Sein Abgang wäre für den FC Bayern ein harter Schlag. Aus Sicht Alabas, der vor seinem letzten ganz großen Vertrag steht, wäre ein Wechsel dagegen durchaus nachvollziehbar.

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David Alaba: Auf zwei Positionen Weltklasse

David Alaba ist neben Thomas Müller die große Konstante der letzten Dekade beim FC Bayern. Kometenhaft schoss er mit 19 Jahren nach oben und setzte sich nach einer Leihe zur TSG Hoffenheim spätestens in der Saison 2011/2012 in München fest. Als linker Verteidiger bildete er jahrelang ein kongeniales Duo mit Franck Ribéry. Alaba spielte - abgesehen von ein paar Verletzungen - eigentlich immer und sammelte beim FC Bayern so viele Titel wie kaum jemand sonst. Neunmal Deutscher Meister, sechsmal Pokalsieger – dazu der große Triumph in der Champions League 2013. Was soll da noch kommen?

Blickt man auf seine erfolgreiche Karriere in München zurück, wird klar, warum Alaba derzeit genau darüber nachdenkt, wie es für ihn weitergehen soll. Sein Standing in München ist unbestritten. Weil Alphonso Davies auf der linken Seite überzeugte, rückte Alaba in der abgelaufenen Saison in die Innenverteidigung.

Hier kann er im Spielaufbau und mit gezielten Vorstößen sogar noch mehr Einfluss auf das Spiel der Münchner nehmen, als auf dem Flügel. Mit seinen 1,80 Metern hat er zwar kein Gardemaß für einen Innenverteidiger, doch Alaba macht das durch sein überragendes Vertikalspiel und seine gleichsam energische wie disziplinierte Zweikampfführung mehr als wett. Die hohe Verteidigungslinie der Münchner kommt seinem Spiel dabei sehr entgegen, weil er so auch seine Schnelligkeit ausspielen kann. Seine Erfahrung als offensiver Linksverteidiger hilft ihm dabei im Stellungsspiel. Alaba spielte in der Zentrale so stark, dass Lucas Hernandez, teuerster Neuzugang der Münchner Vereinsgeschichte, über eine Reservistenrolle bisher nicht hinaus kam.

Der 28-Jährige hat nach erfolgreichen Jahren als Linksverteidiger nun die Chance, in der zweiten Hälfte seiner Karriere auf einer weiteren Position in der Innenverteidigung absolute Weltklasse zu werden. Das haben im modernen Fußball nur wenige geschafft.

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Letzter großer Vertrag als letzte Chance für einen Wechsel

Alabas Vertrag endet 2021. Dann ist er 29. Das zeigt, wie wichtig der nächste Vertrag für ihn ist. Natürlich kann ein Spieler seiner Klasse auch mit 33 oder 34 Jahren noch auf hohem Niveau spielen, doch das Zeitfenster für einen Wechsel zu einem europäischen Top-Klub schließt sich. Barcelona, Madrid, Liverpool und Manchester City holen in diesem Alter nur im absoluten Ausnahmefall einen neuen Spieler in den Kader. Will Alaba in seiner Karriere noch einmal für einen anderen Top-Klub auflaufen, bietet sich jetzt die Chance. Vielleicht zum letzten Mal. Da ist es nur nachvollziehbar, dass Alaba sich ernsthaft mit einem Wechsel beschäftigt.

Schon 2018 hatte Alaba im Interview mit dem österreichischen "Kurier" durchblicken lassen, dass er genau darüber nachdenkt. Angesprochen auf einen möglichen Wechsel zum Vertragsende 2021 sagte er damals: "Dass diese Entscheidung auf mich zukommen wird, ist mir bewusst. Ich fühle mich nach wie vor sehr wohl hier, kann mir aber auch vorstellen, einen anderen Weg zu gehen, den nächsten Schritt zu machen oder mir eine neue Herausforderung zu suchen. Aber diese Entscheidung lasse ich noch offen."

Gehalt ist nur einer von vielen Faktoren

Es sind eine Reihe von Faktoren, die in diese Entscheidung mit hineinspielen. Dass es allein um das Gehalt geht, wie manche Medien in dieser Woche andeuteten, ist nicht realistisch. Öffentlich hält sich Alaba inzwischen stark zurück, doch der Abwehrspieler wird sich genau anschauen, wie die Perspektive in München in den kommenden Jahren ist. Mit dem beliebten Coach Hansi Flick an der Spitze und ambitionierten Transfers wie dem von Leroy Sané hat der FC Bayern hier seine Hausaufgaben gemacht.

Gleichzeitig hat auch die Corona-Pause und die damit verbundenen finanziellen Einbußen vieler Klubs Einfluss auf die Entscheidung. Ob Top-Vereine wie der FC Barcelona schon in diesem Sommer einen teuren Transfer inklusive üppigem Gehaltspaket stemmen können, ist unklar.

Die englischen Vereine sind dagegen deutlich zahlungskräftiger. Fraglich ist jedoch, ob ein Wechsel nach England für Alaba, der Ende 2019 zum ersten Mal Vater geworden ist, infrage kommt. Gleichzeitig muss sich auch der FC Bayern fragen, ob er das Risiko eingehen will, Alaba im kommenden Jahr ablösefrei zu verlieren. Es ist also kompliziert.

Alaba ist in einer anderen Situation als Philipp Lahm

Häufig wird in diesen Tagen von vielen Bayern-Fans eine Parallele zur Situation von Philipp Lahm rund um das Jahr 2010 gezogen. Damals waren diverse Top-Klubs am Münchner Außenverteidiger interessiert. Der FC Barcelona wollte Lahm damals zum Beispiel unbedingt haben. Doch am Ende blieb der spätere Bayern-Kapitän nach längerem Nachdenken in München. Viele Fans hoffen nun, dass es Alaba ihm gleichtut und seine Karriere vollständig in München verbringt.

Es gibt jedoch einen gewaltigen Unterschied zwischen der Situation von Lahm damals und Alaba heute. Lahm war getrieben von der Idee, einmal mit seinem Heimatverein die Champions League zu gewinnen. Deshalb sagte er den Katalanen, die 2009 und 2011 die Champions League gewonnen hatten, ab.

Für Alaba ist die Situation heute eine andere. Er muss in München nichts mehr beweisen. Er hat mit Bayern alle wichtigen Titel geholt und hatte dabei einen riesigen Anteil an den Erfolgen.

Alaba hat den Luxus, frei zu entscheiden, wo es für ihn in Zukunft weitergehen soll. Entscheidet er sich am Ende für eine neue Herausforderung, sollten das – bei allem Schmerz – auch Bayern-Fans respektieren. Ich könnte diesen Schritt in dieser Phase von Alabas großer Karriere jedenfalls absolut verstehen.

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