Harry Kane hat endlich seinen ersten großen Titel eingefahren, der Gewinn der deutschen Meisterschaft ist für den 31-Jährigen wie eine Erlösung – und die späte Genugtuung für viele Jahre voller Hohn und Spott.

Eine Analyse
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"Every little thing's gonna be alright", heißt es in Bob Marleys Song "Three little birds" und wer weiß: Vielleicht haben die Harry Kanes Teamkollegen den Song ja mit ein wenig Hintergedanken rausgekramt für die kleine, aber offenbar recht feine Meisterfeier am späten Sonntagabend.

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Der FC Bayern ist zum 34. Mal Deutscher Meister, ein Teil der Mannschaft hatte sich zur Feier des Tages in einem Münchener Nobelrestaurant versammelt, um nicht einzeln und zu Hause auf der Couch zu sitzen, sollte Bayer Leverkusen in Freiburg den entscheidenden, letzten Fehler begehen. Und um mit Kane zusammen zu feiern.

Denn jetzt ist tatsächlich alles gut geworden für einen der besten Fußballspieler der Welt, ganz so wie es Marley besingt - und wie Kane selbst es mit seinen Kollegen in der Karaoke-Version zum Besten gab. Für Harry Kane, 31 Jahre alt, schließt sich endlich ein Kreis.

Die Erlösung für Harry Kane

Oft genug war er ein Champion für sich alleine. Neunmal wurde Kane schon Torschützenkönig in unterschiedlichen Wettbewerben, in der Premier League, in der Bundesliga, in der Champions League, bei Welt- und Europameisterschaften. Nummer zehn dürfte bei fünf Toren Vorsprung in der Torjägerliste der Bundesliga in rund zwei Wochen folgen.

Zu Hause in England haben sie ihm den Ritterorden verliehen für seine Verdienste fürs Vaterland. Aber ein Champion als Teil einer Mannschaft: Das war Harry Kane bis Sonntag noch nie.

Unglaublich eigentlich angesichts der gigantischen Zahlen, die Bayerns Mittelstürmer in den 15 Jahren als Profi angehäuft hat. 742 Spiele hat Kane absolviert, dabei sagenhafte 475 Tore erzielt. In der abgelaufenen Saison hat er mit 36 Ligatoren den Goldenen Schuh gewonnen. Aber eben noch kein einziges Mal einen großen Titel mit einer Mannschaft.

Auch deshalb dürfte dieser späte Triumph mehr sein als "nur" eine Genugtuung und etwas Schadenfreude den gewiss nicht wenigen Kritikern gegenüber. Sondern eine regelrechte Erlösung.

Bayern-Boss Dreesen: "Kane kann Titel"

"We are the champions" postete Kane bei Instagram unter ein Video, das ihn beim Singen des "Queen"-Klassikers zeigt. "Von Herzen gönnen wir alle diesen Titel nicht zuletzt Harry Kane, der bereits sagenhafte 80 Tore für uns erzielt hat und der allen gezeigt hat: Kane kann Titel", kommentierte unter anderem Bayern-Boss Jan-Christian Dreesen darunter.

Fast wirkte es ja so, als ginge Kanes Titelfluch – bei seinem Heimatklub Tottenham Hotspur jahrelang gepflegt – auch bei den Bayern nahtlos weiter. In Kanes erster Saison in München endetet die elfjährige Dominanz der Bayern in der Bundesliga, flog der Rekordmeister im Pokal und in der Champions League raus.

Dann gab es auch in dieser Spielzeit herbe Enttäuschungen, wieder im DFB-Pokal, dann vor ein paar Wochen in der Königsklasse gegen Inter. Kanes Tränen nach dem Aus in San Siro dokumentierten den enormen Druck, der sich Bahn brach. Die Gefahr, nach verlorenen Finals mit der englischen Nationalmannschaft (in EM-Endspielen) und mit den Spurs (in der Champions League), für immer ein Unvollendeter zu bleiben, war da immer noch real.

Größtes Lob von Uli Hoeneß

"Keiner hat es mehr verdient als er", sagte Bayerns Patron Uli Hoeneß neulich in einem "Sky"-Interview und schob die höchste Auszeichnung hinterher, die Hoeneß einem seiner Spieler machen kann. "Er kämpft, er arbeitet, er schießt unglaublich viele Tore, aber er arbeitet auch für die Mannschaft. Man spürt, dass er unbedingt diesen Titel gewinnen will."

Den Malus des ewigen Verlierers - ausgerechnet als wichtiger Teil eines Klubs wie des FC Bayern - hat Kane nun abgelegt. Und damit auch jene verstummen lassen, die ihm in den letzten Jahren zugesetzt hatten. "Es gibt viele Leute, die im Verlauf meiner Karriere nur über den Fakt sprechen, dass ich noch keinen Titel gewonnen habe. Es wäre schön, ein paar Leute zum Schweigen zu bringen", sagte Kane vor einigen Wochen. Auch dieses Thema hat sich nicht nur erledigt, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt.

Selbst die ansonsten nicht eben zimperliche englische Presse huldigt dem Kapitän der Three Lions. "Kane you believe it", schrieb die "Sun". "Das sollte all die Idioten zum Schweigen bringen, die behaupten, Harry Kane habe noch nie etwas gewonnen", ließ der "Telegraph" wissen und die BBC verwies noch einmal auf Kanes Arbeitsethos und -moral: "Trotz aller Tore und individuellen Auszeichnungen wurde Harry Kane schon lange dafür kritisiert, dass er nie einen Pokal gewonnen hat. Nach sechs verlorenen Endspielen hat sich die Beharrlichkeit des bescheidenen, aber unerbittlichen Torjägers ausgezahlt!"

Ist das jetzt erst der Anfang?

Man kann sich in etwa vorstellen, wie die "richtigen" Feierlichkeiten am Rande des letzten Heimspiels der Bayern am kommenden Samstag ausfallen werden. Harry Kane wird in den Mittelpunkt rücken, hoffentlich dann ein letztes Mal. Für andere wie Thomas Müller, der seine 13. Meisterschaft und seinen 33. Titel mit den Bayern begeht, ist das ja alles längst Routine.

Wobei: Müller läuft am Samstag ein letztes Mal in seinem Stadion vor seinen Fans auf, zumindest im Trikot der Bayern. Womöglich wird das Ballyhoo um den 35-Jährigen noch größer als um Kane. Den kann das eigentlich nur freuen: Lange genug hat es gedauert mit dem ersten großen Titel, bis endlich alles doch noch gut geworden ist. Und vielleicht ist das ja auch erst der Anfang für Harry Kane.

Verwendete Quellen: