Mainz schießt in Freiburg ein Abseitstor, doch das fällt weder dem Schiedsrichterteam noch dem VAR auf. Der Referee gibt diesen Fauxpas anschließend bemerkenswert offen zu. Eine technische Neuerung wird wahrscheinlich dafür sorgen, dass es einen solchen Fehler bald nicht mehr gibt.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Zu einem ungewöhnlichen Ereignis kam es am Samstagnachmittag in der Begegnung zwischen dem SC Freiburg und dem 1. FSV Mainz 05 (1:1). 31 Minuten waren gespielt, da schlug der Mainzer Aaron aus dem Mittelfeld eine Flanke in den Strafraum der Gastgeber. Sein Mitspieler Dominik Kohr köpfte den Ball an der Torraumgrenze auf den Kasten der Hausherren, Torwart Mark Flekken wehrte den Ball geistesgegenwärtig ab, aber nicht weit genug.

Die Kugel kam wiederum zu einem Mainzer, nämlich zu Alexander Hack, der Flekken zur nächsten Glanztat zwang, ehe er den Ball beim zweiten Versuch im Gehäuse der Breisgauer versenkte. Die Gäste jubelten, während die Freiburger bei Schiedsrichter Deniz Aytekin ihren Protest anmeldeten.

Sie hatten ein strafbares Handspiel von Dominik Kohr gesehen, den Hack bei seinem ersten Torschussversuch ungewollt als Bande benutzt hatte. Womöglich reklamierten sie außerdem ein Foulspiel von Moussa Niakhaté an Philipp Lienhart nach Aarons Flanke. Oder eines von Hack an Keeper Flekken.

Nichts davon stellte sich als Regelwidrigkeit heraus, weder das vermeintliche Handspiel noch die beiden Körpereinsätze. Aber Video-Assistent Sascha Stegemann war einen Moment mit der obligatorischen Überprüfung des Treffers beschäftigt. Am Ende gab er Aytekin sein Okay – allerdings zu Unrecht.

Aytekin ist offen und aufrichtig

Denn bei Kohrs Kopfball hatte sich Hack in einer Abseitsposition befunden, und die wurde in dem Moment strafbar, als Flekken den Ball zu ihm abwehrte. Eine solche Parade, regeltechnisch eine sogenannte Torverhinderungsaktion, hebt eine Abseitsstellung nämlich nicht auf.

Wenn der Ball dadurch zu einem Spieler gelangt, der sich bereits beim Torschuss im Abseits befand, dann muss dieses Abseits geahndet werden. Doch weder dem Schiedsrichterteam auf dem Platz noch dem VAR fiel auf, dass Hack der Torlinie näher war als der vorletzte Freiburger Abwehrspieler.

Dieses Versäumnis räumte Referee Aytekin im Interview des Senders Sky offen und ehrlich ein. Bei der Überprüfung durch VAR Stegemann habe "der Fokus komplett auf Handspiel" gelegen, sagte er. Das sei ja auch der Anlass für die Freiburger Proteste gewesen.

Die Abseitsstellung habe man weder auf dem Rasen noch in der Videozentrale registriert, obwohl Torschütze Hack beim Kopfball von Kohr im Abseits gewesen sei und sich durch die Abwehr von Flekken keine neue Spielsituation ergeben habe. "Es ist uns durchgerutscht", bedauerte Aytekin. Das sei "ärgerlich, das Tor hätte nicht zählen dürfen".

Sogar Christian Streich ist nachsichtig

In einer solch unangenehmen Situation vor die Kamera zu treten, unumwunden einen Fehler einzugestehen und sich dabei gleichzeitig vor sein Team zu stellen, zeugt von Größe. Aytekins Ruf bei den Bundesligaklubs ist glänzend, auch weil er neben seinen herausragenden Leistungen auf dem Feld die Zunft der Schiedsrichter in der Öffentlichkeit immer wieder sehr gut vertritt und dabei auch vor klaren Worten nicht zurückschreckt.

Sein Kollege Sascha Stegemann, ebenfalls FIFA-Referee, ist ein international erfahrener und geschätzter Video-Assistent. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem solchen Gespann ein derartiger Blackout unterläuft, ist extrem gering. Sicherlich auch deswegen hielt sich der Ärger selbst bei Christian Streich in Grenzen.

Der Freiburger Trainer sagte in der Pressekonferenz, "solche Fehler" kämen nun einmal vor. "Man denkt dann immer, es kann doch nicht sein, dass so was passiert, aber man selbst hat ja auch schon solche Fehler gemacht und kann sich nachher nicht erklären, warum."

Torschütze Hack sei zwar so positioniert gewesen, "dass man logisch an Abseits denkt", fand Streich. "Aber dadurch, dass die Hand überprüft wurde, haben sie das vergessen. Das ist dann so." Er finde es gut, dass Aytekin "sich einfach entschuldigt hat und sich gewissermaßen für seine Kollegen hingestellt hat", lobte der Coach. "So macht man das."

FIFA testet halbautomatische Abseitstechnologie

Und womöglich ist der Zeitpunkt nicht fern, zu dem ein solcher – in jeder Hinsicht menschlicher – Fehler nicht mehr geschieht, weil die Technik ihn auffängt. Bei der Klub-Weltmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die am Samstag mit dem Finale zwischen dem FC Chelsea und Palmeiras São Paulo zu Ende ging, testete die FIFA jedenfalls erneut die halbautomatische Abseitstechnologie.

Schon beim Arab Cup im Dezember des vergangenen Jahres war sie zum Einsatz gekommen. "Halbautomatisch" bedeutet: Das System erkennt in Echtzeit eine Abseitsstellung als solche; ob das Abseits strafbar ist, muss in manchen Fällen aber weiterhin das Schiedsrichterteam entscheiden.

Bei dieser Abseitstechnologie werden, wie die FIFA erklärt, zehn zusätzliche Kameras am Stadiondach installiert, die sowohl den Ball als auch jeweils 18 Punkte am Körper jedes Spielers erfassen. Damit soll sich deren Position auf dem Feld zu jeder Zeit exakt bestimmen lassen.

Die neue Technologie soll wesentlich exakter sein als die Abseitsbestimmung anhand von Frames und Perspektiven der Fernsehkameras mit dem Anlegen der kalibrierten Linien durch den VAR. Eine Abseitsstellung soll sofort und automatisch an den Video-Assistenten gemeldet werden, der diese Information dann verarbeiten kann, einschließlich einer Weitergabe an den Referee.

Wird die neue Abseitstechnik auch in der Bundesliga eingeführt?

Wenn die Technik vernünftig funktioniert, dürften die Abseitsüberprüfungen nach Toren also erheblich rascher vonstattengehen. Ein langes Warten bei knappen Abseitsentscheidungen käme dann kaum mehr vor. In einer Situation wie jener in Freiburg würde der VAR vom System ein Signal erhalten, dass ein Spieler im Abseits war und den Ball gespielt hat.

Bei Spielern wiederum, die in einer Abseitsposition den Ball nicht berühren, aber eventuell einen Gegner beim Kampf um den Ball beeinträchtigen, würde die Abseitsstellung als solche gemeldet, und der Unparteiische müsste wie bisher selbst darüber befinden, ob eine Beeinflussung vorliegt.

Für die Schiedsrichter dürfte diese Technologie eine ähnlich wertvolle Hilfe sein wie die Torlinientechnik. Die FIFA plant, sie auch bei der Weltmeisterschaft in Katar Ende des Jahres einzusetzen, dann sollen die Kameras sogar bis zu 29 Punkte an den Körpern der Spieler erfassen können.

Wenn alles funktionieren sollte wie vorgesehen, dürften auch wenigstens die großen Ligen die halbautomatische Abseitstechnologie einführen. Der früheste Zeitpunkt für die Bundesliga wäre der Beginn der Saison 2023/24.

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