Deutschland ringt Frankreich im Viertelfinale der EM 2025 nieder. Entscheidend waren neben Ann-Katrin Berger Qualitäten, die die DFB-Frauen schon länger auszeichnen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Ann-Katrin Berger in der 103. Minute zum Rückwärtshechtsprung ansetzte, schien die Zeit für einen Moment stehen zu bleiben. Es schien fast unwirklich, wie lang die deutsche Torhüterin nahezu in der Luft schwebte und wie sehr sie ihren Körper strecken konnte.

Gerade so gelang es ihr, mit der Hand den Ball zu erreichen, der auf dem Weg war, Deutschland den Gnadenstoß zu verpassen und Frankreich ins Halbfinale zu schicken. Doch Berger kratzte den Ball spektakulär von der Linie. Eine Parade wie der Auftritt der DFB-Frauen: Pure Mentalität, purer Willen und die Fähigkeit, sich gehörig zu strecken.

Berger hatte viele Szenen in diesem Spiel, in denen sie Deutschland im Spiel hielt. Sie verwandelte einen Elfmeter und hielt zwei. Damit ist sie zweifellos die Heldin einer besonderen Geschichte, die das Team in langer Unterzahl schrieb. Vor allem aber war sie abermals mit ihrer unaufgeregten Art ein sicherer Rückhalt – nahezu ein Eisblock in der deutschen Defensive, der Nervosität nur aus Erzählungen kennt.

Was umso wichtiger war, weil Christian Wück auf mehreren Positionen Anpassungen vornahm. Kathrin Hendrich, Franziska Kett und Giovanna Hoffmann rückten in die Startelf, Janina Minge eine Position nach vorn ins Mittelfeld und Sarai Linder in die Rechtsverteidigung. Das System war nun ein 4-3-3 – vermutlich auch, um Frankreich zu spiegeln und sie mit viel Physis zu verunsichern.

Ein Start zum Haareraufen: DFB-Frauen reagieren nach Kräften

Ob die Umstellungen des Bundestrainers sinnvoll waren, lässt sich aber kaum seriös bewerten. Denn schon nach wenigen Minuten unterlief Kathrin Hendrich ein kaum zu erklärender Fehler. Weil sie Griedge Mbock an den Haaren zog, spielte Deutschland fortan in Unterzahl – und der ursprüngliche Plan musste abermals angepasst werden.

Im 4-4-1 lautete die Devise nun: Kompakt verteidigen und auf Umschaltsituationen und Standards hoffen. Ein solcher brachte immerhin den Ausgleich. Deutschland zeigte eine Qualität, die das Team schon länger auszeichnet: Lauf- und Einsatzbereitschaft waren da, man bot den Französinnen einen aufopferungsvollen Kampf und machte ihnen so das Leben schwer.

Auch und vielleicht gerade in Unterzahl fiel jedoch abermals auf, wie wenig klare Abläufe es im Team gibt. Das bedeutet nicht, dass die Erwartungshaltung sein sollte, Frankreich mit einer Frau weniger zu kontrollieren. Aber eine klarere Ballbesitzstruktur hilft vor allem bei solchen Rückschlägen, besser damit umgehen zu können – und das eigene Spiel nicht zu intensiv sowie kraftraubend werden zu lassen.

Darauf konnte man nicht zurückgreifen und so beschränkte sich die deutsche Elf auf lange Bälle und den Versuch, schnell auf Klara Bühl und Jule Brand umzuschalten. Die Bälle waren oft schnell weg und so wurde das Spiel extrem aufwändig für Deutschland – nur 121 Pässe kamen an (51 Prozent Erfolgsquote). Giovanna Hoffmann war dabei häufig das Ziel, weil sie als eine der wenigen deutschen Spielerinnen etwas Ruhe reinbringen konnte, indem sie auch mal Bälle festgemacht hat.

Frankreich verschont größte deutsche Schwachstelle – zunächst

Frankreich wiederum machte sich das Leben auch selbst schwer. Denn grundsätzlich hatten sie in Überzahl die richtige Idee, die Umsetzung war aber nicht gut. Die Französinnen versuchten es über die Flügel, wo die DFB-Frauen in den vergangenen Spielen immer einige Chancen zugelassen haben.
Das lag manchmal an individuellen Fehlern im Stellungsspiel, häufiger aber an einer mangelhaften gruppentaktischen Positionierung. Die Außenverteidigerinnen wurden nicht ausreichend unterstützt, die Schnittstellen zwischen den Verteidigerinnen zu groß und auch die Sechserinnen schafften es nicht, die Halbräume zu verteidigen.

Frankreich hatte das auf dem Schirm, setzte dann aber eher auf träge Einzelaktionen wie Dribblings, statt sich mit Tempo in den Strafraum zu kombinieren. Dabei hatte gerade das Abseitstor kurz vor der Halbzeit gezeigt, dass es mit schnellen Kombinationen besser funktionieren könnte.

Die deutsche Verteidigung wird zum Matchwinner

Stattdessen aber trug Frankreich mit seiner langsamen Spielweise dazu bei, dass Deutschland einen Abnutzungskampf starten konnte. Mit überragenden Einzelleistungen von beispielsweise Franziska Kett, der früh eingewechselten Sophia Kleinherne und allen voran Janina Minge gelang es den DFB-Frauen, den Gegner in viele Zweikämpfe zu verwickeln.

Eine Leistung, die kaum hoch genug bewertet werden kann. Keinen Meter des Spielfelds gab das deutsche Team kampflos her, die Unterstützung für die Mitspielerinnen war fast immer gegeben. Während Frankreich es nicht schaffte, die Räume auf der ballfernen Seite zu bespielen, die die Überzahl ihnen brachte, arbeitete sich Deutschland zunehmend in diese Partie.

Dass ausgerechnet die Defensive zum Matchwinner wird, die zuvor zu Recht häufig kritisiert wurde, hatten vor diesem Viertelfinale nicht viele auf dem Schirm. Frankreich kam nicht zu vielen hochkarätigen Chancen.

Deutschland ringt Frankreich mit Physis nieder

Die Veränderungen, die Christian Wück vornahm, waren in der Theorie interessant. Minge als Staubsauger auf der Sechserposition, um ebenjene Halbraum-Schwächen der Doppelsechs abzufedern, die in der Gruppenphase deutlich wurden, war eine logische Konsequenz. Es wäre spannend gewesen, sie länger in dieser Rolle zu sehen, aber schon in der Anfangsphase wurde deutlich, dass die sehr physisch orientierte Achse aus Minge, Hoffmann, Sjoeke Nüsken und Elisa Senß das Potenzial hat, Frankreich so richtig zu nerven.

Auch Kett zeigte, dass es vielleicht nicht die richtige Entscheidung war, mit Sarai Linder als Linksverteidigerin ins Turnier zu gehen. Lange Zeit bissen sich die Französinnen die Zähne an ihr aus, bis dann die Müdigkeit einsetze und sie schließlich mit Krämpfen ausgewechselt wurde. Sophia Kleinherne zeigte ebenfalls eine starke Defensivleistung, was die Frage aufwirft, warum sie bisher so gar keine Rolle gespielt hat. Sie alle empfahlen sich für einen weiteren Einsatz im Halbfinale gegen Spanien.

Ohnehin zeigte der fast schon heroische Kampf gegen Frankreich, dass Deutschland sich unter Wück am wohlsten fühlt, wenn der Gegner das Spiel machen muss und man sich selbst auf das Verteidigen und Umschalten konzentrieren kann. Eine Erkenntnis, die man nicht nur positiv sehen kann. Denn in ihr stecken eben strukturelle Schwächen, die es nach diesem Turnier aufzuarbeiten gilt.

DFB-Frauen mit wichtigem Signal fürs Halbfinale

Für den Moment aber kann man beim DFB aufatmen. Es gibt nämlich Abende, an denen darf es egal sein, was taktisch nicht gut läuft. So ein Abend war dieses Spiel. Und es kann in der Tat auch ein Wendepunkt bei einer EM werden, die bisher und eigentlich ja auch gegen Frankreich unrund lief.
Deutschland aber konnte dem trotzen und Frankreich schließlich im Elfmeterschießen besiegen. Das kann beflügeln und nach innen und außen ein wichtiges Signal sein. Zumal der Halbfinaleinzug etwas ist, was diesem Team im Vorfeld nur von wenigen ernsthaft zugetraut wurde – gerade mit Blick auf die schweren Gegner in der Gruppe und im Viertelfinale.

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Zwischendurch stellte man sich bei den DFB-Frauen die Frage, wie weit ein fußballerisch limitiertes Mentalitätsmonster kommen kann. Bisher ist die Antwort: Halbfinale. Endgültig ist diese aber nicht. Auch Spanien könnte sich durchaus schwertun mit den besonderen Qualitäten, die Deutschland mitbringt – und mit Ann-Katrin Berger, dem fliegenden Eisblock.

Teaserbild: © IMAGO/ActionPictures