Kevin Kuranyi spielte in seiner aktiven Karriere unter anderem für den FC Schalke und den VfB Stuttgart. Beide Mannschaften stecken derzeit im Bundesliga-Abstiegskampf. Im Exklusiv-Interview schätzt der ehemalige Stürmer die Situation bei seinen beiden Ex-Klubs ein und verrät, wer die Zukunft im DFB-Sturm sein könnte.

Ein Interview

Herr Kuranyi, zuerst die Frage: Wie geht es Ihnen? Sie haben sich Mitte Dezember bei einem Legendenspiel in Katar am Knie verletzt.

Kevin Kuranyi: Nach der OP habe ich noch viel mit der Reha zu tun, aber es wird Woche für Woche besser. Es war ein Kreuzbandriss mit Knorpelschaden. Auch das Innen- und das Außenband waren ein bisschen betroffen.

Wir wünschen weiter gute Besserung! Zur Bundesliga: Der FC Bayern ist nach dem überzeugenden Sieg im Topspiel gegen Borussia Dortmund wieder Tabellenführer der Bundesliga. Bleibt das jetzt bis zum Saisonende so?

Ich denke, dass sie mit dem neuen Trainer Thomas Tuchel auf jeden Fall oben bleiben. Er wird für frischen Wind sorgen. Man merkt, wie gut es zum Beispiel Leroy Sané getan hat, dass ein neuer Trainer gekommen ist.

Die Entlassung von Julian Nagelsmann als Trainer beim FC Bayern kam für viele überraschend. Wie haben Sie das Vorgehen gesehen?

Ich hätte den Trainer nicht gewechselt in der Situation. Aber klar, bei einem Wechsel von einem Weltklasse-Trainer zu einem anderen Weltklasse-Trainer kann man nicht viel falsch machen. Es war eine schwierige Entscheidung für die Vereinsverantwortlichen, das ganze Drumherum kann da gar nicht rund laufen. Es ist immer schwierig, wenn man einen Trainer entlässt. Noch schwieriger wird es, wenn der Trainer eigentlich erfolgreich ist. Es gab aber bestimmt andere interne Themen, von denen man vielleicht nichts weiß.

Kuranyi erwartet bald erste Probleme zwischen Salihamidzic und Tuchel

Ist Thomas Tuchel der richtige Trainer für den FC Bayern?

Ja, natürlich. Wenn man jemanden holen kann für diesen Job, dann einen Tuchel. Er bringt sehr viel Erfahrung mit und hat schon mit vielen Top-Stars zusammengearbeitet. Ein Verein wie Bayern München ist nicht einfach zu trainieren. Bald werden wir sicher die ersten Probleme sehen, wenn Tuchel mal anderer Meinung ist als Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Das kann ich jetzt schon voraussagen. (lacht)

Am anderen Ende der Tabelle stand lange ihr Ex-Klub Schalke 04. Seit dem 23. Spieltag ist der Klub, der sich unter Trainer Thomas Reis stabilisiert hat, immerhin nicht mehr Tabellenletzter. Wie sehen Sie die Chancen auf den Klassenerhalt?

Ich habe die Hoffnung, dass sie es schaffen. Reis hat bisher sehr gute Arbeit geleistet und Schalke ist in der Rückrunde stabil. Die Vorrunde war schwach und es ist schon mal ein kleines Erfolgserlebnis, da wieder rausgekommen zu sein. Es ist aber sicher keine einfache Aufgabe.

Wie sieht es mit ihrem anderen Ex-Klub, dem VfB Stuttgart, aus? Dort wurde am Montag mit Sebastian Hoeneß der vierte Trainer der Saison vorgestellt. Schaffen die Stuttgarter mit ihm den Klassenerhalt?

Der neue Trainer wird der Mannschaft guttun. Die Spieler werden neue Inhalte aufnehmen müssen. Es wird für Hoeneß aber sicherlich schwer. Ich habe mit ihm selbst in der Jugend zusammengespielt und kenne ihn persönlich gut. Es ist eine ganz harte Aufgabe, diese Mannschaft wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Dem Team fehlen Top-Spieler und Spieler mit Persönlichkeit. Das Sechs-Punkte-Spiel am Wochenende gegen Bochum wird sehr wichtig.

Wie war Hoeneß als Typ, als Sie in der Jugend zusammengespielt haben?

Er war ein Spieler, der sehr mannschaftsdienlich gespielt hat. Er ist durch seine angenehme Art mit jedem gut zurechtgekommen. Außerdem hatte er, obwohl sein Onkel Uli und sein Vater Dieter Hoeneß sehr bekannte Fußballspieler waren, keine Star-Allüren. Er ist ein sehr guter Mensch.

Kuranyi über Schalke und Stuttgart: "In den letzten Jahren ist da sehr schlecht gearbeitet worden"

Sie selbst spielten von 2001 bis 2005 in Stuttgart. Zu dieser Zeit spielte der VfB noch regelmäßig international, 2003 wurden Sie Vizemeister. Auch Schalke war zu Ihrer Zeit (2005 bis 2010) deutlich erfolgreicher. Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie sehen, dass ihre beiden Ex-Klubs aktuell wieder gegen den Abstieg spielen?

Natürlich tut es weh, die Ex-Vereine da unten in der Tabelle zu sehen. Das Problem sind die Strukturen der Vereine. In den letzten Jahren ist da sehr schlecht gearbeitet worden.

Inwiefern wurde schlecht gearbeitet?

Es wurden schlechte Personalentscheidungen getroffen. Es sind zu wenige Ex-Spieler involviert, die den Verein kennen und mit ihm erfolgreich waren. Beim FC Bayern zum Beispiel ist das anders. Dort hat man mit Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic zwei ehemalige Spieler in der Verantwortung. Der Austausch mit solchen Personen ist ganz anders. Bei Schalke hingegen ist nur noch Gerald Asamoah da. Und der darf seine Meinung nicht sagen. Der VfB Stuttgart versucht gerade, das zu ändern, aber die brauchen noch Zeit.

2010 verließen Sie die Königsblauen und wechselten zu Dynamo Moskau. Haben sie noch Kontakt zu alten Weggefährten? Gibt es einen Austausch über den Krieg in der Ukraine?

Ich habe Kontakt zu Ex-Spielern, die dort leben. Für die ist das eine schwierige Situation. Man versucht, sich als Fußballer rauszuhalten. Ich weiß, dass jeder gegen den Krieg ist.

Nachdem es seit 2006 bei der deutschen Nationalmannschaft stetig bergauf gegangen war, geht die Erfolgskurve seit der EM 2016 deutlich nach unten. Was könnten Ihrer Meinung nach die Gründe dafür sein?

Es fängt schon bei der Jugendarbeit an. Da haben andere Verbände wie Portugal, Frankreich oder Spanien aktuell die Nase vorn. Deutschland hat die letzten Jahre ein wenig verpennt und hat lange den Glauben gehabt, mit der "falschen Neun", die Trainer Pep Guardiola geprägt hat, könne man auch im DFB-Team spielen. Das hat zu einer Blockade für den klassischen Mittelstürmer geführt, von dem Deutschland schon immer gelebt hat.

Kuranyi über deutschen Weltklasse-Stürmer: "Schon, dass ich überlegen muss, ist traurig"

Sie selbst spielten 52-mal für Deutschland und erzielten dabei 19 Treffer. Lange Zeit prägte Miroslav Klose den deutschen Sturm, seit seinem DFB-Karriereende nach der WM 2014 fehlt ein klassischer Mittelstürmer von Weltklasseformat im Team. Wer ist in Ihren Augen aktuell der beste deutsche Stürmer?

Schon, dass ich überlegen muss, ist traurig. (lacht) Ich denke, dass das momentan mehr die Außenspieler machen. Aktuell fällt mir als einziger Stürmer, der regelmäßig Tore schießt, nur Niclas Füllkrug von Werder Bremen ein. Der ist zwar kein Weltklasse-Stürmer, aber immerhin ein internationaler Top-Stürmer. Der bringt das mit, was früher die anderen deutschen Angreifer ausgemacht hat. Wir hätten schon längst mehr davon haben müssen.

Füllkrug ist allerdings bereits 30 Jahre alt. Wem trauen Sie eine große Zukunft im Sturm des DFB-Teams zu?

Es gibt einen von Mainz 05: Nelson Weiper. Der hat immerhin schon ein Tor in der Bundesliga geschossen, kann aber eigentlich noch in der U19 spielen. Der Junge bringt alles mit, der könnte einer werden.

Kuranyis Sohn Karlo könnte "einer für die Bundesliga werden"

Ihr Sohn Karlo ist 17 Jahre alt und spielt als Stürmer bei der U19 des VfB Stuttgart. Wie macht er sich dort?

Er macht es sehr gut, er bringt viel mit. Er hat durch den Namen, den ich im Laufe der Jahre erarbeitet habe, schwer zu tragen. Wenn er bodenständig bleibt, an sich glaubt und hart arbeitet, könnte er aber einer für die Bundesliga werden. Aber es wird ein harter und langer Weg. Ich helfe ihm auch beim Training, damit er es packt und hoffentlich besser als sein Vater wird. Dann hat die Nationalmannschaft keine Sorgen mehr. (lacht)

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Er wurde bereits von der U20-Nationalmannschaft von Panama eingeladen. Wenn er die Wahl hätte: Würde er dann für Deutschland oder für Panama spielen?

Er wurde damals nominiert, konnte allerdings nicht anreisen. Wenn er die Wahl hätte, würde er sich natürlich für Deutschland entscheiden.

Ihr ehemaliger Stuttgarter Kollege Andreas Hinkel sitzt bei der belgischen Nationalmannschaft als Co-Trainer von Domenico Tedesco auf der Bank. Haben Sie auch Pläne, in Zukunft mal bei einem Verein oder Verband zu arbeiten?

Ich glaube, das ist nichts für mich. Ich bin eher ein freier Vogel und glücklich mit meiner Spielerberater-Agentur. Da bin ich sehr viel unterwegs und fühle mich wohl. Ich freue mich, dass Ex-Spieler – Hinkel, Hoeneß und ich sind mit der U17 des VfB Stuttgart gemeinsam Deutscher Meister geworden – es als Trainer sehr gut machen.

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Zur Person: Kevin Kuranyi ist ein ehemaliger Fußballprofi. In seiner Karriere spielte der Stürmer für den VfB Stuttgart, den FC Schalke 04, Dynamo Moskau sowie die TSG Hoffenheim. Für die deutsche Nationalmannschaft absolvierte der 41-Jährige 52 Länderspiele und wurde 2008 Vize-Europameister. Seit seinem Karriereende im März 2017 ist Kuranyi als Spielerberater und TV-Experte tätig.
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