Das Aus im WM-Viertelfinale ist kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck einer jahrelangen Tendenz: Wie beim 0:2 gegen Paris Saint-Germain fehlt immer wieder der Killer-Instinkt in entscheidenden Momenten. Sportvorstand Max Eberl darf die Situation nicht mehr schönreden und muss die Realitätsverweigerung ablegen.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ja, Bayern München und Borussia Dortmund sind im Viertelfinale ausgeschieden. Aber die Klub-Weltmeisterschaft entschädigt die zwei Bundesligisten großzügig: Umgerechnet um die 50 Millionen Euro hat ihnen die Teilnahme am US-Turnier gebracht. Mit der Finanzspritze bekommen ihre Kader die offenbar notwendige Injektion in der Transferperiode. Indes: Eines ist nicht käuflich.

Mehr News zum Thema Fußball

Und das ist: Killer-Instinkt. Wenn das Spiel Spitz auf Knopf steht, fehlt beiden Mannschaften eine Eigenschaft, die große Teams von großartigen Teams unterscheidet. In der Fußballersprache redet man dann von den "letzten zehn Prozent, die man rauskitzeln muss". Als Bayern am Samstag gegen PSG gekitzelt wurde, kam da nicht mehr viel. Und schon gar keine zehn Prozent.

Zugegeben, die Bayern spielten gut und etliche Torchancen gegen Paris Saint-Germain heraus. Aber in entscheidenden Momenten verdaddelt Harry Kane im Mittelfeld den Ball (vorm 0:1) oder wackelt Serge Gnabry orientierungslos durch den eigenen Strafraum (vorm 0:2). Mit solchen Schnitzern hat man gegen den aktuellen Champions-League-Sieger keine Chance.

Wiederholtes Scheitern in DFB-Pokal und Champions League

So bleibt Bayern trotz Top-Prämie nur eine deprimierende Bilanz. In fünf WM-Spielen gelang nur ein einziges zu Null, und das beim 10:0 gegen die Halbprofis von Auckland City. Den einen Kantersieg abgezogen, bedeutet das: im Schnitt 1,5 Gegentore pro Spiel. 40 Prozent aller Spiele gingen verloren. Das ist nicht Bayern-like und passt zur jahrelangen Tendenz.

Seit dem Champions-League-Sieg 2020 kein Halbfinale im DFB-Pokal mehr und nur ein einziges in der Königsklasse: Das ist beschämend für einen Kader mit dem Marktwert von fast einer Milliarde Euro (exakt 892 Millionen Euro) und mit Personalkosten jenseits des Vorstellbaren. Vier Deutsche Meisterschaften können den ambitionierten Klubbossen nur ein schwacher Trost sein.

Denn zu viele Ergebnisse, die in der vergangenen Saison zwischendurch passierten, zeichnen ein erschreckendes Bild: 0:3 gegen Feyenoord Rotterdam, 1:1 gegen Celtic Glasgow, 1:2 und 2:2 gegen Inter Mailand - sogar der brave "Kicker" verlangt "zwingend eine rigorose Aufarbeitung". Sportvorstand Max Eberl dürfe mit seiner Schönrednerei ("fehlten nur Details") nicht durchkommen.

Lesen Sie auch

Auch in Dortmund läuft es nicht rund

Borussia Dortmund ist da nicht besser. Der Erfolg erschöpft sich in der permanenten Qualifikation zur Champions League, zuletzt dank Schlussspurt mit dem neuen Trainer Niko Kovac. Als ein Sieg 2023 zur Meisterschaft reichte, versagten die Nerven am letzten Spieltag gegen Mainz. Als Real Madrid im Champions-League-Finale 2024 besiegbar schien, fiele die Gegentore zum 0:2.

Bayern aber kann sich nicht damit herausreden, dass Borussia Dortmund jetzt im WM-Viertelfinale (2:3 gegen Real Madrid) ebenfalls ausgeschieden ist. Wenn sich der Rekordmeister immer als eine Klasse für sich definiert, muss er den Befund in seiner Absolutheit schlucken: Der aktuelle Kader reicht nicht für die Spitze im europäischen Fußball. Die Mannschaft ist zu schwach.

Fehlende Kadertiefe

Dass Jamal Musiala mit seiner erneuten Verletzung (mutmaßlich Wadenbein gebrochen) monatelang ausfällt, verschlimmert die Situation doch. Serge Gnabry ist kein adäquater Ersatz. Wo andere Top-Teams wettbewerbsfähige B- und C-Spieler ins Rennen schicken, pfeift Bayern aus dem letzten Loch. Und es ist kein Plan erkennbar, dass sich der Missstand in absehbarer Zeit ändert.

Es ist jedenfalls fatal, wenn Eberl nach dem WM-Aus zum Besten gibt: "Wir haben das Gefühl bei der Kaderplanung, dass wir nicht so viel machen müssen." Ein "Anpassen", wie er sagt, reicht aber nicht. Er wolle "nicht auf jede Verletzung reagieren". Für diese Haltung gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder ist das eine Durchhalteparole, weil kein Geld da ist - oder Realitätsverweigerung.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
  • Fever Pit'ch ist der tägliche Fußball-Newsletter von Pit Gottschalk. Jeden Morgen um 6:10 Uhr bekommen Abonnenten den Kommentar zum Fußballthema des Tages und die Links zu den besten Fußballstorys in den deutschen Medien.

Verwendete Quellen