• Die deutsche Nationalmannschaft legt gegen Lettland eine beschwingte Generalprobe hin und schießt sich so richtig warm für die EM.
  • Die Aufschlüsse der Partie sind aber auch mit Vorsicht zu genießen.
Eine Analyse

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Nein, dieses 7:1 war nicht das spektakulärste 7:1 einer deutschen Nationalmannschaft. Brasilien, Belo Horizonte, WM-Halbfinale, 58.000 Zuschauer - das war dann doch etwas anderes als ein Testspiel gegen Lettland in Düsseldorf vor 1.000 Zuschauern.

Und man muss sich wohl auch keine zu großen Sorgen darüber machen, dass dieses Ergebnis ein ganzes Land traumatisieren könnte. Die Letten sind hohe Niederlagen ja durchaus gewohnt und überhaupt ist Eishockey der Nationalsport. Und nicht Fußball.

Für die deutsche Nationalmannschaft wird der Sieg gegen den Fußball-Zwerg allenfalls als Randnotiz zu den Akten gelegt werden. Und doch könnten die sieben Tore gegen Lettland im Rückblick noch von größerer Bedeutung sein. Für die Vorbereitung auf das EM-Turnier in wenigen Tagen schadet so ein Kantersieg jedenfalls nicht, auch wenn es gegen die Nummer 138 der Weltrangliste schon auch um die richtige Einordnung geht.

Die Letten sind im Fußball allenfalls drittklassig, ihre Spieler wirken in den kleinsten Ligen Europas und wenn doch einer in einem traditionellen Fußballland wie Italien spielt, dann eben in der drittklassigen Serie C. Die Letten sind wenig überraschend nicht für die EM qualifiziert, sie haben sich als Sparringspartner daher willfährig bereitgestellt, ohne große Vorbereitung oder Ambition im Duell mit dem viermaligen Weltmeister.

Effizienz und schön kombinierte Tore

Und wenn der dann einen guten Tag erwischt und sich ein wenig warm spielen will für ein Großereignis, dann können sieben Gegentore schon einmal passieren. Die lettischen Fragesteller der virtuellen Pressekonferenz nach dem Spiel sahen das zwar ganz anders, sie grillten Nationaltrainer Dainis Kazakevics regelrecht und forderten Erklärungen für die zugegeben schwache Leistung ihrer Mannschaft. Aber einer deutschen Mannschaft mit dieser Feuerpower und - endlich - auch Effizienz ist Lettland schlicht nicht gewachsen.

Man muss also sehr vorsichtig sein mit der Einordnung des aus deutscher Sicht durchaus beschwingten Abends. Es gab eine Menge positiver Eindrücke: Die deutlich verbesserte Chancenverwertung, die fünf Angreifer, die je einen Treffer beisteuerten, die teilweise sehr schön heraus kombinierten Tore.

Joachim Löw dürfte seine Grundordnung für die EM gefunden haben, es wird wohl in den "großen" Spielen gegen Frankreich und Portugal auf eine Dreier- beziehungsweise Fünferkette hinauslaufen.

Viele variable Elemente in der Offensive

Kai Havertz hat seine Euphorie aus dem Champions-League-Finale offenbar konserviert und einfach mal ein richtig gutes Spiel hingelegt. Das ist für den Bundestrainer eine schöne Erkenntnis, weil Havertz die Optionen im Angriff vergrößert und irgendwie auch verfeinert:

Geschwindigkeit ist mit Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sane ja schon da, Thomas Müller schleicht durch die Räume, Kevin Volland ist die Wuchtbrumme mit dem gewissen Überraschungseffekt. Havertz bringt mit seiner unglaublichen Leichtfüßigkeit eine andere Geschmacksrichtung ein, die gegen jeden Gegner passen könnte.

"Wir haben heute schon viele gute Dinge gemacht, gute Ansätze gezeigt. Wir haben in den letzten Tagen viel gesprochen, was muss verbessert werden", sagte Löw dem Sender RTL nach dem Spiel.

Der Bundestrainer war schon ein bisschen zufrieden, weil sich die Arbeit der letzten Tage offenbar langsam auszahlt. Gegen einen sehr tiefstehenden Gegner war seine Mannschaft fast über die gesamten 90 Minuten sehr aktiv, zeigte viele Positionswechsel und Rochaden, Tiefenläufe und Varianten im Passspiel, die einen solchen Gegner aufbrechen können.

Welche Aufschlüsse lässt das Spiel zu?

"Die Art und Weise, wie wir unser Spiel haben wollten und es auch umsetzen konnten, war wichtig. Die Abläufe aus dem Training hat man auf dem Platz gesehen. Wir konnten in den letzten Wochen detaillierter an Abläufen arbeiten und an der Abstimmung zwischen den Reihen und den einzelnen Positionen. Wir haben die Letten mit Ball dort reingelockt, wo wir sie haben wollten. Wir haben die Bälle auch schnell wieder erobert und die Torchancen dann auch reingemacht." Das hätte auch von Löw sein können, tatsächlich sprach aber Thomas Müller die Sätze in ein RTL-Mikrofon.

Müller hat schon ein paar Trainingslager und Vorbereitungen auf ein großes Turnier auf dem Buckel und man muss ihm wohl glauben, wenn er sagt: "Klar wird Frankreich eine andere Hausnummer als Lettland. Dennoch haben wir ein sehr überzeugendes Spiel gesehen." Die Frage, was so ein Spiel unter diesen Bedingungen wert ist, bleibt trotz aller positiver Ansätze aber umstritten - und wird sich erst bei der EM gegen eben jene Franzosen, gegen die Portugiesen und Ungarn beantworten lassen.

Teamgeist und Detailarbeit

Unbestritten hat sich die Mannschaft nach einem sehr ordentlichen Trainingslager noch ein wenig mehr Leichtigkeit verschafft und das ist schon eine gute Sache - wenn man sich mal an die bleierne Vorbereitung auf die WM vor drei Jahren erinnert, mit Debatten bis tief hinein ins politische Spektrum, mit gruseligen Testspielen und dann einem Umzug ins berüchtigte Watutinki.

Dort verlor sich die Mannschaft als solche, bildeten sich Cliquen, Erfahren gegen Unerfahren, Alt gegen Jung. Das scheint dieses Mal nicht der Fall und das ist schon eine vernünftige Basis.

Nun geht es in Herzogenaurach am Stammsitz des DFB-Partners um die Feinjustierung in allen Bereichen. Das Funktionsteam um Löw herum wird sich um die zwischenmenschlichen Dinge kümmern, die Truppe als Einheit zusammenhalten und einschwören auf die anspruchsvollen Aufgaben. Der Bundestrainer selbst wird sich um die inhaltlichen Detailfragen kümmern. "Tempo und Intensität müssen noch mehr gesteigert werden in nächster Zeit, dann sind wir auf einem guten Weg", sagt Löw, der das Niveau weiter hochschrauben und die Spannung hoch halten will.

Und vielleicht war es ja doch ganz gut, dass Manuel Neuer in seinem 100. Länderspiel gegen eine nicht wettbewerbstaugliche Mannschaft ein Gegentor kassiert hat. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre, dass die Mannschaft nicht oft zu Null spielen kann. Löw jedenfalls ärgerte sich ungemein über das Tor und seine Entstehung: nach einem schnöden Einwurf.

"Das Problem vorher ist angesprochen worden: Einwürfe sind eigentlich Standardsituationen für den Gegner, so etwas kann man insgesamt besser verteidigen. Da gibt es eine klare Zuordnung, Mann gegen Mann, so etwas darf eigentlich nicht passieren. Wenn man in Momenten nicht wachsam ist, bestrafen uns die Gegner. Über 90 Minuten die Konzentration hochzuhalten, da haben wir noch Verbesserungsbedarf", sagte Löw - und setzte sich damit gleich noch einen Punkt auf seine Agenda bis zum Auftakt gegen Frankreich in einer Woche.

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