Eine Expertengruppe des UN-Menschenrechtsrates hat aufgrund des Gaza-Krieges den Ausschluss Israels vom internationalen Fußball gefordert. Der Völkerrechtler Prof. Björn Schiffbauer ordnet die Vorwürfe gegen Israel ein und vergleicht die Situation mit Russland.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Israel sollte wegen des militärischen Vorgehens im Gaza-Krieg vom internationalen Fußball ausgeschlossen werden - diese Forderung stellte in der vergangenen Woche eine vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) eingesetzte Expertengruppe und sorgte damit für weltweite Schlagzeilen.

Gerichtet war die Forderung an den Fußballweltverband Fifa und den europäischen Verband Uefa. Einem Bericht der "Times" zufolge könnte die Uefa schon in dieser Woche über einen Ausschluss Israels abstimmen, es soll im Exekutivkomitee eine große Mehrheit für einen Ausschluss geben.

Sollte die Uefa der Forderung der UN-Expertengruppe folgen, dürfte die israelische Nationalmannschaft nicht mehr an der Qualifikation für die WM 2026 teilnehmen. Israels Meister Maccabi Tel Aviv, der in der Europa League auf den VfB Stuttgart und den SC Freiburg trifft, dürfte nicht mehr antreten. Aber wie realistisch ist ein Ausschluss Israels tatsächlich?

"Es ist schwer zu sagen, weil es eine politische Entscheidung ist. Es gibt sicherlich politische Argumente dafür und dagegen, wenn man dabei auch das Völkerrecht betrachtet", erklärt Prof. Dr. Björn Schiffbauer, Experte für Sport- und Völkerrecht, im Gespräch mit unserer Redaktion: "Im Ergebnis würde ich sagen, wenn man das Völkerrecht als Argument für einen Ausschluss heranzieht, kann eine Ausschlussentscheidung vertretbar sein. Sie ist aber nicht zwingend."

Uefa und Fifa suspendierten Russland 2022, das IOC ein Jahr später

Zum Vergleich kann der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Sport herangezogen werden. Die Uefa und die Fifa suspendierten das Land im Februar 2022 wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Das IOC schloss russische Sportlerinnen und Sportler im Jahr darauf von den Olympischen Spielen aus und hält diesen Ausschluss im Gegensatz zum Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) weiter aufrecht.

"Darüber wurde damals ebenso heiß diskutiert. Ich habe die These vertreten, dass der Ausschluss durch das IOC gerechtfertigt war, wenn nicht sogar geboten. Ich habe das damit begründet, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine ein evidenter Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Russland verletzt bis heute das Aggressionsverbot, eine Norm sogar des zwingenden Völkerrechts", sagt der Völkerrechtler Schiffbauer, der an der Uni Rostock lehrt.

Auch ein Völkermord, wie ihn die UN-Expertenkommission Israel in Gaza vorwirft, ist ein Verstoß gegen das zwingende Völkerrecht. Aus rein juristischer Sicht ist es allerdings schwierig zu beurteilen, ob in Gaza tatsächlich ein Völkermordtatbestand erfüllt wird.

"Dafür müssen nicht nur spezifische Handlungen vorliegen, von denen man wahrscheinlich ausgehen kann, dass sie in Gaza von israelischen Streitkräften verübt werden. Es braucht darüber hinaus eine spezifische Völkermordabsicht. Das ist eine Absicht, die darauf gerichtet ist, eine geschützte Gruppe, hier die palästinensische Bevölkerung, ganz oder in Teilen zu vernichten. Und die Maßstäbe für diese Absicht sind sehr, sehr hoch. Die lassen sich nicht so leicht bemessen, sind hier jedenfalls nicht evident erfüllt", erklärt Schiffbauer.

Die Fifa hat sich in ihrer Satzung dem Völkerrecht verpflichtet

Grundsätzlich gilt, dass Sportverbände völkerrechtlichen Regelungen nicht unterworfen sind. Das Völkerrecht regelt die internationalen Beziehungen von Staaten, für Verbände wie Fifa oder Uefa gilt eigentlich das private Verbandsrecht.

Da Athletinnen, Athleten und Mannschaften aber gerade bei Olympischen Spielen und internationalen Turnieren ihre jeweiligen Staaten repräsentieren, werden zur Legitimierung eines möglichen Ausschlusses völkerrechtliche Umstände in die Entscheidung mit einbezogen. Viele Sportverbände haben sich ohnehin dem Völkerrecht teilweise verpflichtet, die Fifa beispielsweise hat den internationalen Menschenrechtsschutz in ihre Satzung aufgenommen.

Weshalb man das Völkerrecht durchaus als Argument heranziehen könne, sollte die Uefa sich zu einem Ausschluss Israels entscheiden, so Schiffbauer. So evident wie im Fall von Russland ist die Verletzung des zwingenden Völkerrechts nach Einschätzung des Experten aber nicht. Ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), das Südafrika gegen Israel wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention angestrengt hat, läuft noch.

Handelte der UN-Menschenrechtsrat jenseits seiner Kompetenzen?

Dass die Expertengruppe des UN-Menschenrechtsrats vor diesem Hintergrund eine so klare Empfehlung abgegeben und die Fußballverbände unter Druck gesetzt hat, ist zumindest überraschend. Zumal der Menschenrechtsrat als Nebenorgan der Vereinten Nationen eigentlich keine Beziehungen zu internationalen Sportverbänden hat.

"Es ist für mich ein krasser Widerspruch, dass dieselbe Person, die sich für russische Athletinnen und Athleten bei Olympia eingesetzt hat, nun die Uefa auffordert, israelische Teams auszuschließen."

Schiffbauer über Rechswissenschaftlerin Alexandra Xanthaki

"Ich meine, vorsichtig ausgedrückt, dass der Menschenrechtsrat mit seiner Empfehlung jenseits seiner Kompetenzen gehandelt haben dürfte. Mit anderen Worten: Die Vereinten Nationen sollten sich eigentlich nicht in die Angelegenheiten der Sportverbände einmischen. Das sehe ich als völkerrechtliches Problem", sagt Schiffbauer.

Verwundert ist der Jurist auch, dass unter anderem die griechische Rechtswissenschaftlerin Alexandra Xanthaki die Stellungnahme zu verantworten hat. Xanthaki hatte im September 2022 in einem öffentlich einsehbaren Schreiben den damaligen IOC-Präsidenten Thomas Bach aufgefordert, russische und belarussische Athletinnen und Athleten nicht von den Olympischen Spielen auszuschließen.

"Es ist für mich ein krasser Widerspruch, dass dieselbe Person, die sich für russische Athletinnen und Athleten bei Olympia eingesetzt hat, nun die Uefa auffordert, israelische Teams auszuschließen", sagt Schiffbauer.

Egal wie die Entscheidung ausfällt, die Diskussionen werden weitergehen

Die bevorstehende Entscheidung der Uefa dürfte von diesen Umständen allerdings nicht beeinflusst werden. Sollte die Uefa israelische Teams ausschließen, würde die Fifa wohl bald folgen. Auch das IOC könnte sich in der Folge dazu entschließen, israelische Athletinnen und Athleten von den Olympischen Winterspielen 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo auszuschließen. Diese könnten dann höchstens unter neutraler Flagge starten.

Sollten sich die Verbände gegen einen Ausschluss Israels entscheiden, könnte dies wiederum Russland auf den Plan rufen. Russische Lobbyisten könnten dann auf die Völkermord-Vorwürfe gegen Israel verweisen und versuchen, damit die eigenen Verbrechen zu relativieren und auf die Wiederaufnahme in den internationalen Sport zu pochen.

Empfehlungen der Redaktion

Die Entscheidung über einen Ausschluss Israels, die die Sportverbände wohl bald treffen werden, ist zweifellos schwierig. Und egal wie sie ausfallen wird, die Diskussionen werden weitergehen.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Björn Schiffbauer lehrt an der Universität Rostock Öffentliches Recht, Europäisches und Internationales Recht. Als Experte für Sportrecht und Völkerrecht beschäftigt er sich mit den internationalen Schnittstellen zum Sport und hat unter anderem das Buch "Menschenrechte und Werte im Sport" herausgegeben.

Verwendete Quellen

  • Telefonisches Interview mit Prof. Dr. Schiffbauer